Wie wird sich Chinas Wirtschaftswachstum 2022 entwickeln? Während die gesamte Weltwirtschaft weiter unter dem Coronavirus leidet, hat das Reich der Mitte lange Zeit von seinem Sonderweg in der Pandemieabwehr profitiert. Wie sieht die chinesische Führung vor diesem Hintergrund die Chancen auf mehr Wirtschaftswachstum fördern? Der renommierte Wirtschaftsexperte Markus H.-P. Müller analysiert für China-Wiki die wichtigsten Ergebnisse des jüngsten Nationaler Volkskongresses in China. Chinas Wachstumsziel 2022 – Nationaler Volkskongress erhöht Prognose.
China schloss den Nationalen Volkskongress (NVK) am 11. März und gab die wichtigsten wirtschaftlichen Zielsetzungen für das Jahr 2022 bekannt. Wir fassen hier einige der wichtigsten Schlussfolgerungen des Kongresses in Hinblick auf Chinas Wachstumsziel 2022 zusammen.
Chinas Wachstumsziel bei 5,5 Prozent für 2022
Der chinesische Premierminister Li hat vor dem NVK den diesjährigen Arbeitsbericht der Regierung vorgelegt. China räumte zwar ein, dass „die Risiken und Herausforderungen im Jahr 2022 erheblich zunehmen“, setzte aber sein Ziel für das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2022 auf „etwa +5,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr“ fest, den niedrigsten Wert seit mehr als 30 Jahren.
In Anbetracht der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung Chinas der jüngsten Zeit und der derzeitigen internationalen Unsicherheiten ist dies jedoch immer noch ein ehrgeiziges Ziel, das deutlich über unserer aktuellen Wachstumsprognose von 4,5 Prozent liegt. Wie Premier Li es ausdrückte, erfordert das diesjährige Wachstumsziel „harte Arbeit, um es zu erreichen“. Daher werden weitere geld- und fiskalpolitische Unterstützungsmaßnahmen erwartet, die sich in neuen politischen Erklärungen wie „Ausweitung des Umfangs neuer Kredite“ und „rechtzeitiger Einsatz von politischen Schubladenprogrammen“ widerspiegeln.
Spielraum für eine deutlichere Haushaltsexpansion
Die Regierung schlägt für 2022 ein Ziel für ein Haushaltsdefizit von 2,8 Prozent des BIP vor, 0,4 Prozentpunkte weniger als das Defizitziel von 3,2 Prozent im Jahr 2021. Dabei kann ein großer Teil der nicht ausgeschöpften Haushaltsmittel aus dem vergangenen Jahr, vor allem die Erlöse aus den im vierten Quartal 2021 ausgegebenen speziellen Kommunalobligationen, auf das Jahr 2022 übertragen werden. Dadurch sollten sich die Sondermittel der lokalen Gebietskörperschaften im Jahr 2022 im Vergleich zu 2021 auf 4,7 Billionen chinesische Yuan (744 Milliarden US-Dollar) fast verdoppeln. Es besteht also genügend Spielraum für einen Anstieg der Haushaltsausgaben – insgesamt 2 Billionen Chinesische Yuan (317 Milliarden US-Dollar) im Jahresvergleich.
Fiskalische Anreize mit Schwerpunkt auf Infrastruktur
Die Beschleunigung von Infrastrukturinvestitionen ist der Schlüssel zur Stützung des Wachstums im Jahr 2022. Besonderes Augenmerk könnte auf den Bereichen Basis-, Digital- und Informationsinfrastruktur, Wasserkraft, (erneuerbare) Energiequellen und -anlagen, Versorgungsunternehmen und Technologiesektoren (zum Beispiel Halbleiter, KI und Saatgutentwicklung) liegen.
Die Regierung hob vier Infrastrukturinvestitionsbereiche hervor: den Intercity-Zugverkehr in den großen Stadtclustern, Logistikknotenpunkte und Kühlkettenlogistik, große Standorte für erneuerbare Energien und neue Informationsinfrastruktur wie 5G und Rechenzentren. Sie kündigte außerdem an, dass die Gesamtsumme der Steuersenkungen und -rückerstattungen in diesem Jahr 2,5 Billionen chinesische Yuan (396 Milliarden US-Dollar) erreichen soll. Dies soll insbesondere durch die Senkung der Mehrwertsteuer und der Einkommenssteuer für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) erreicht werden. Außerdem sollen die Möglichkeiten für Steuerabzüge und -rückerstattungen für KMU in den Bereichen Fertigung, Umwelt, Energie, Verkehr und FuE-Ausgaben verbessert werden. Was die Geldpolitik betrifft, so werden weitere Zinssenkungen allgemein erwartet. Die Finanzinstitute dürften veranlasst werden, die realen Kreditzinsen zu senken, um die Kreditnachfrage von Unternehmen und Haushalten zu steigern.
