Leere Straßen, weil ganz Deutschland vor dem Fernseher sitzt, gibt es immer weniger. Ausnahmen sind vielleicht die Endspiele großer Fußballturniere mit deutscher Beteiligung. In China gibt es diese Straßenfeger aber noch – einer davon ist die jährlich stattfindende Frühlingsfest-Gala im Staatsfernsehen. ICC hat sich die Show wieder ganz genau angeschaut und auch das Beben in den sozialen Medien mitverfolgt.
Das gemeinsame Anschauen der Frühlingsfest-Show auf dem Sender CCTV1 ist eine lang gehegte Tradition, die auch Chinesen fern der Heimat gerne pflegen. Wer die Sendung aufgrund der Zeitverschiebung nicht live schauen kann, verfolgt sie heimlich übers Smartphone während der Arbeit. Oder holt es abends zu Hause mit Familie und Freunden nach, während man in einer geselligen Runde Maultaschen formt und ein Festessen zubereitet. Auch in diesem Jahr hat ICC-Redakteur Volker Stanislaw das TV-Event live verfolgt und einen ausführlichen Rückblick zusammengestellt.
Chunwan – das größte Live-Fernsehereignis der Welt
Die CCTV Frühlingsfest-Gala (kurz: Chunwan 春晚, wörtl. „Silvesterabend“) ist die Fernsehshow mit den meisten Live-Zuschauern der Welt. Sie ist auch das Format, das online für die größte Furore sorgt und am häufigsten kommentiert wird. Seit 1983 wird die Sendung jedes Jahr am Silvesterabend im chinesischen Fernsehen und online live übertragen. Im Jahr 2018 fand sie zum 36. Mal statt. Insgesamt dauert die Sendung ganze vier Stunden. Fragt man Chinesen nach ihrer Motivation, so lange durchzuhalten, ist die Antwort, dass dies zu einem richtigen chinesischen Silvesterabend einfach dazugehöre.
Die deutsche Begeisterung für Dinner for One ist kein Vergleich, denn die chinesische Show ist stärker in den Silvesterfeierlichkeiten selbst verwurzelt. Natürlich hat die beliebte Sendung nicht nur einen großen Unterhaltungsfaktor. Sie dient gleichzeitig dazu, die chinesischen Werte und Ideologien zu verbreiten und dem chinesischen Volk die derzeit beliebtesten, aber auch besonders akzeptierten Stars zu präsentieren.
Die Dimensionen der TV-Gala – US-Superbowl kann einpacken
Die Frühlingsfest-Gala stellt sogar den Superbowl in den USA in den Schatten. Seit der Erstausstrahlung 1983 zieht sie zig Millionen von Zuschauern in den Bann. 2010 hatte die Gala rund 730 Millionen Zuschauer, 2014 bereits 900 Millionen. Mit der rasanten Zunahme des Publikums wuchs parallel aber auch die Zahl der kritischen Stimmen – besonders in den sozialen Medien. 2016 war die Zahl der Kritik an der Show im chinesischen Twitter-Pendant Weibo so hoch, dass kurzfristig die Kommentarfunktion komplett ausgeschaltet wurde. Augenzwinkernd heißt es unter Followern gerne: „Es gab bisher keine schlechteste Show, die Show ist nur immer schlechter als letztes Jahr.“
Insgesamt treten im Durchschnitt rund 30 verschiedene Acts in der vierstündigen Show auf: Tanz, Gesang, Comedy und Akrobatik – für alle ist etwas dabei. Die Auftritte, die am meisten geliebt und gleichermaßen gefürchtet werden, sind die humorvollen Darbietungen namens Xiaopin 小品 und Xiangsheng 相声. Xiaopin-Stücke sind mehrminütige Theaterstücke (ähnlich dem deutschen Ohnsorg-Theater), während Xiangsheng traditionelles chinesisches Kabarett ist und vom feinen Wortwitz lebt. Bei den Xiangsheng-Auftritten ist ein Darsteller meist der Wortführer, der andere wird durch Witze geneckt.
