Von ICC-Redakteur Malte Steffenhagen
Ist Trump das kleinere Übel? Für viele Chinesen, egal ob sie in China oder in den USA leben, ist die Antwort auf diese Frage ganz klar: Ja! Für einen Deutschen ist dies zunächst eine unerwartete und kaum nachvollziehbare Reaktion. Wir haben auf der Suche nach einer Erklärung soziale Medien in China durchforstet – wie beispielsweise die Frage-Antwort-Website Zhihu 知乎 – auf der Suche nach der Antwort auf die Frage.
Was für Gründe kann es geben, dass Chinesen lieber Donald Trump (Chuanpu 川普 oder Telangpu 特朗普) als Hillary Clinton (meist nur Xilali 希拉里) im Weißen Haus sehen möchten? Um möglicherweise den ersten Schock etwas zu mildern, kann an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass nicht jeder Chinese, der zugibt, lieber Trump als US Präsidenten zu haben, automatisch auch ein enthusiastischer Trump-Fan ist. In der Regel wird Trump nur als die bessere von zwei schlechten Optionen empfunden. Vier Argumente finden sich im Folgenden:
1. Trump ist wenigstens ehrlich
Einer der größten Unterschiede zwischen Donald Trump und Hillary Clinton scheint auf den ersten Blick der zu sein, dass Trump so redet, wie es ihm in den Sinn kommt, wohingegen Clinton wesentlich professioneller und kontrollierter auftritt. In den Augen der Chinesen wirkt sie kühl und karrieregetrieben. Für viele Chinesen scheint es beinahe so, als könne man nicht hinter die Fassade der Hillary Clinton gucken. Gleichzeitig ist eine persönliche Ebene für Chinesen in jeder Hinsicht essentiell, was bei Clinton nicht möglich zu seinen scheint. Zahlreiche Chinesen wissen also nicht wirklich, mit was für einer Person sie es wirklich zu tun haben. Trump hingegen ist teilweise plump und unkontrolliert. Interessanterweise ist dies einigen Chinesen wohl lieber, da sie bei ihm wenigstens wissen, woran sie sind.
2. Clinton hat sich zu viel eingemischt
Ein weiterer Grund für Chinesen, Trump zu bevorzugen, hat er ebenso seiner Konkurrentin zu verdanken. Hillary Clinton hatte während ihrer Amtszeit als Außenministerin der Vereinigten Staaten mehrere Reisen nach Ostasien unternommen. Chinesen haben diese Besuche allerdings nicht in allzu guter Erinnerung. Der Eindruck, der in China geblieben ist, ist der von einer harten Politikerin, die es sich nicht nehmen ließ, immer wieder das Thema Menschenrechte anzusprechen. Dies wurde nicht nur als undiplomatisch empfunden, sondern vor allem auch als anmaßend. China besteht auf seine Souveränität und begrüßt derartige Einmischungen von außen keineswegs. So wie Peking sich nicht in Washingtoner Angelegenheiten einmischt soll Washington sich auch nicht in Pekinger Angelegenheiten einmischen, lautet hier das Credo. Oder wie ein chinesisches Sprichwort besagt: „Jeder sollte den Schnee vor der eigenen Tür fegen und sich nicht um den Frost auf des Nachbars Dach kümmern.“ Ebenso hat Hillary Clinton aus chinesischer Sicht gegen diesen Grundsatz verstoßen, indem sie sich auch in die Taiwan-Frage eingemischt habe. Dieses sehr empfindliche Thema trägt auf beiden Seiten der Taiwanstraße bis heute großes Konfliktpotential und ist mit viel patriotischer Emotion verknüpft. Beide Seiten begegnen sich mit Vorsicht, wobei jede diplomatische Brücke, die gebaut wird, auf sehr wackligen Fundamenten steht. Die Einmischung Clintons wurde daher als unsensibel und unangebracht verurteilt. China kann also unter Präsident Trump vermeintlich aufatmen, da davon auszugehen ist, dass Washington sich vorerst nicht mehr in die eigenen Angelegenheiten einmischen wird.
3. Amerikanischer Rückzug ermöglicht chinesischen Aufstieg
Falls Trump seine Wahlversprechen wirklich in die Tat umsetzt, rechnen sich die Chinesen gute Chancen aus. Im Gegensatz zu Hillary Clinton will Donald Trump sich wirtschaftlich und politisch weniger auf den ostasiatischen Markt konzentrieren. Dies bietet China eine Chance, Macht und Einfluss in der Region auszubauen. Wenn Trump tatsächlich seine Isolationsvorhaben realisiert, kann China seinen Einfluss sogar auf einer größeren Bühne ausweiten. Falls im Zuge all dieser Entscheidungen Trumps‘ der Verfall der amerikanischen Macht in der Welt die Folge sein sollte, so rechnen sich manche Chinesen gute Chancen aus, diese Position zu übernehmen.
4. Mao wäre bestimmt auch für Trump gewesen
Mao Zedong 毛泽东 (1893-1976) ist bis heute eine Autorität und wird gerne auch für aktuelle politische Diskurse zurate gezogen, nach dem Motto: Was würde Mao tun? Auch heutzutage steht er somit zumindest noch symbolisch „im Dienste seines Volkes“ (wei renmin fuwu 为人民服务). So beruft man sich auf eine Äußerung des sogenannten Großen Vorsitzenden, in der er erklärte, dass er lieber mit den Republikanern verhandle. Diese seien zum einen pragmatischer als die Demokraten, zum anderen würden sie nicht ständig ihre ideologischen Differenzen hervorheben. Daher muss dies auch auf den amtierenden Premier Xi Jinping 习近平 zutreffen, da er in der Tradition Maos stehe und ähnliche Ansichten vertreten könnte.
Wie sich das Verhältnis zwischen den USA und China tatsächlich weiterentwickelt, bleibt abzuwarten. Trumps jüngste Kampfansagen an China als Handelsmacht lassen eher ein problematisches Verhältnis erahnen. Dass es beim ersten Besuch eines japanischen Staatsmannes bei Präsident Trump in den USA sogleich diplomatische Verstimmungen gab, dürfte einige Chinesen freuen. Denn aufgrund der historischen Feindschaft zwischen China und Japan erhalten Japan-Gegner häufig chinesischen Zuspruch. Ob das wohl nur ein weiterer von Trumps unbeabsichtigt unpräsidialen Auftritten war, spielt dabei dann keine große Rolle.
Hinweis des Autors: Dieser Artikel erhebt nicht den Anspruch, die Ansichten der chinesischen Bevölkerung repräsentativ darzustellen. Es sollen lediglich einige grundsätzlich verschiedenen Ansichten und Denkweisen vorgestellt werden.
Chinas Soft Power: Mit Konfuzius zur Konkurrenz für die USA?
Die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB): ein Überblick
Kaugummi und Kuscheln beim APEC-Gipfel – ein interkultureller Rückblick
Chinas Wechselkurspolitik: Renminbi-Aufwertung als Fluch oder Segen?
Foto: Screenshot Zhihu
Diskutieren Sie mit!