Ein Insiderbericht von Volker Stanislaw
Sie stehen meist in einer Gruppe zusammen, der Rucksack wird aus Schutz vor Taschendieben vor dem Bauch getragen und überall werden zahlreiche Selfies geschossen. Bei heißen Temperaturen spannen sie Schirme auf und tragen langarmige Kleidung, damit sie bloß keinen Sonnenbrand bekommen oder gar gebräunte Haut. Von wem ist hier die Rede? Genau, chinesische Touristen sind ein besonderes Phänomen.
Als jemand, der seit Jahren im Tourismussektor mit genau diesen Menschen zusammenarbeitet, merke ich natürlich, dass immer mehr Unternehmen chinesischen Touristen ansprechen möchten. 2018 ist immerhin das offizielle EU-China-Tourismus-Jahr, auch wenn dies keinen so großen Unterschied machen wird. Meiner Meinung nach geht es in den meisten Marktanalysen primär um das Kaufverhalten und demografische Faktoren der chinesischen Zielgruppen. Es lassen sich allerdings kaum Berichte finden, die uns Westlern die emotionalen Bedürfnisse der chinesischen Touristen genauer erklären.
Kulturelle Besonderheiten chinesischer Touristen in Europa
Seit sieben Jahren arbeite ich nun für eine chinesische Airline in Düsseldorf und war nebenbei Düsseldorf-Repräsentant für das größte deutsche Reisegruppenbüro mit dem Zielland China. Viel wichtiger ist allerdings, dass ich mit einer Chinesin verheiratet bin. Meine Schwiegermutter war schon oft Teil dieser Reisegruppen in ganz Europa und ich selbst habe eine solche Tour mitgemacht – freiwillig aus eigenem Interesse, ehrlich!
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Wenn Sie sich die Frage stellen, wie Sie maßgeschneiderte Reiseprodukte und Services für diesen chinesischen Markt anbieten können, dann schauen Sie sich bitte die folgenden Besonderheiten chinesischer Touristen an, die auf meinen persönlichen und beruflichen Erfahrungen basieren.
1. Chinesen reisen immer mit etwas China im Gepäck
Ein Großteil chinesischer Touristen führt stets folgende Dinge mit sich:
- Wasserkocher (damit sie überall das Allheilmittel heißes Wasser zubereiten können),
- Thermosflasche (damit sie heißes Wasser und Tee trinken können)
- Selfie-Stick (damit sie auch ja keine Fotogelegenheit verpassen, um die Momente in WeChat zu teilen),
- eingelegtes Gemüse aus China (um unser westliches Essen anzureichern oder für sie schmackhaft zu machen)
- Instant-Nudeln (damit sie auf der anstrengenden Reise nicht verhungern, falls ihnen das westliche Essen nicht schmeckt oder das dichte Reiseprogramm einfach keine Zeit zum Essen lässt)
- einen Notfallzettel mit Kontaktadressen der (entfernten) Verwandtschaft in Europa
2. Chinesische Touristen wollen immer online sein
In Hotels ist WLAN natürlich ein Muss, keine Option. Viele Reisende haben sich bereits in China mobile WLAN-Router auf Taobao bestellt, die nur 25 RMB (ca. 3,2 €) pro Tag kosten. Somit ist das mobile Internet auf der Reise sichergestellt. Denn für die Touristen ist es immens wichtig, die Reisefotos den Freunden und der Familie über ihre Wechat-Momente zu teilen. Dabei handelt es sich um einen Aktivitäten-Feed des beliebtesten sozialen Mediums in China.
