Chinas Globale Entwicklungsinitiative (Global Development Initiative, kurz GDI) wurde offiziell im September 2021 von Präsident Xi Jinping gestartet. Was genau verbirgt sich dahinter, an welche anderen Programme knüpfen Chinas Pläne an und welche offenen Punkte sich zu beachten? Der renommierte Wirtschaftsexperte Markus H.-P. Müller gibt exklusiv für China-Wiki einen Überblick.
Was ist Chinas Globale Entwicklungsinitiative? In einer Rede zur allgemeinen Debatte der 76. Sitzung der allgemeinen UN-Versammlung wies Xi darauf hin, dass die Welt zusammenarbeiten müsse, um mit Blick auf die Coronavirus-Pandemie die globale Wirtschaft auf eine neue Stufe voranzubringen zu ausgeglichenem, koordiniertem und inklusivem Wachstum. Mit der GDI ruft China zu globalen Partnerschaften auf, um die Umsetzung der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu beschleunigen.
Die GDI ruft die Welt dazu auf, sich weiter zu einem menschlich orientierten Ansatz zu bekennen, zu Wohlfahrt für alle, zu einer innovationsgetriebenen Entwicklung, zu Harmonie von Mensch und Natur und zu handlungsorientiertem Vorgehen. Die GDI will Antworten finden auf die brennenden Herausforderungen der Welt, insbesondere in den Entwicklungsländern, und sie ist nach der Seidenstraßeninitiative (Belt and Road Initiative, BRI) eine weitere wichtige Initiative Chinas.
Chinas Globale Entwicklungsinitiative – die Ziele
Eines der wichtigsten Ziele der GDI ist es, die U.N. bei der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu unterstützen. Zweitens geht es darum, einzelnen Entwicklungsländern zu helfen, damit sie effektiv auf die negativen Folgen der Covid-19 Pandemie reagieren und gleichzeitig den Fokus auf eine umweltfreundlichere und gesündere globale Entwicklung legen können. Die U.N. und mehr als 100 Länder unterstützen die GDI. Eine Gruppe von Freunden der GDI wurde im Januar 2022 im Hauptquartier der U.N. in New York ins Leben gerufen. Vertreter von über 100 Ländern und 20 internationalen Organisationen wohnten der Eröffnung bei.
Rahmenwerk für praktische Zusammenarbeit
Die GDI folgt dem Rahmenwerk für praktische Zusammenarbeit. Die GDI ist gut aufgestellt, um die dringendsten Probleme der Welt anzugehen, insbesondere in den Entwicklungsländern. Zu den Prioritäten gehören:
- Verringerung von Armut
- Sichere Nahrungsmittelversorgung
- Covid-19 und Impfungen
- Entwicklungsfinanzierungen
- Klimawandel und nachhaltige grüne Entwicklung
- Industrialisierung
- Digitalisierung der Wirtschaft
- Konnektivität
Chinas erster Global Development Report
Am 20. Juni 2022 veröffentlichte China den ersten globalen Entwicklungsbericht (Global Development Report), der die Fortschritte und die Herausforderungen bei der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung analysiert. Nach diesem Bericht ist die GDI in die traditionelle chinesische Kultur eingebettet und basiert auf den Entwicklungspraktiken der Modernisierung Chinas. Die Philosophie der chinesischen Kultur, wonach eine gerechte Sache für die allgemeine Wohlfahrt verfolgt werden sollte, die Prinzipien guter Nachbarschaft und einer harmonischen Beziehung zu allen anderen Ländern respektiert werden sollten, und Solidarität und gegenseitige Unterstützung gepflegt werden sollten. Die GDI stellt Entwicklung in das Zentrum der Agenda für globale Zusammenarbeit.
Herausforderungen für die UN-Agenda 2030
Nach dem GDI Bericht Chinas gibt es für die globale Umsetzung der UN-Agenda 2030 viele verschiedene Herausforderungen, insbesondere nach dem Ausbruch der Pandemie. Der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, hat sich seit der Pandemie vergrößert. Der Anteil extremer Armut ist 2020 erstmals seit 20 Jahren auf 9,5% gestiegen. Die Situation der globalen Nahrungsmittelsicherheit verschlechtert sich und der Anteil der Unterernährten ist 2020 auf 9,9% gestiegen, im Vergleich zu 8,3% in den fünf Jahren vor der Pandemie. Außerdem ist es schwierig, die Impflücke zu schließen. Mehr als 75% der Bevölkerung in den entwickelten Ländern haben zumindest eine Impfung erhalten, während es in den Ländern mit niedrigen Einkommen lediglich 8% sind.
