Chinesische Universitäten sind ein Thema für sich. Wer in China studiert hat, weiß das sehr gut. Vor ein paar Jahren waren sie sogar noch viel spannender. Jemand, der das erlebt hat und ohne Hemmungen und falsche Scham darüber schreiben kann, wie ein Außerirdischer beim ersten Kontakt mit der Erde, ist der legendäre Gunnar Henrich. Bitte jeden Satz genießen, denn ist einer der letzten Beiträge aus dem geliebten Reisetagebuch dieses charmanten Haudegens.
Die Universität besteht aus einem Campus mit den Ausmaßen einer kleinen Stadt. Um einen gigantischen Turm herum, dessen Zweck mir nicht klar ist, sind ausufernde Anlagen angelegt, die verschiedensten Zwecken dienen. Es gibt drei oder vier Fußballfelder, Basketballfelder und Sportplätze. Es gibt mehrstöckige Unterrichtsgebäude, fünfstöckige Wohnheime, imposante Verwaltungs-und Bibliotheksbauten, deren Architektur zwischen protzig und hässlich schwankt, die vorherrschenden Farben sind weiß, gelb und braun. Um die Universität verläuft eine Mauer, der Haupteingang besteht aus einem Tor, vor dem entweder Polizisten oder Männer in einer polizeiähnlichen Uniform Tag und Nacht wachen, damit wir nicht geklaut werden. Die Universität versucht, ihren Studenten alles zu bieten, damit sie nicht in die gefährliche Aussenwelt müssen. Darunter fallen zwei Supermärkte, Restaurants, zwei Mensen, Garküchen und Grillstände, bereits genannte Sportanlagen, ein Krankenhaus, eine Wäscherei, Schreibwarenläden und Läden des täglichen Bedarfs. Dreiviertel alles Notwendigen, von der Schreibtischlampe bis zum Wasserkanister, von dem Vokabelheft bis zur Bierdose kann man in dem wohlgemerkt koreanischen Supermarkt kaufen. Angeblich gibt es auch ein Hallenbad. Vereinzelt kann man sogar ein paar eigens gepflanzte Bäume erblicken, Grünanlagen, breite Strassen.
Mein „Overseas Student dormitory“ ist ein fünfstöckiges weißes Studentenwohnheim mit langen Fluren und einer immer besetzten Pforte. Auf jedem Flur sind Zimmer, in der Regel Doppelzimmer mit Hochbetten, darunter kleinen Schreibtischen und Kleiderschränken. Ebenso gehört ein eigenes, recht großes Badezimmer mit Dusche und Toilette dazu. Das Zimmer misst vielleicht 12 qm ohne Bad. Die Zimmer verfügen über eine Klimaanlage, die im Sommer kühlt und im Winter heizt, über einen Kühlschrank, über einen Fernseher, der leider nur chinesische Programme empfängt und über ein eigenes Stand-Internetsystem, für das man keine Zugangsdaten brauchte. Tagesschau gucken und chatten ist ohne weiteres möglich, leider fällt das Internet manchmal aus. Im Keller dieses Wohnheims sind Waschmaschinen, die nie heiß, sondern nur kalt waschen und nach 60 Minuten schon fertig sind. Aufhängen kann man die Wäsche außen unterhalb des Fensters auf montierten Stangen. Damit auch nichts Schlimmes geschieht wird die Tür des Wohnheims nachts ab halb elf zugeschlossen, allerdings erzählten mir vertrauensvoll einige Deutsche, man könne klingeln und dann würde eine verschlafene Türwächterin aufschließen. Am Wochenende geschähe dieses gegen sechs Uhr morgens öfter. Die Chinesen wohnen in eigenen Wohnheimen, zu sechst in einem Zimmer mit doppelstöckigen Betten, ohne Klimaanlage, Kühlschrank oder Fernseher. In meinem dormitory wohnen nur ausländische Studenten. Es ist deshalb so luxuriös für chinesische Verhältnisse, damit sich die Ausländer wohlfühlen und entsprechend für die Universität werben.