3. Chinesische Touristen suchen romantische Geschichten
Der Kauf von Luxustaschen und anderen hochwertigen Produkten lässt den Schluss zu, dass Chinesen sehr materialistisch eingestellt sind. Aber chinesische Touristen suchen zugleich romantische Orte, die sie vor der Reise bereits in TV-Serien, Berichten oder Social Media gesehen haben. Sobald sich eine Sehenswürdigkeit in China herumgesprochen hat, steigert es die Attraktivität der Destination ungemein. Westler müssen diese Orte nicht zwangsläufig kennen. Zum Beispiel möchten Chinesen gerne auf Gran Canaria das Wohnhaus der Schriftstellerin San Mao besuchen. Welcher deutsche Kanarenurlauber hat dies jemals besucht?
4. Chinesen gehen in Europa auf die Reise ihres Lebens
Viele chinesische Urlauber machen nur einmal im Leben eine große Europatour. Das gilt besonders für Reisende, die weder ein großes Vermögen noch eine Familie in Europa haben, die sie öfter besuchen können. Daher wollen chinesische Touristen so viel wie möglich sehen. Es ist ausdrücklich erwünscht, dass ein dicht gepacktes Reiseprogramm ansteht. Die aus dem Chinesischen übersetzte Redewendung „Raus aus dem Bus, Foto, rein in den Bus, schlafen“ bringt die Einstellung auf den Punkt. Zeit zum Ankommen oder Orientieren ist schlichtweg nicht nötig, wenn in der Zeit noch ein weiterer Ort oder sogar ein weiteres Land erkundet werden kann.
5. Chinesische Touristen brauchen weder Strand noch Wein
Für chinesische Touristen funktioniert der Erholungsurlaub mit Meer, Strand und Wein kaum. Sie bevorzugen in der Regel kein Ausruhen am Strand, sondern verbringen dort eher Zeit für Pärchen- oder Hochzeitsfotos. Der Gedanke, sich freiwillig in der Sonne zu bräunen, führt bei Chinesen ohnehin häufig zu Gänsehaut. Sonnengebräunte Haut ist für viele noch immer ein Zeichen dafür, dass man draußen hart arbeiten musste. Weiße Haut gilt immer noch als das Schönheitsideal schlechthin. Weiß- und Rotwein sind in China noch nicht so verbreitet. Europäischer Wein wird häufig nur bei Geschäftsessen serviert. Ein Glas Wein zur Entspannung ist im chinesischen Alltag eher die Ausnahme. Auch ist das Wissen über Wein noch nicht so ausgeprägt wie hierzulande. Für die meisten Reisenden endet der Tag um 22 Uhr. Das Nachtleben in den Städten ist höchstens für junge Individualreisende eine Option, Reisegruppen liegen dann längst im Bett.
6. Sparen ist noch beliebter als das Shopping selbst
Die langen Schlangen chinesischer Touristen vor den Louis Vuitton-Läden dieser Welt haben ihre Wirkungen getan. Viele Leute fragen sich dann, warum die Chinesen so reich sind. Das muss aber gar nicht der Fall sein. Denn zum einen wird viel angespart, bevor die große Europareise ansteht. Zum anderen kommt es vielen Chinesen so vor, als ob sie beim Shopping sogar ein Vermögen gespart haben. Denn die gleichen Produkte kosten in China häufig – steuer- und marketingbedingt – mindestens 30% mehr, in Europa können sich die Touristen noch die Mehrwertsteuer zurückerstatten lassen. Shoppen in Ländern wie Deutschland ist deshalb mit einer Schnäppchen-Tour gleichzusetzen, selbst wenn es um Luxuswaren geht.
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Folgende Ratschläge gelten vor allem für chinesische Reisegruppen. Ermöglichen Sie diesen Gästen kleine Freuden, versüßen Sie den Aufenthalt mit netten Aufmerksamkeiten. Wasserkocher, Teetassen und verschiedene Teesorten sollten Standard in Hotelzimmern für chinesische Gäste sein. Eine kurze Erklärung des Kaffeevollautomaten in chinesischer Sprache macht den Reisenden schon während des Frühstücks das Leben deutlich leichter. In Kleidungsgeschäften helfen Einwegschlappen weiter, denn diese sind in China sehr verbreitet.
