Jedes Jahr im Dezember erregt eine chinesische Stadt im Nordosten Chinas großes Aufsehen – selbst in den deutschen Medien. Alljährlich wird in dieser Sechs Millionen-Metropole inmitten der chinesischen Mandschurei eine gigantische Schnee- und Eiswelt aufgebaut, die Millionen von Touristen aus der ganzen Welt besuchen.
Meterdicke Eisblöcke werden dafür aus dem Songhua Fluss gesägt, der Harbin in Nordstadt und Südstadt teilt. Daraus werden gigantische beleuchtete Schlösser gebaut und wunderschöne filigrane Eisfiguren modelliert. Die Rede ist natürlich von Harbin, dessen Sehenswürdigkeiten im Folgenden etwas näher vorgestellt werden.
Harbin – ein München in Nordostchina?
Dem Besucher dieser von Südchinesen oft belächelten Stadt wird schnell auffallen, dass Harbin mit dem typischen China, das wir uns als Pauschaltouristen vorstellen, nur wenig gemeinsam hat. Harbin und die ganze nordöstliche Region Chinas, auch „Dongbei“ genannt, haben nämlich einen ganz eigenen, besonderen Charakter, der deutschen Vorlieben ganz und gar entsprechen dürfte: Harbin liegt auf demselben Breitengrad wie München, die erste Brauerei Chinas wurde im Jahr 1900 in Harbin von dem Deutschen Jan Wróblewski gegründet und Harbiner essen mit Vorliebe Fleisch, Wurst, deftige Speisen und gedämpftes Brot (Mantou), das an die deutsche Dampfnudel erinnert.
Dongbei’er, wie die Einwohner Nordostchinas genannt werden, sind Kraftpakete und haben mit den zierlichen reis- und gemüseessenden Chinesen in anderen Teilen Chinas nur wenig gemeinsam. Im Winter versammeln sich die Männer nach getaner Arbeit mit roten Wangen in einer kleinen Wirtschaft um eine Feuerstelle. Darauf schmort in einer riesigen Eisengusspfanne fettes Entenfleisch, das mit einigen chinesischen Schnäpsen (Baijiu) und Harbin-Bier runtergespült wird. Das raue Klima und die klirrend kalten Winter in Harbin haben die Menschen hier geprägt: Sie sind herzlich, direkt, laut, ehrlich, zäh wie Leder und packen richtig an. Kurzum: sie kommen dem typischen Deutschen wahrscheinlich so nahe wie keine anderen Bewohner Chinas.
Statuen am Songhua-Fluss mit französischem Flair
Auch die Architektur in Harbin hat einen westlichen Einfluss. Sie ist künstlerisch verspielt und die russischen Einflüsse, die die Stadt in der Geschichte geprägt haben, sind nicht zu übersehen. Durch einige künstlerische Besonderheiten wie die Statuen entlang des Songhua-Flusses wird sogar „Paris Chinas“ gesprochen. Dabei ist zu erwähnen, dass Harbin als „Chinesische Stadt der Musik“ auserkoren wurde, nicht zuletzt weil Harbiner wöchentlich weltbekannte Opernstücke in ihrem durchaus bemerkenswerten Opernhaus genießen können.
Wenn Sie Harbin einmal besuchen möchten, empfehle ich Ihnen einen etwa fünf Kilometer langen Spaziergang am Songhua Fluss entlang des Stalin-Parks. Im Sommer können Sie den Fluss mit einem chinesischen Drachenkopf-Boot oder einer Seilbahn überqueren und gelangen so zur Sonneninsel, die ähnlich der deutschen Insel Mainau zum Spazieren einlädt. Im Winter können Sie den Fluss zu Fuß oder auf einem Husky-Schlitten überqueren. Die Sonnenuntergänge über dem Fluss sind sowohl im Sommer als auch im Winter sehr romantisch. Wenn Sie dem Flussverlauf folgen, gelangen Sie an das „Floodcontrol Monument“, das an einige Hochwasser in Harbin erinnert und zu Ehren der Helfer errichtet wurde. Von dort aus gelangen Sie in Harbins berühmteste Straße: Die Central Street, auf Chinesisch „Zhongyang Dajie“. Diese 1,5km lange Einkaufsstraße sucht in China ihresgleichen, lädt zum Bummeln, Shoppen und Kaffeetrinken ein – und das alles ohne Autos und Verkehr. Verpassen Sie es im Herzen der Zhongyang Dajie auf keinen Fall das bekannte russische Brot, die typische Harbiner Rotwurst (ähnlich Kabanossi) und das „Madi’er Stieleis“ zu probieren. Im Winter wird dieses Eis von Verkäufern auf einem großen Teller serviert, da es ohnehin nicht mehr schmelzen kann.
Achtung! Es wird richtig kalt in Harbins Winter…
Ein Wort zum Winter in Harbin: Er ist nicht zu unterschätzen. Die Temperaturen fallen nachts oft bis auf -40°C. Sie möchten wissen, wie sich -40°C anfühlen? Sie atmen ein, Ihre Nase gefriert. Sie atmen aus, Ihre Nase taut auf. Ihr Gesicht brennt nach wenigen Minuten im Freien wie Feuer. Absolut unabdingbar sind warme Fellschuhe, Handschuhe, eine Mütze, eine dicke lange Unterhose und qualitativ hochwertige Wintersocken, sowie eine gute Winterjacke. Handcreme ist auch wichtig, da der Winter in Dongbei im Vergleich zu Deutschland sehr trocken ist. Auch sollten Sie stets Ihr Handy und Ihre Ersatzakkus in der warmen Jackeninnentasche aufbewahren, da sich diese bei den tiefen Temperaturen sehr schnell entladen. Da in Harbin fast niemand Englisch spricht sollten Sie auch immer Ihre Hotel- und Zieladressen auf Chinesisch dabei haben und einen kleinen Reiseführer auf Chinesisch. Trotz des „Dongbei“ Dialekts ist der Nordosten Chinas eine der besten Orte, um Chinesisch zu lernen, denn hier sprechen die Leute das klassische Mandarin (Hochchinesisch). Einige der wichtigsten Standardsätze auf Chinesisch lassen sich hier lernen.
Geheimtipp und Fazit zu Harbin
Noch ein Geheimtipp für Harbin, den nur wenige Reiseführer erwähnen. In dem ältesten Stadtviertel Harbins, Laodaowai (老道外) können Sie heute immer noch einige Überreste der ältesten und urigsten 100 Jahre alten Häuser der Stadt bestaunen und im ältesten Baozi-Restaurant in Harbin die bekanntesten gefüllten Dampfnudeln der Stadt genießen. Harbin ist also durchaus einen Besuch wert. Dessen herzlicher und eigentümlicher Charme wird Sie begeistern.
Über den Autor
Manuel Stahl lebt seit fünf Jahren in Harbin und ist dort Leiter der Abteilung für Deutsche Sprache an der Heilongjiang International University. Er teilt sein Wissen und seine Erfahrungen auf den YouTube-Kanälen Saarland2China und Languageschool.rocks. Fragen zu Harbin beantwortet er darüber hinaus gerne in der Facebook-Gruppe „Deutsch-Chinesischer Austausch“.
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