In jedem China-Ratgeber lässt sich nachlesen, dass der richtige Beziehungsaufbau die notwendige Voraussetzung für eine erfolgreichen Zusammenarbeit mit Chinesen darstellt. Freundschaftliche Beziehungen seien unbedingt erforderlich, um überhaupt ins geschäftliche Gespräch zu kommen. Ausführlich wird zudem beschrieben, wie man beim Geschäftsessen richtig anstößt, ohne aber im Alkoholrausch unterzugehen. Dies alles sei auf die chinesische Tradition zurückzuführen. Die Frage ist nur, ob das im heutigen China noch genauso gilt…
Der Wandel im Reich der Mitte ist so umfassend und vielfältig, dass weder die Menschen vor Ort noch die Zugereisten ihn wirklich nachvollziehen können. Das hat natürlich große Auswirkungen auf das Geschäftsverhalten im Land. China ist in seinen Großstädten extrem international, doch finden sich weiterhin traditionelle Elemente und Mischformen aus Alt und Neu. Das gilt in besonderem Maße für die Wirtschaftskommunikation, die zu beschreiben zunehmend schwieriger wird. Viele Beobachtungen sind mittlerweile zum halbwahren Klischee verkommen. Zahlreiche soziale Phänomene sind noch existent, haben sich allerdings verändert oder weiterentwickelt. Zwei wahre Mythen über den Umgang mit chinesischen Geschäftspartnern sehen folgendermaßen aus:
Ohne Alkohol kein Geschäftserfolg in China?
Man muss in China trinken können, um eine gutes Geschäft abzuschließen? Ja. Und nein. Es kommt noch immer vor, dass man pro gemeinsam getrunkener Flasche Schnaps einen Deal günstiger abschließen kann. Oder dass jemand eine Kiste der verhandelten Waren pro Lieferung dazu geschenkt bekommt, wenn er oder sie eine Flasche mehr schafft als der Geschäftspartner. Einige Regionen und Branchen Chinas sind besonders trinkfreudig und selbst eine ernsthafte Krankheit hält niemanden vom ausgedehnten Trinkspiel ab. Andererseits gibt es mittlerweile auch Geschäftszweige und Individuen, die sich mehr oder weniger freiwillig vom übermäßigen Konsum abwenden. Hinzukommt, dass durch die Bekämpfung der Korruption gerade in Regierungs- und regierungsnahen Kreisen die großen Bankette abgesagt werden. Selbstverständlich trinken und feiern chinesische Geschäftsleute weiterhin gerne mit Kollegen, aber geschieht dies häufiger im kleineren oder versteckten Kreis.
Freundschaft als Grundlage für erfolgreiches Chinageschäft?
Ein gutes Verhältnis ist beim Umgang mit chinesischen Geschäftspartnern weiterhin sehr wichtig. Doch hier sind ebenfalls einige Einschränkungen beziehungsweise Erklärungen notwendig. Wie in früheren ICC-Artikeln beschrieben, handelt es sich bei der chinesischen „Geschäftsfreundschaft“ um ein vor allem für Deutsche sonderbares Konzept. Man wird in China schnell als Freund bezeichnet, obwohl dies zumeist vorläufige Rhetorik ist, um sich überhaupt erst etwas kennenzulernen. Die tatsächliche Beziehungsarbeit folgt im Anschluss. Und hier scheitern Deutsche regelmäßig, weil ihnen der Umgang mit Chinesen zu intim oder zu kompliziert erscheint. Beim Beziehungsaufbau gilt es, ständig präsent zu sein, Wünsche vorwegzusehen und stets etwas mehr zu geben als einzufordern. Ob sich das langfristig lohnt, zeigt freilich erst die Zukunft. Ist indes ein Vertrauensverhältnis (guanxi 关系) aufgebaut, lässt sich auf einen guten chinesischen Partner durchaus bauen. Garantien gibt es bei diesem sozialen Abkommen, das sich nicht als Zweckbeziehung verstehen will, leider nicht. Heutzutage lässt sich darüber hinaus beobachten, dass insbesondere junge Chinesen auf eine übermäßig lange Anbahnung verzichten möchten, hingegen nach wie vor von einem freundschaftlichen Geschäftsverhältnis sprechen. Ein Zauberwort in diesen Gesprächen erklärt der nächste Abschnitt.