Finanzierungslücke bei Investitionen in Nachhaltigkeit
Andere wichtige Herausforderungen sind die große Lücke bei der Finanzierung für Investitionen in nachhaltige Entwicklung, der stockende Übergang zu grünen Modellen mit geringem Kohlendioxidausstoß. Auch die Vergrößerung des Abstands bei der Entwicklung der digitalen Infrastruktur und der langsamen Transformation der industriellen Strukturen in den Entwicklungsländern zählen dazu.
Chinas Globale Entwicklungsinitiative – wichtige Merkmale
Die GDI Chinas wurde vor dem Hintergrund dieser globalen Herausforderungen angekündigt, diese globalen Herausforderungen anzugehen. Zu den wichtigsten Merkmalen von Chinas GDI gehören:
- Die Human-zentrierte Philosophie im Kern der GDI;
- Die Priorität der GDI auf Entwicklung und davon abgeleitet der innovationsgetriebene Ansatz;
- Die GDI soll für alle vorteilhaft sein, insbesondere die Entwicklungsländer;
- Die GDI soll Harmonie von Mensch und Natur fördern;
- Die GDI bekennt sich zu Multilateralismus, Offenheit und Inklusion.
Die GDI verfolgt einen handlungsorientierten Ansatz. Sie stellt eine Plattform für alle Teilnehmer zur Verfügung, um ihren Entwicklungsbedarf auszutauschen und Projekte der Zusammenarbeit durchzuführen, die die Umsetzung der Agenda 2030 beschleunigen. Insbesondere möchte die GDI die drängendsten Entwicklungsherausforderungen angehen, wie die Verringerung der Armut, Nahrungsmittelsicherheit sowie COVID-19-Maßnahmen und -Impfungen.
Fokus auf Entwicklungsherausforderungen
Neben der Förderung einer stärkeren, grüneren und gesünderen globalen Entwicklung nach der Pandemie will sich die GDI auch auf die mittel- und langfristigen Entwicklungsherausforderungen konzentrieren. Sie beabsichtigt eine Stärkung der internationalen Koordination und Zusammenarbeit auf den Gebieten der nachhaltigen Entwicklungsfinanzierung und eine Unterstützung der Entwicklungsländer bei Verbesserung der Fähigkeiten zu selbstinduzierter Entwicklung und Stärkung der Widerstandskräfte. Die GDI strebt an, die Partnerschaften auf Basis der bestehenden Mechanismen zu stärken.
Orientierung an verschiedenen Agenden und Initiativen
Die GDI möchte sich insbesondere an der Agenda 2063 der Afrikanischen Union, der Assoziation südostasiatischer Staaten (ASEAN) 2025, der neuen Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas (New Partnership for Africa’s Development, NEPAD), und der Initiative für Partnerschaft bei der Entwicklung Afrikas etc. ausrichten. Die GDI soll die Kräfte mit den bestehenden Mechanismen und Plattformen bündeln, wie z.B. der U.N., der Asien-Pazifk Wirtschaftskooperation (Asia-Pacific Economic Cooperation, APEC), den G20, BRICS, SCO und “10+1”, etc.
Chinas Globale Entwicklungsinitiative – Politikempfehlungen
Verringerung von Armut
Die internationale Gemeinschaft sollte zusammenarbeiten, um die Investitionen zu erhöhen und den Trend zum Anstieg der Armut wieder zu drehen. Ein intensiverer Erfahrungs- und Wissensaustausch wird benötigt, um die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Reduktion der Armut zu stärken. Es gibt günstige Möglichkeiten, durch digitale Transformation und den Übergang zu grünen Produktionsprozessen neue Wege bei der Reduktion von Armut einzuschlagen.
Globale Nahrungsmittelsicherheit
Die internationale Gemeinschaft sollte eine nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft fördern. Dazu sollte eine Ordnung geschaffen werden, die einen Handel mit landwirtschaftlichen Gütern ermöglicht, der fair, stabil und nachhaltig ist. Es sollte eine bessere globale Steuerung für Nahrungsmittel und landwirtschaftliche Produkte angestrebt werden.
