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Reisetagebuch China:
Süßes Geheimnis im chinesischen Glas

18. Januar 2014 von China-Wiki 1 Kommentar

Es gibt Dinge, die sind so simpel und alltäglich, dass sie nie weiter auffallen. Wenn man sie denn kennt. Wenn man sie aber zum ersten Mal erlebt, kann auch ein banales Glas zu einem abgründigen Faszinosum werden. Vor allem in China. Aus dem Reisetagebuch des Gunnar Henrich.

Es waren andere Zeiten damals, als es bei uns fröhlich Urständ feierte, und man nur Gemütlichkeit damit verband. Eingewecktes, süße Nascherei, Omas eigene Erdbeermarmelade, kurz, es hatte einen Ruf, und nicht den schlechtesten, das gute alte Marmeladenglas. Wurde es nun in China neu erfunden? Mittlerweile ist es in Deutschland fast verschwunden, man sieht es nur noch als  Einwegkonfitüre im Supermarkt. Erinnerungen weckt, was früher süße Zukunft verhieß. Und wie wundert sich da der Chinareisende, wenn er es im fremden Land wieder entdeckt. Und auf welche Weise. Es ist überall, ein jeder hat es bei sich, und dies den ganzen Tag.

Taxifahrer, Verkäufer und sogar Polizisten, niemand  verzichtet drauf, es wird gehegt und gepflegt und überall hingestellt. Wie ging es dem Schreiber dieser Zeilen, als er in einem Taxi den Vordersitz ein wenig nach hinten rücken wollte, um notwendige Beinfreiheit zu schaffen? Ein Aufschrei, ein entsetzter Blick, der Fahrgast gar noch mehr entsetzt, was hat er getan? Der fassungslose Taxifahrer greift unter den Beinfahrersitz und rettet es, zeigt es, aber nur kurz. Dann ist es wieder sicher verstaut, unerreichbar für den neugierigen Fahrgast.

Chinesen als heimliche Genießer und Naschende?

Die Frage wird dringender, und es ist nicht der Hunger nach Marmelade, der baldigst Antwort fordert. Handelt es sich bei den Chinesen doch um heimliche, Genießer und  Naschende? Wissen auch sie, es sollte gar nicht möglich sein, am Ende um Omas Erdbeermarmelade? Vielleicht ein Überbleibsel der Kulturrevolution, als Marmelade verboten und Gläser bourgeoiser Luxus waren? Ein jeder hat seine Marmelade, damit auch ein Ende seine  süße Seite hat? Oder ist es gar ein Zaubertrank, welcher jeden Taxifahrer durch den grauen Tag führt, Energie und neue Kraft verheißend? Vielleicht ist gar Chinas  Wirtschaftswunder auf ein einfaches Glas zurückzuführen, mit unbekanntem, verheißungsvollen Inhalt?

Ein chinesischer Sturm im Marmeladenglas?

Nun, der Westen dürfte sich das chinesische Marmeladenglas nicht zum Vorbild nehmen, es wird weder Sozialsysteme reformieren noch die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Zunächst, der Inhalt des Glases ist grün. Nicht grün wie die Hoffnung, auch nicht grüner als  manche Parteien, das wäre ja noch was. Nein, es sind Blätter, grüne schwimmende Blätter, in heißem Wasser, gut geschützt in jedem Marmeladenglas. Die nun gewiss aufkommende Frage, wie man Omas Erdbeermarmeladen durch grünen Tee ersetzen kann, der auch noch bitter schmeckt, verdrängt jeden anderen Gedanken und wird deshalb nicht weiterausgeführt.

Tage des Marmeladenglases auch in China gezählt

Auch möglichen Kausalzusammenhängen zwischen wirtschaftlichem Aufschwung und grünem Tee sollte nicht weiter nachgegangen werden, bevor europäische Spione auf Teeplantagen gesichtet werden. Ob dies die Fähigkeit zur Selbstironie eines satireerfahrenden, auch Harald Schmidt gestählten Europäers aushalten würde? Dafür müsste man wohl Engländer sein. Doch nein, keine Kulturrevolution, noch nicht einmal der Teegeschmack muss sich ändern in deutschen Wohnzimmern, und der chinesische Vorsprung wird sich wenigstens in einer Hinsicht nicht halten können.

Die Tage des Marmeladenglases sind gezählt. Der Autor dieser Zeilen hat in einem Kaufhaus etwas entdeckt. Vielleicht dauert es noch etwas, aber auch ihre Zeit wird kommen. Die Wirkung kann man noch nicht absehen, aber die Aussichten sind zumindest nicht schlecht. Es gibt sie schon im Kaufhaus, und  sie wird auch ihren Weg in die Mitte des chinesischen Alltags finden – die Thermoskanne.

Über den Autor

Gunnar Henrich ist Politikwissenschaftler mit Chinafokus. Am Center for Global Studies der Universität Bonn promoviert er über Methoden und Ziele chinesischer Afrikapolitik am Beispiel Sambia. Exklusiv für das ICC-Portal veröffentlicht Henrich nun Kapitel aus seinen spannenden Reisetagebüchern aus China (2006-2007).

Weitere Erfahrungsberichte auf dem ICC-Portal:

Erfahrungsbericht Shanghai: Praktikum in der Abteilung Kultur und Bildung

Praktikum in Suzhou: Amerika oder China? China!

Arbeiten in China: td in Peking – das Beste aus zwei Welten erleben

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Kategorie: China Humor, Deutsche in China Stichworte: Alltagskultur China, China Erfahrungen, Reisebericht China, Studium in China

Kommentare

  1. Emma Potlitz meint

    18. Januar 2014 um 1:39 pm

    Lieber Gunnar Henrich, ich habe Ihren Bericht über den „Tee im Wasserglas“ mit großem Interesse gelesen und freue mich auf weitere Auszüge aus Ihrem Reisetagebuch!
    Herzliche Grüße, E. Potlitz.

    Antworten

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