Yuanfen – Zauberwort im Umgang mit chinesischen Partnern
Aberglaube und Schicksalsdenken hat in China eine eigene und besonders ausgeprägte Tradition. Ob vom eigenen Tierkreiszeichen oder vom Wahrsager auf der Straße – seit jeher lassen sich viele Chinesen gerne die Zukunft (positiv) voraussagen und hoffen auf den einen glücksbringenden Moment. Aufgrund der unsicheren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wurden im Reich der Mitte lange Zeit gute Beziehungen auch als Sicherheitsfaktor aufgebaut. Heutzutage sind die rechtlich-strukturellen Bedingungen wesentlich besser. Zugleich entwickeln sich Märkte und Branchen rasant und teils unberechenbar. Das hat zu einigen, vermeintlich schicksalhaften Erfolgsstorys aus dem Nichts geführt. Diese stehen nicht nur in der Tradition des amerikanischen und seit jüngerer Zeit im Zeichen des chinesischen Traums. Sie haben ebenso zur Folge, dass in der Geschäftskommunikation neben einer guten Beziehung die richtige Chance der Zusammenarbeit immer stärker betont wird. Beim gemeinsamen Kennenlernen, sei es nun feucht-fröhlich oder nicht, kommt irgendwann die Rede auf das beidseitige Schicksal: Auf Chinesisch heißt dieses an sich sehr tiefgründige Konzept, das seine Wurzeln im Buddhismus hat, yuanfen 缘分. Wie lässt sich als Nicht-Chinese damit umgehen? Es geht in den Gesprächen vornehmlich darum, Gemeinsamkeiten zu finden und gemeinsame Möglichkeiten aufzuzeigen. Dies steht wiederum im Einklang mit der chinesischen Tradition der Gesichtswahrung und -stärkung. Aber noch bedeutender sind die Argumente, warum gerade hier und jetzt der Beginn einer Erfolgsgeschichte anstehen dürfte. Ist man sich darüber einig, darf es auch schnell gehen mit der weiteren Kooperation. Manchmal zu schnell für den deutschen Partner, der dann doch lieber den sicheren Weg wählt. Schicksal hin oder her.
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Heinz Gabel meint
Ich habe bei chinesischen Geschäftsleuten folgendes festgestellt: Ausgiebige Trinkgelage und exquisite Massageclubs samt Vermittlung entsprechender Damen für sexuelle Dienste sind gerade bei muslimischen Geschäftspartnern sehr gefragt, ob sie aus Saudiarabien, der Türkei oder dem Iran kommen. Gerade mit dem Iran entwickelt sich seit der Lockerung der Wirtschaftssanktionen ein regelrechter Boom. Geschäftspartner aus dem muslimischen Bereich kommen gerade deswegen, um den Restriktionen (Alkohol, Sex) zu Hause zu entfliehen. Bei Iranern stelle ich zudem fest, sie möchten 500 Euro Scheine, versteckt in den Schuhen, mit nach Hause schmuggeln. Das wird alles in den Geschäftsabschluss eingerechnet. Auf dieser Basis entwickeln sich zurzeit zahlreiche neue Deals, die dem chinesischen Geschäftspartner (Vermittler) bis zu 100.000 Dollar aufs Jahr gerechnet persönlich einbringen, unabhängig vom georderten Auftrag. Ich kenne ein Beispiel aus dem Bereich medizinischer Implantate wie Hüft- und Kniegelenke, wobei es sich um Nachbauten europäischer und amerikanischer Originale handelt. Der Deal geht über ganz persönliche sehr gute Beziehungen – man ist dann nicht nur best friend, sondern auch noch brother bis hin in den privaten Bereich mit gegenseitigen Urlauben. Selbstverständlich werden auch Flüge und Hotels dabei übernommen sowie ausgiebiges Sightseeing in China.