Schutz der menschlichen Gesundheit
Die internationale Gemeinschaft sollte die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Covid-19 Pandemie verbessern. Es sollten widerstandsfähige Gesundheitssysteme aufgebaut werden, die besser mit künftigen Gesundheitskrisen fertig werden. Die globale Steuerung in Fragen der Gesundheit soll verbessert werden.
Finanzierungen für eine nachhaltige Entwicklung
Die internationale Gemeinschaft soll die finanzielle Unterstützung von Entwicklungsländern erhöhen. Multilaterale Entwicklungsbanken könnten gemeinsame Finanzierungsmodelle entwickeln und die marktbasierte Zusammenarbeit bei Finanzierungen durch die privaten Sektoren entwickeln.
Förderung von grünen und kohlendioxidarmen Technologien
Die Welt sollte anhand von gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zusammenarbeiten, um grünen und kohlendioxidarme Technologien zu entwickeln und den Übergang zu grünen Prozessen zu verbessern. Man sollte sich proaktiv an den Klimawandel anpassen und die Anpassungsmöglichkeiten von Entwicklungsländern verbessern. Die Anstrengungen zur Einhaltung der Klimaziele sollten erhöht werden.
Industrialisierung der Entwicklungsländer
Die internationale Gemeinschaft soll die Entwicklungsländer bei der Nutzung komparativer Vorteile unterstützen und industriepolitische Zielsetzungen entwickeln. Die industrielle Zusammenarbeit soll gestärkt und die Vorteile von Späteinsteigern genutzt werden. Man könnte auch Ressourcen zur Hebung von Synergien bei der industriellen Kooperation mobilisieren.
Digitale Wirtschaft
Die internationale Gemeinschaft sollte zusammenarbeiten, um die digitale Infrastruktur zu stärken und den Abstand der digitalen Versorgung zwischen entwickelten und Entwicklungsländern zu verringern. Digitale Innovationen sollen gestärkt und durch Zusammenarbeit das Wirtschaftswachstum gefördert werden.
Ausweitung der Konnektivität in eine neue Ära
Die internationale Gemeinschaft sollte die globale Kooperation zur Entwicklung von technologischen Innovationen und Anwendungen stärken. Sie sollte auch den Wissensaustausch und den Aufbau neuer Kapazitäten fördern.
Chinas Globale Entwicklungsinitiative: Chinas Beitrag?
- Gerechter Zugang zu Impfstoff vor allem für Länder mit niedrigeren Einkommen. Da die Covid-19 Pandemie anhält, sollten Möglichkeiten geschaffen werden, dass der Impfstoff in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen hergestellt werden kann. China ist in der Lage, mit diesen Ländern zusammenzuarbeiten und kann Impflösungen anbieten.
- Digitale Inklusion. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung benutzt noch immer nicht das Internet. In Ländern mit niedrigeren Einkommen sollte vorrangig Zugang zum Internet ermöglicht werden, den sich die Bevölkerung leisten kann. China hat im Inland eine umfassende digitale Infrastruktur aufgebaut, Technologie entwickelt und Erfahrungen gewonnen. China ist in der Lage, zu geringen Kosten digitale Lösungen für Länder mit niedrigeren Einkommen anzubieten.
- Schutz und Verwaltung natürlicher Ressourcen. China kann Entwicklungsländern Erfahrungen bieten, wie man natürliche Ressourcen verwaltet und Risiken beim Übergang zu klimafreundlicheren Technologien und alternativen Energien vermeidet. China hat die politische Agenda bereits stärker auf die Umsetzung nachhaltiger Entwicklungsziele ausgerichtet. China kann diese Erfahrungen Entwicklungsländern zur Verfügung stellen.
GDI im Kontext der Seidenstraßeninitiative
Seit dem Start der Seidenstraßeninitiative (Belt and Road Initiative, BRI) im Jahre 2013 gab es Kritik, dass China in dieser Initiative umweltverschmutzende Aktivitäten in Übersee finanziert. Dies hat sich zuletzt geändert. China plant, die Unterstützung von ausländischen Kohleprojekten zu stoppen. Die chinesische Regierung veröffentlichte Dokumente mit Texten, dass die BRI umweltfreundlicher gestaltet werden soll. Die BRI nimmt zunehmend Abstand von Kohleprojekten, da China Investitionsrisiken vermeiden und im Klimaschutz eine wichtigere Rolle übernehmen will. Im Einklang mit der GDI erhalten Technologien und Prozesse mit geringem Kohlendioxidausstoß erhöhte Priorität.