Inländische Erholung als Schlüssel für Chinas Wachstumsziel
Während das verarbeitende Gewerbe aus allen Richtungen unterstützt wird und Exporte der Kern für die Sicherung des Wachstums bleiben, soll die Konsumnachfrage durch einen Anstieg der Haushaltseinkommen im Einklang mit dem BIP-Wachstum und durch die Schaffung von 11 Millionen neuen Arbeitsplätzen im Jahr 2022 (unverändert gegenüber 2021) gestärkt werden. Die jüngste Welle von Covid-19-Infektionen und die erneuten Abriegelungsmaßnahmen könnten den Konsum stark beeinträchtigen.
Daher könnten mehr unterstützende Maßnahmen ergriffen werden, insbesondere zur Förderung der KMU in den von Covid betroffenen Regionen. Neue Steuergutschriften könnten für Kleinkinder unter drei Jahren angeboten werden, Online- und Offline-Konsum, Sport und umweltfreundliche Haushaltsgeräte in ländlichen Gebieten werden gefördert. Außerdem wird der Verkauf von Fahrzeugen mit alternativen Antriebsarten (new-energy vehicle) als ein Bereich hervorgehoben, der nachhaltig unterstützt werden sollte.
Eine ausgewogenere Politik für den Immobiliensektor
Da sich der chinesische Immobilienmarkt nach wie vor im Abschwung befindet, ist die Stabilisierung dieses nach wie vor wichtigen Sektors entscheidend für das Erreichen des Wachstumsziels von 5,5 Prozent. Einerseits betonte der NVK, dass „Häuser zum Wohnen da sind, nicht zur Spekulation“. Andererseits wolle man auch „eine angemessene Nachfrage nach Wohnraum befriedigen“.
Neben der Erwähnung von Plänen zur Einrichtung eines Finanzstabilitätsfonds zur Verhinderung von Systemrisiken, die vom Immobiliensektor ausgehen könnten, wird China neue Modelle für die Entwicklung des Wohnungsbaus erkunden, einschließlich der Förderung von Miet- und Kaufverträgen und der Verabschiedung stadtspezifischer Maßnahmen, um eine solide Entwicklung des Immobiliensektors zu ermöglichen. Für die Zukunft sind klarere politische Botschaften zu erwarten.
Energiesicherheit wird ebenfalls hervorgehoben
Vor dem Hintergrund steigender Energiepreise ist China entschlossen, die Produktion und die Reserven an heimischem Öl, Gas und Kohle zu erhöhen, mit denen mehr als 60 Prozent der chinesischen Stromerzeugungsanlagen betrieben werden. Kohle ist offensichtlich Chinas Antwort auf das neue Mandat zur „Sicherstellung der Energieversorgung“, das durch die Stromknappheit im Zeitraum von August bis Oktober 2021 ausgelöst wurde. Chinas gelockerte Klimaverpflichtung, den Spitzenwert des Kohleverbrauchs vor 2030 zu erreichen, bietet reichlich Handlungsspielraum. Der Schwerpunkt der „grünen Entwicklung“ im Arbeitsbericht der Regierung liegt eher auf technologischem Fortschritt als auf der Wahl sauberer Brennstoffe. Neue Investitionen sind vor allem in den Bereichen Förderung des Baus größerer Wind- und Solaranlagen, Energieeinsparung und Kohlenstoffreduzierung in Branchen wie Stahl, Chemie, Metalle und Baumaterialien zu erwarten.
Chinas Wachstumsziel 2022 – Hoffnung auf zweites Halbjahr
Mit Blick auf die Zukunft bleiben die Unsicherheiten für Chinas Wachstumspfad hoch, da die Auswirkungen der geopolitischen Spannungen wahrscheinlich über die anhaltend hohen Energiepreise und die geringeren Wachstumsaussichten der wichtigsten Handelspartner Chinas weitergegeben werden, und auch die laufenden „Zero-COVID“-Maßnahmen sowie neue lokale Schließungen könnten die Erholung der Binnennachfrage dämpfen.
Da sich die politischen Entscheidungsträger jedoch verpflichtet haben, an allen Fronten „hart zu arbeiten“, könnte Chinas Wirtschaft im zweiten Halbjahr 2022 an Schwung gewinnen. Wenn sich Frühindikatoren wie der jüngst gestiegene Kreditimpuls in den kommenden Monaten weiter verbessern, könnte sich das Vertrauen der Anleger stabilisieren und Aufwärtspotenzial für Aktien chinesischer Unternehmen in Schwerpunktsektoren schaffen, die von der angekündigten politischen Unterstützung profitieren.
Über den Autor
Markus H.-P. Müller studierte Volkswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er ist leitender Angestellter in globaler Position bei der Deutschen Bank und war bereits Dozent in wissenschaftlichen Einrichtungen wie der Frankfurt School of Finance, der Banking and Finance Academy in Uzbekistan und der Universität zu Bayreuth tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der strukturellen Transformation von Ökonomien und Gesellschaften sowie im Bereich der Nachhaltigkeit.
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Man sollte vor den Chinesen , auf der Hut sein !