WLAN ist, wie schon erwähnt, ein Muss und keine Option. Alle chinesischen Touristen sind über Wechat mit ihren Freunden und Familie verbunden, ganz gleich welches Alter die Reisenden haben. Füttern Sie die Touristen mit Erzählungen, die sie auch digital teilen können. Pushen Sie Ihr Produkt mit romantischen Geschichten. Für größer angelegtes Marketing empfiehlt es sich, Prominente zu engagieren, die in China bekannt sind und Ihre Marken oder Services in den chinesischen Social Media vorstellen machen können.
Zeigen Sie Respekt vor der großen Reise. Bieten Sie ein dichtgepacktes Programm mit vielfältigen Erfahrungen und Highlights an. Seien Sie sicher, je besser und nachhaltiger das Erlebnis Ihres Produkts in Erinnerung bleibt, desto mehr spricht es sich rum. Nehmen Sie nicht an, dass die Reisenden genau das Gleiche mögen wie Sie. Pizza? Craft-Beer Bar? Disco? Das ist nicht unbedingt das Richtige für Chinesen. Stellen Sie sich auf die chinesischen Touristen ein.
Überdenken Sie Ihre Beratungsqualität. Mit den chinesischen Touristen kommt eine ganze Menge Kaufkraft zu uns – Service wird in China deutlich größer als hierzulande geschrieben. Stellen Sie chinesisch sprechendes Personal ein, wenn Sie häufig Kundschaft aus dem Reich der Mitte haben. Lassen Sie Ihre Verkäufer an interkulturellen Trainings teilnehmen, damit sie kultursensibel beraten können. Chinesische Vorlieben und Interessen verändern sich zudem sehr schnell. Die Marke, die im letzten Jahr noch beliebt war, kann in diesem Jahr schon überholt sein.
Der Mensch im Mittelpunkt
Chinesische Touristen mögen einige für europäische Augen und Ohren ungewöhnliche Gewohnheiten mitbringen. Letztendlich sind es jedoch vor allem Menschen, die sich gerade einen großen Traum erfüllen und dafür oftmals lange und hart gearbeitet haben. Service in chinesischer Sprache, Bezahlen per WeChat, Beratung mit kulturellem Verständnis – all das führt natürlich zu größerem Verkaufserfolg.
Einen nachhaltigen Eindruck erreicht man jedoch ganz einfach durch aktives Zuhören, Verständnis und Empathie. Ein Lächeln und eine zugewandter Hilfsbereitschaft bleiben oftmals in sehr guter Erinnerung. Nicht nur bei den Reisenden selbst, sondern ebenso im digitalen Gedächtnis. Auch in China erfreuen sich Bewertungsportale für Reisen großer Beliebtheit. Positive Einträge über Ihr Hotel oder Geschäft sind hervorragendes Marketing.
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Claudine__ meint
Egal wie anstrengend die sein können: für Luxus-Shopping sind Chinesen einfach mittlerweile die wichtigste Zielruppe in Europa…
Lisa meint
Laut dem „Chinese International Travel Monitor 2018“, der vom Buchungsportal „hotels.com“ herausgegeben worden ist, geht die Tendenz beim Einkaufsverhalten in Richtung „lokale und regionale Produkte“ statt zu teuren Luxusprodukten internationaler Marken zu greifen. Lieber ins Museum oder andere lokale Attraktionen ansehen als in die Shoppingmaile, lautet (angeblich) die Devise. Zumindest was den „chinesischen Touristen der neuen Generation“ betrifft.
Auch die Vorstellung, dass Chinesen nur in Massen verreisen, ist mittlerweile überholt. Zwei Drittel der chinesischen Touristen verreisen alleine oder mit der Familie. Auch verreisen sie öfters und bleiben länger, sodass das Klischee „Drei bis fünf Länder in einer Woche“ auch nicht mehr so ganz stimmt.
Ich fand den Artikel hier sehr interessant! Danke sehr!