Am schlimmsten an die Universität sind die Deutschen. Sie sind überall, in der Überzahl. Berufstätige, Ehegatten von Berufstätigen, die im Sprachkurs Chinesisch lernen wollen und außerhalb der Uni wohnen, innerhalb der Uni Wirtschaftsstudenten aus Villingen-Schwenningen, Ingenieursstudenten, lauter Provinzgesichter mit schrecklichem Dialekt, die vor allem aus der Naturwissenschaft hier ein Semester rumlaufen, mich fürchterlich nerven und sofort alle miteinander vercliquen, also dumme langweilige Gruppen bilden, wo sie auf Deutsch reden. Deutschland hat mit die schrecklichsten Akzente, wie mir hier auffielen. Man trifft einen lockeren, einigermaßen amerikanisch aussehenden Studenten an der Waschmaschine und fragt auf Englisch nach der Bedienung der Maschine. Er antwortet auf Englisch. Dann kommt ein Anruf eines der Mädchen aus Freiburg auf Handy, der Student hört mit und sagt strahlend in flüssigem Deutsch, aus welcher Gegend Deutschlands er kommt. Alle Illusionen sind vernichtet. Gestern begegnete mir ein Ingenieursstudent aus Emmendingen, der voll Freude war, einen Freiburger zu treffen. Ich wurde ihm von einem anderen wohlmeinenden Deutschen vorgestellt mit den Worten: das ist der Freiburger. Wie erwartungsvoll guckte der Emmendinger und schon musste ich mich unterhalten. Dass ich in Südchina niemanden aus Emmendingen treffen will, konnte ich ihm nicht unbedingt mitteilen.
Die Rettung kommt aus Kalifornien und aus Michigan und ist eine kleine angenehme Minderheit. Drei, vier echte Amerikaner, die kein Deutsch können, die außerhalb des Campus in gemieteten Wohnungen wohnen, aber den Sprachkurs mitmachen und das uni-eigene Fitnessstudio benutzen. Ich verstehe sie wunderbar, sie kauen Kaugummi, sind immer gut drauf, völlig unkompliziert und gehen mit mir trainieren, jedenfalls war das gestern so. Die zweite große, aber nicht unangenehme Mehrheit wird von Südkoreanern gestellt. Die können kein Englisch, sprechen aber gut chinesisch oder lernen es und sind von den Chinesen äußerlich nicht zu unterscheiden. Überhaupt die Chinesen. Es gibt sie wie Sand am Meer. Wo man hinguckt, überall sind Chinesen. Sie lachen, sind fröhlich, gucken einen immer an und man versteht sie nicht.
Eine weitere Eigenart muss erwähnt werden. Keiner der hier anwesenden Lehrer und Verwaltungsleute spricht Deutsch, überhaupt keiner. Einige wenige sprechen Englisch, die meisten sprechen Chinesisch und nur Chinesisch. Die Bewacherin der Tür des Studentenwohnheims spricht auch nur Chinesisch, gestern habe ich ihr aber begreiflich machen können, dass die Duschtür kaputt ist. Dass das Badezimmer stinkt, hat sie nicht verstanden. Der Unterricht ist in Unterrichtsräumen in einem Nebengebäude von 8.30 bis 10.00 und von 10.20 bis 11.50. Es sind immer zwei verschiedene Einheiten mit zwei verschiedenen Lehrerinnen, die eine macht Dialoge, Vokabeln aus dem Alltag und grammatische Regeln, ist bildhübsch, total süß und heißt unbegreiflicherweise Li. Sie spricht besser Englisch als ich und ihr Unterricht macht Spaß. Die andere macht Tonübungen und Aussprache mit uns, ich habe bis heute keine Ahnung, wie sie heißt, sie kann offenbar überhaupt kein Englisch und wir sagen die ganze Zeit die vier Töne, die man im Chinesischen können muß. Das klingt dann so: ää äää äääää ä oder oo ooo ooooo o. Nachmittags gibt es freiwilligen Unterricht zwei Stunden, dessen Sinn sich mir noch nicht erschlossen hat, da man dort auch nur Unmgangssprache macht. Die Nach- und Vorbereitung kostet aber soviel Zeit, dass ich viel zu tun habe, auch ohne zusätzliche Unterrichtstunden. In meiner Klasse sind ungefähr 25 Leute, 8 Deutsche, darunter einige Erwachsene, die in Suzhou arbeiten oder ihren deutschen Ehegatten gefolgt sind, mehrere Südkoreaner, zwei Japaner, vier Amis und zwei Australierinnen. Keine Chinesen, weil die ja chinesisch bereits können.