Chinas TV-Gala zum Frühlingsfest 2018 im Rückblick
In der diesjährigen Show traten 42 verschiedene Acts auf, die Gala wurde in Peking produziert. Jedes Jahr läuft parallel zur Live-Sendung eine zuvor aufgezeichnete Sendung. Bei Problemen kann somit schnell zur optimalen Version umgeschaltet werden. Wie auch in 2017, wurde von mehreren chinesischen Orten live durch Zuschalten besonderer Inhalt gesendet. 2018 wurde aus Qiandongnan (Guizhou), Qufu (Shandong) Tai’an (Shandong) und Sanya (Hainan) berichtet. Jede Stadt hatte einen eigenen Moderator, der die Zuschauer meist im lokalen Dialekt begrüßte. Die jeweiligen Acts vor Ort sind ebenso möglichst mit der lokalen Tradition verbunden.
Alte Überraschungen, Glücksfarbe und das Motto 2018
2018 traten viele taiwanesische Künstler auf. Die Überraschung in 2018 war, dass viele Künstler aus 2017 wieder auftraten. Offenbar hat man auf neue Künstler bewusst verzichtet. Bestes Beispiel ist Jackie Chan, der 2017 ein Lied mit dem Titel „Nation“ sang. 2018 stimmte er ein Lied mit dem Titel “China“ an. Gleich zu Beginn der Show wurde es farbenfroh: Rot als chinesische Glücksfarbe dominierte. Der rote Faden zog sich auch durch die Sendung. Der Eröffnungsact wurde nach den Farben Rot und Purpur benannt.
Verschiedene Künstler aus China, Hong Kong und Taiwan waren mit eigenen Darbietungen dabei. Aus Hongkong traten die Sängerin und Schauspielerin Joey Jung 容祖儿 auf, aus Taiwan Vic Chou, ehemals Mitglied der Band F4. Das Duo Phoenix Legend 凤凰传奇, bestehend aus der Sängerin Yangwei Linghua und dem Rapper Zeng Yi, hatten ebenfalls einen Auftritt.
Die Hosts der Show waren den Zuschauern mehr als bekannt – es waren berühmte CCTV-Moderatoren. 2018 durften Kang Hui 康辉, Zhu Xun 朱迅, Ren Luyu 任鲁豫, Li Sisi 李思思 und Nëghmet Raxman 尼格买 die Show moderieren. Kang, Zhu und Raxman waren bereits 2017 die Moderatoren. Zhu Xun (Jahrgang 1973) stammt aus Suzhou. Sie moderierte die Show bereits zum fünften Mal. Li Sisi (Jahrgang 1986) war das Küken der Show und die jüngste unter den Moderatoren. Kang Hui (Jahrgang 1972) stammt aus Hebei. Er ist Nachrichtensprecher bei CCTV. Ren Luyu (1978) stammt as Henan. Er durfte die Show bereits in 2010 und 2016 moderieren. Nëghmet (Jahrgang 1983) hat uyghurische Wurzeln. Seit 2015 gehört er zum Moderatorenteam dazu.
Jedes Jahr hat die Sendung ein neues Motto: Themen der letzen Jahre waren der „Chinesischer Traum“ oder „Familienaffinität“. 2018 lautete das Motto „Chinesische Werte, chinesische Kraft“. Das Motto steht somit stark im Zusammenhang mit dem 40-jährigen Jubiläum des Beginns der von Deng Xiaopings eingeleiteten wirtschaftlichen Öffnungspolitik des Landes. Regisseur der diesjährigen Sendung war Yang Dongsheng 杨东升 aus Guangdong.
Comedy-Analyse der Frühlingsfest-Show 2018
„Echter oder falscher Lehrer“ und „Nach Hause kommen“
Schon recht früh in der Show dieses Jahr wurde der erste humoristische Beitrag gebracht. Letztes Jahr wurde ein Theaterstück kritisiert, weil es in den Augen vieler Zuschauer die „Frau als Gebärmaschine“ portraitiert habe. Dieses Jahr trug das erste Stück den Titel „Echter oder falscher Lehrer“. Der Inhalt im Überblick: Ein Schüler engagiert eine Haushälterin, die sich als seine Mutter ausgeben soll, weil ein Lehrer die Familie besuchen möchte, um die schulischen Leistungen des Jungen zu kritisieren. Die Eltern des Schülers leben und arbeiten im Ausland, so scheint es zumindest. Überraschenderweise stattet aber dann der leibliche Vater seinem Sohn einen Besuch ab, denn dieser lebt weiterhin in China. Und die Moral von der Geschichte? Nicht immer sind die Schüler wegen ihres Verhaltens zu kritisieren, manchmal sind auch die Eltern verantwortlich.
