China und die Globalisierung sind untrennbar miteinander verbunden, der chinesische Einfluss auf die Weltwirtschaft hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Um die wachsende Rolle des Landes in der Globalisierung richtig einordnen zu können, lohnt ein Blick auf Chinas Wirtschaftsreformen und Wachstumsstrategie. Was die globalen Auswirkungen der chinesischen Wirtschaftsreformen sind und was hinter dem sogenannten doppelten Kreislauf steckt, erklärt der renommierte Wirtschaftsexperte Markus H.-P. Müller.
Seit Beginn der wirtschaftlichen Reform und Öffnung (改革开放) im Jahr 1978 konnte China seinen Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt (BIP) signifikant erhöhen. Der pragmatische Ansatz der damaligen Leitfigur der chinesischen Reform und Öffnung-Politik, Deng Xiaoping, mit dem Ziel China so auf einen langfristigen Wachstumspfad zu führen, sollte dabei aber nicht losgelöst von den sozialistischen Grundüberzeugungen (Vier Grundprinzipen für die Entwicklung Chinas 四项基本原则) betrachtet werden.
Die Grundlage für diese Entwicklung war die Einführung und Förderung marktwirtschaftlicher Aspekte sowie die Stärkung des Unternehmertums, indem China den Aufbau des Privatsektors vorantrieb, Industrien und Technologien modernisierte und für mehr ausländische Investitionen und Handel warb; aber stets unter Berücksichtigung der politischen Leitlinien der Partei und des marxistisch-leninistischen Fundaments.
China und die Globalisierung – Auswirkungen chinesischer Wirtschaftsreformen
Die ersten positiven Auswirkungen der Wirtschaftsreformen setzten um das Jahr 1990 ein und der Anteil Chinas am weltweiten BIP verdoppelte sich von rund 2 % in den frühen 1980er Jahren auf 4 % (auf Basis der Kaufkraftparität, KKP). Von 2000 bis 2010 verdoppelte sich der Anteil nochmals auf 8 %. Im Jahr 2020 entfielen auf China dann bereits mehr als 18 % des weltweiten BIP. China konnte sich somit in Bezug auf die Größe und die Bedeutung für den Welthandel zu einer globalen Macht entwickelt. Im Jahr 2013 wurde China zur größten Warenhandelsnation der Welt. Im Jahr 2014 überholte es die Vereinigten Staaten und war nach Kaufkraftparität zur größten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. China gehört nun weltweit zu den beiden größten Empfängern und Quellen ausländischer Direktinvestitionen (ADI).
Im Jahr 2020 gab es in China 124 Fortune-500-Unternehmen, im Vergleich zu 121 Unternehmen in den USA.
Allerdings haben nicht alle Dimensionen des chinesischen Wachstums zu einer globalen Integration geführt und es gibt zeitgleich weiterhin Herausforderungen, die es zu adressieren gilt. Chinesische Unternehmen erwirtschaften immer noch einen Großteil ihrer Umsätze innerhalb der Landesgrenzen. Die Komplexität der operativen und regulatorischen Abläufe auf den chinesischen Finanzmärkten stellt aber nach wie vor eine Hürde für internationale Akteure dar.
Chinas wachsende Rolle in der Globalisierung in Zahlen
Aufgrund der schieren Größe des Landes mit einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen und einem BIP von 14,7 Billionen USD im Jahr 2020 hat Chinas Rolle in der Globalisierung an Bedeutung gewonnen. Die Geschwindigkeit der Globalisierung kehrt sich jedoch aufgrund der Auswirkungen der SarsCov2 Pandemie teilweise um und die Entwicklung könnte in den kommenden Jahren langsamer verlaufen und sich verändern, denn das Land ist in wirtschaftlicher Hinsicht immer weniger vom Rest der Welt abhängig. Dahingegen ist der Rest der Welt immer mehr mit China verflochten. Diese Verlagerungen gehen mit Spannungen in den Handelsbeziehungen und zunehmendem Protektionismus in vielen Ländern einher, welche sicherlich auch durch die Pandemie zu Teilen verschärft werden.
Das wirft die Frage auf, ob aktuell der Höhepunkt der Integration zwischen China und der Welt erreicht ist.
Chinas Anteil an den weltweiten Exporten stieg bis 2020 auf 14,7%, verglichen mit 8,1% in den USA, 7,8% in Deutschland, 3,8% in den Niederlanden und 3,6% in Japan. Im Jahr 2021 hat sich der chinesische Handel in beeindruckender Weise von der Krise infolge der Pandemie erholt, was zu einem weiteren Anstieg des chinesischen Anteils am Welthandel führen könnte. Insbesondere gewinnt China Marktanteile in den Bereichen Maschinenbau, Unterhaltungselektronik, medizinische Geräte, etc.