Noch etwas zu den Preisen: die campuseigene Wäscherei wäscht und trocknet und legt die Wäsche zusammen für umgerechnet 50 Cent. Die stinkende Mensa verkauft nicht besonders gut schmeckendes Essen für 45 Cent, eine große Portion Reis, mehrere Fleisch und Gemüsesorten. Es gibt Massagesalons, wo man richtig gute qualifizierte Massage bekommt, eine Stunde für drei Euro. Dann gibt es wohl noch open end Massage, aber das hat irgendwas mit Frauen und teuer und privat zu tun und man hat davon mir abgeraten. Amerikanische DVDs auf Englisch kosten 80 Cent das Stück. Die Straßengrills verkaufen ihre Speisen für einen Euro. Busfahren und Automatencafe kostet 10 Cent. Taxifahren, eine halbe Stunde durch die Stadt, kostet zwei Euro fünfzig. Toilettenpapier muss man in öffentlichen Toiletten selber mitbringen, man darf es im eigenen Bad nicht in die Toilette werfen, da die sonst verstopft, sondern in den Müll. Das Fitnesstudio kostet 6 Euro für zwanzigmal und ist eine Art Garage mit alten Geräten und voller Chinesen und ein paar verlorenen Amis. Daneben sind aber riesige Sportplätze, wo den ganzen Tag Chinesen Fußball und Basketball spielen. Bringt mir nix, ich gehe jeden Tag in die Garage trainieren oder ab morgen zur Massage.
Über den Autor
Gunnar Henrich ist Politikwissenschaftler mit Chinafokus. Am Center for Global Studies der Universität Bonn promoviert er über Methoden und Ziele chinesischer Afrikapolitik am Beispiel Sambia. Exklusiv für das ICC-Portal veröffentlicht Henrich nun Kapitel aus seinen spannenden Reisetagebüchern aus China (2006-2007).
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Der Chinese meint
Guten Tag
Ich habe selbst in Nanjing, China studiert. Viele der Dinge, die Sie hier schildern, empfand ich genau gleich wie Sie. Ich war ebenfalls nicht sehr erfreut, Leute aus meinem eigenen Land zu treffen und mich die ganze Zeit mit meinen Landsleuten zu unterhalten. Bei mir war das Problem allerdings wohl etwas kleiner, da ich auch der Schweiz komme :=)
Wer neben den vielen interessanten Beiträgen hier auf china-wiki.de auch auch noch auf der Suche nach spezifischen Informationen zur chinesischen Sprache ist und gerne möchte, der ist herzlich eingeladen, auch mal auf meinem Blog vorbeizuschauen.
PS: Südkoreaner und Deutsche hatte es auch während meinem Aufenthalt in Nanjing relativ viele. Die Südkoreaner waren auch da klar in der Mehrheit. Allerdings fand ich nie richtig den Kontakt zu den Südkoreanern, da diese sehr reserviert sind.
NanjingChina meint
Hallo, Ich studiere auch in Nanjing. Aber hier studieren nur wenige Deutsche und ich kenne auch keinen aus der Schweiz ; )