Im dritten Xiaopin-Stück hatte man sich offenbar der Kritik des letzten Jahres angenommen. In 2017 seien zu viele nordchinesische Dialekte vorgekommen, 2018 war die landesweite Vielfalt größer. Das Stück „Nach Hause kommen“ spielte in Shandong. Die Schauspieler Fang Fang, Zhang Chenguang, Du Zhulin und Wang Ji glänzten mit taiwanesischen Dialekt. Die Story als Kursversion: Die Protagonisten kaufen extra für die Familie neue Handtücher aus Taiwan, diese wurden aber in Shandong produziert.
Generell fiel bei der Gala in diesem Jahr der Taiwan-Fokus auf: Viele Acts waren Sängerinnen und Sänger aus Taiwan, viele Szenen hatten auch einen taiwanesischen Themenbezug. So auch die Interpretation des Stückes „Nach Hause kommen“: Demnach ist Taiwan im chinesischen Festland angekommen. Die Moral des Theaterstückes lässt sich so zusammenfassen, dass Taiwan-Chinesen ihre chinesischen Wurzeln nicht vergessen sollen. Taiwan und Festland-China hätten eine unzerstörbare Verbindung.
„Teilt die gemeinsame Freude“ – und heftige Kritik
Jedes Jahr schießen sich die chinesischen Netizens mit ihrer Kritik auf einen Auftritt besonders ein. In 2018 war es das Stück „Teilt die gemeinsame Freude“ 同喜同乐. Die Kritik auf Weibo lässt sich in zwei Worte zusammenfassen: „rassistisch und unpassend“. Sehen wir uns das Stück im Detail an. Laut offiziellem Weibo-Account der Show soll dieses Stück in Kenia spielen. Ein chinesischer Gastgeber (gespielt von Zheng Kai 郑恺)empfängt einige Besucher. Hintergrund: Eisenbahnarbeiter feiern die Eröffnung der neugebauten Bahnstrecke zwischen Nairobi und Mombasa, die von Chinesen gebaut wurde.
Wie die South China Morning Post berichtet, wurde das Stück von afrikanischen Tänzern eröffnet. Danach ging es mit der Konversation zwischen dem chinesischen Gastgeber und seiner afrikanischen Freundin weiter. Sie bittet ihn um Hilfe für ein Blind Date, was von ihrer Mutter arrangiert wurde. Diese Mutter ist der Mittelpunkt der Kritik im Internet. Die Rolle wurde von Lou Naiming 娄乃鸣 gespielt, die einen Obstkorb auf dem Kopf trug und deren Gesicht schwarz angemalt wurde. Darüber hinaus betrat sie die Bühne in Begleitung eines kostümierten Affens.
Die eigentliche Idee hinter dem Stück war die positive Hervorhebung der chinesischen „One Belt, One Road“-Initiative. Dass es dabei zu einem vermutlich nicht bösgemeinten, aber unsensiblen Umgang mit unterschiedlichen Hautfarben kam, ist in China nichts Neues. Im Jahr 2016 wurde noch ein Werbe-Clip für ein Waschmittel massiv kritisiert, in dem eine Chinesin einen dunkelhäutigen Verehrer in eine Waschmaschine steckt.
Zusammenfassung: Auch in 2018 nicht die schlechteste Show!
Wie in den Jahren zuvor, war auch in 2018 wieder alles mit dabei: Humor, Kinderunterhaltung, Patriotismus, Militär und noch viel mehr. Auch die Online-Kritiker waren wieder äußerst aktiv und man einigte sich darauf, dass 2018 nicht die schlechteste Show war, es aber auch schon bessere gab. Wann wird dieses Ereignis eigentlich in Deutschland übertragen? Wann wird es hier die ersten Einladungen zum Rudelgucken geben? Wir berichten natürlich auch im nächsten Jahr wieder von der Chinas TV-Gala zum Frühlingsfest. Jetzt erst einmal ein frohes chinesisches Jahr des Hundes. Das hat nämlich gerade angefangen.
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