Chinas Wachstumsstrategie des doppelten Kreislaufs
Nach dem Ausbruch der SarsCov2-Pandemie kündigte China Mitte 2020 die „Wachstumsstrategie des doppelten Kreislaufs“ (国内国际双循环) an. In diesem Wachstumsmodell nimmt der inländische Wirtschaftskreislauf eine Schlüsselrolle ein, während sich der inländische und der internationale Kreislauf gegenseitig ergänzen. Der internationale Kreislauf beinhaltet die Öffnung des chinesischen Marktes durch höhere Importe sowie die Förderung von ausländischen Direktinvestitionen. Daneben soll durch eine Förderung der Wettbewerbsfähigkeit des chinesischen industriellen Sektors auch der Export gesteigert werden.
Die Wachstumsstrategie des doppelten Kreislaufs wurde in einer Zeit des zunehmenden Außenhandelsprotektionismus und der weltweiten Reisebeschränkungen aufgrund der Pandemie angekündigt.
Die Küstenprovinzen, wie Guangdong, Zhejiang und Jiangsu, waren in der Vergangenheit traditionell die Gebiete mit dem größten Exportanteil. Sie sind auch die wirtschaftlich am stärksten entwickelten Gebiete Chinas. Mit der Strategie des doppelten Kreislaufs, die dem inländischen Wirtschaftskreislauf eine höhere Priorität einräumt, könnten die chinesischen Binnenprovinzen (wie Yunnan, Sichuan, Shaanxi, Xinjiang) ein relativ schnelleres Wachstum verzeichnen.
Es ist zu erwarten, dass der intraregionale Handel und die Investitionen innerhalb Chinas mit den Initiativen der Regierung zur Entwicklung der Binnengebiete und der weitgehend geschlossenen Grenze an Fahrt gewinnen werden. Außerdem könnten die Binnenprovinzen auch von der Initiative der „Neuen Seidenstraße“ profitieren, mit der China die Handelsbeziehungen mit den Nachbarländern in Zentralasien, im Nahen Osten und in Osteuropa ausbauen möchte. Die bisherigen Binnenprovinzen gelten nun als „Frontlinien“ für die Entwicklung des Außenhandels mit den Ländern Eurasiens über die Landverbindung.
China und die Globalisierung – die Neue Seidenstraße
Chinas Neue Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) zielt darauf ab, die globalen Wirtschaftsbeziehungen zu den westlichen Ländern durch die Entwicklung von Investitionsmöglichkeiten über Exportmärkte und die Steigerung des chinesischen Einkommens und des inländischen Konsums zu fördern.
Sie wurde 2013 von Präsident Xi Jinping ins Leben gerufen, wobei sich der Großteil der Entwicklungs- und Investitionsinitiativen von Ostasien nach Europa ausdehnt. Insgesamt hat China im Rahmen der Neuen Seidenstraße schätzungsweise bereits mehr als 200 Milliarden US-Dollar in verschiedene Projekte in der Region investiert. Die Regierung versucht damit zunehmend, China als Gestalter internationaler Normen zu positionieren und weniger internationalen Normen zu folgen.
Die Neue Seidenstraße verschafft China weiteres Potential in Bezug auf seine globale Bedeutung.
Im Ergebnis werden die Neue Seidenstraße und das Freihandelsabkommen RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) viel Einfluss über Chinas nationale Grenzen hinaus ausüben. Auch die Investitionen des Landes in Forschung und Entwicklung werden eingesetzt, um seine technologische Leistungsfähigkeit zu steigern und die eigene Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen großen Volkswirtschaften wie den USA und der EU zu verbessern.
Im nächsten Teil der Reihe über China und die Globalisierung betrachtet Markus H.-P. Müller eine wichtige Bildungsreform und die Datenstrategie in China sowie das neue asiatisch-pazifische Freihandelsabkommen (RCEP).
Über den Autor
Markus H.-P. Müller studierte Volkswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er ist leitender Angestellter in globaler Position bei der Deutschen Bank und zudem Dozent in wissenschaftlichen Einrichtungen. So war an der Frankfurt School of Finance, der Banking and Finance Academy in Uzbekistan und der Universität zu Bayreuth tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der strukturellen Transformation von Ökonomien und Gesellschaften sowie im Bereich der Nachhaltigkeit.
Chinas Wirtschaftswachstum 2021 und der 14. Fünfjahresplan – ein Überblick
Chinas Wirtschaft in 2021 – Konjunktur, Konsum und Vision für 2035
Seidenstraße zum Erfolg? Chinas „One Belt, One Road“-Initiative auf dem Prüfstand
Interkulturelle Kommunikation China-Deutschland: Vertrauen im Kulturvergleich
12912885556 meint
China stellt sich sehr geschickt an. Das Land muss sich auch nicht so sehr um Nachbarländer oder enge Verbündete kümmern wie etwa die EU-Länder und teilweise sogar die USA. China zieht sein Programm durch. Nur China kann China stoppen.