Chinas Außenpolitik lässt sich nicht leicht verstehen. Viele fragen sich: Gibt es einen Masterplan? Eine Grand Strategy, die irgendwo im Verborgenen geplant wurde und wird? Welche Position möchte China in der Zukunft sowohl in Asien als auch im Rest der Welt einnehmen und lässt sich diese auf das chinesische Altertum zurückführen? Gunnar Henrich ist dieser Frage nachgegangen und stellt seine Überlegungen den ICC-Lesern vor.
Die chinesische Grand Strategy nach Alastair Ian Johnston
Es gibt verschiedene Ansätze zu der Frage, ob in der chinesischen Geschichte und insbesondere in der heutigen Außenpolitik der VR China Elemente einer oder mehrerer Grand Strategies zu finden sind. Johnston befasst sich sowohl mit schriftlichen Quellen wie den philosophischen sieben militärischen Klassikern als auch mit der Beobachtung von strategischem Verhalten durch die Ming-Kaiser. Zwei Hauptstränge einer chinesischen Strategiekultur werden von Johnston ausgemacht. Zum einen die friedliebende, gewaltlose Kultur nach der Philosophie von Konfuzius. Zum anderen ein gewaltbejahendes, expansives und aggressives militärisches Denken, als Parabellum Paradigma bezeichnet. Zunächst wird die konfuzianisch-menzianische Kultur vorgestellt.
Das konfuzianisch-menzianische Paradigma
Der als Philosoph wirkende Konfuzius lebte im 5. Jahrhundert vor Christus und betonte die Harmonie als wichtigstes erreichbares Ziel. Menzius (chin. Mengzi) wirkte als Nachfolger Konfuzius. Beide Philosophen sind Namensgeber der ersten von Johnston aufgedeckten Grand Strategy. Die chinesische strategische Kultur basiert auf verschiedenen möglichen Anwendungsformen. Ein Realpolitik- Präferenzranking von strategischen Möglichkeiten wird von einer Bereitschaft zu absoluter Flexibilität begleitet. Die tiefergehende Struktur der Sieben Militärischen Klassikern reflektiert das Parabellum Paradigma als weiteres Beispiel strategischer Kultur. Über dieser tiefergehenden Struktur der sieben militärischen Klassiker stehen jedoch viele verschiedene Sprachen, Logiken, und Entscheidungsregeln. Diese sind konsistent mit der konfuzianisch-menzianischen strategischen Kultur. Johnston untersucht die sieben militärischen Klassiker nach Hinweisen darauf, ob die konfuzianisch-menzianische Kultur von den Verfassern der Klassiker bevorzugt wurde. So erkennt er bei dem klassischen Autor Wu Zi Bing Fa zwei Beispiele, in denen die Anwendung politisch diplomatischer Methoden kausal für die Bekämpfung des Gegners angesehen werden. Das großstrategische Verhalten auch seit 1949 sei charakterisiert durch reine Verteidigung, ein Nullsummenkonzept von Konflikten, um Eskalationen zu vermeiden. Eine strikte Hierarchie politischer Ziele sei demnach vorherrschend gewesen. Wie Johnston weiter ausführt, ist diese Auslegung der Überwindung des Feindes ohne Gewalt nicht zutreffend Nach Johnstons Interpretation kann die Überwindung des Feindes ohne Kampf auch dahingehend gedeutet werden, dass der Feind erst geschwächt und anschließend bekämpft werden sollte. Den Primat der absoluten Flexibilität, quan bian, deutet er im Einklang mit Sun Zi`s Prinzip als ein Menü strategischer Entscheidungen. Johnston sieht die Auslegung des Prinzips von Sun Zi als Menü strategischer Möglichkeiten oder als zeitliche Abfolge verschiedener Aktionen. Es gibt wenig Beweise dafür, dass die sieben militärischen Klassiker Anpassungsstrategien gegenüber defensiven oder offensiven Strategien vorziehen. Johnston sieht im Gegenteil Belege dafür, dass eine Mehrheit der Texte eine Präferenz für gewaltbejahende Strategien vor Anpassungsstrategien erkennen lassen
Das Parabellum Paradigma
Johnston kommt zu dem Schluss, dass ein Parabellum Paradigma existiert. Er definiert das Parabellum Paradigma als si pacem parabellum. Der lateinische Terminus benennt eine Vorbereitung auf Krieg, wenn man Frieden will. Wenn jemand bedroht wird, braucht er entsprechende Vorbereitungen und Strategien, um der Bedrohung zu begegnen. Die Sicherheit des einzelnen ist folglich abhängig von den relativen und absoluten eigenen Fähigkeiten. Mit diesen Fähigkeiten kann er der Bedrohung begegnen und im Zweifel den Gegner vernichten. Die Vernichtung des Feindes ist aber nur dann notwendig, falls die Bedrohung durch den Feind anders nicht beseitigt werden kann. Johnston kritisiert den gegenwärtigen Stand der Literatur, der sich mit großen Strategien beschäftigt. Als erste große Strategie nennt er die Sinisierungs- oder Anpassungsstrategie, bei welcher Sicherheit durch Allianzbildung oder uni-, bi- oder multilaterales Handeln gewonnen wird. Diplomatie, politischer Handel und ähnliche Methoden seien bestimmend. Die physische oder politische Vernichtung des Gegners wird ausgeschlossen. Als zweite große Strategie nennt Johnston die defensive Strategie, wobei hier durch statische Verteidigung Sicherheit möglich sei. Die Anwendung von Gewalt wird nicht erwogen, um Gebiete des Gegners zu besetzen oder zu zerstören. Die dritte große Strategie sei die expansiv-offensive. Diese Strategie basiert auf der Idee des vorbeugenden und offensiven Einsatzes von Gewalt, um den Gegner zu vernichten und sein Gebiet zu besetzen. Alle drei großen Strategien sind nach Johnston Idealtypen.
Ergebnisse
Die Erkenntnisse Johnstons über das Parabellum Paradigma haben die bis dahin vorherrschende Meinung über eine chinesische Grand Strategy erheblich beeinflusst. Johnston untersucht das chinesische Konflikt- und Krisenverhalten. Er kann bei seiner Untersuchung auf ein relativ neues Datenset des nationalen Krisenmanagements, dem Military Interstate Dispute (MID), zurückgreifen. Johnstons Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass China zwar nicht am häufigsten in bewaffnete Konflikte verwickelt war, jedoch auch nicht komplett vor Gewalt zurückschreckt.
Gunnar Henrich ist den ICC-Lesern durch seine genialen Reisetagebücher ein Begriff. In seiner Masterarbeit, die hier auszugsweise veröffentlicht wird, hat er sich mit Chinas Außenpolitik und Soft Power-Bemühungen befasst.
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