Ziel der nachhaltigen Unterstützung
Nach einer Studie des Green Finance & Development Center sind die Investitionen Chinas im Rahmen der Seidenstraßeninitiative (BRI) im ersten Halbjahr 2022 zurückgegangen und China hat keine neuen Investitionen in Russland, Sri Lanka und Ägypten vorgenommen. Die chinesische BRI stand in der Kritik, da einige westliche Länder überzeugt sind, dass die Abhängigkeit vieler Entwicklungsländer von China durch eine „Schuldendiplomatie“ der BRI erhöht wird. China hat die GDI mit dem Ziel angekündigt, die Entwicklungsländer in einer nachhaltigen Art und Weise zu unterstützen.
Kooperationen mit Win-Win-Möglichkeiten
Wie im chinesischen Außenministerium diskutiert wurde, sollen sowohl die GDI als auch die BRI die beiderseitigen Vorteile zu stärken und internationale Kooperationen mit Win-Win-Möglichkeiten zu fördern. Beide Initiativen sind separate Ansätze mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten, die in unterschiedliche Richtungen abzielen und einen jeweils anderen Schwerpunkt der Zusammenarbeit aufweisen.
Chinas Globale Entwicklungsinitiative – offene Punkte
Es gibt jedoch auch noch einige offene Punkte. Erstens sind die Zielsetzungen der GDI bislang ziemlich allgemein gehalten. Detaillierte Aktionen (insbesondere die Geldbeträge für die jeweiligen Prioritäten) sind bislang nicht klar. Zweitens liegt der Schwerpunkt der GDI primär auf der wirtschaftlichen Verbesserung für Entwicklungsländer, der Fokus liegt weniger auf anderen Fragestellungen, wie z.B. den Menschenrechten. Drittens soll, wie auf dem Boao Forum Globale Sicherheitsinitiative im April 2022 verkündet wurde, die GDI mit anderen Projekten verknüpft werden, die möglicherweise breitere geopolitische Implikationen haben. Die Zukunft wird zeigen, ob und wie Chinas Globale Entwicklungsinitiative diese offenen Punkte noch berücksichtigen kann und will.
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Über den Autor
Markus Müller
Chief Investment Officer ESG & Globaler Leiter Chief Investment Office Privatkundenbank
Markus Müller ist Leiter des globalen Chief Investment Office Privatkundenbank, Deutsche Bank AG. Im Juni 2022 übernahm er zu seiner aktuellen Funktion noch die Rolle des Chief Investment Officer ESG. In dieser Funktion vertritt er als Managing Director die Kapitalmarktmeinung für den Bereich Deutsche Bank International Private Bank für alle Anlageklassen und -strategien. Markus Müller ist zudem Mitglied im Nachhaltigkeitsrat der Deutsche Bank AG. Im Jahre 2018 wurde Markus Müller in den Beirat des „Carbon Bubble“-Projekts des Umweltbundesamtes und des Bundesumweltministeriums berufen. Herr Müller war unter anderem akademische Lehrkraft an der Frankfurt School of Finance, der Universität Bayreuth sowie der Banking and Finance Academy der Republik Usbekistan in Taschkent. Seine berufliche Laufbahn in der Deutschen Bank begann er bei DB Research als Assistent des Chefvolkswirtes der Deutsche Bank Gruppe, Prof. Dr. Norbert Walter, nachdem er vorher bei der Allianz in Shanghai tätig gewesen ist. Im Januar 2019 veröffentlichte der studierte Ökonom im Wissenschaftsverlag Springer Gabler ein Buch unter dem Titel Neo-Ordoliberalismus – Zukunftsmodell für die Soziale Marktwirtschaft. Sein aktuelles Buch veröffentlichte er mit Jonas Polfuß im Mai 2021 unter dem Titel Deutschland und China zwischen Kooperation und Konkurrenz.
Artikelbild: Alexander Schimmeck / Unsplash
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