Von ICC-Redakteur Jörn Binczyk
Erzählt man seinen Freunden und Bekannten, dass man nach Taiwan reist, wissen viele oft nicht einmal wo dieses Taiwan eigentlich liegt. Manch einer verwechselt es gar mit Thailand, manchmal sogar die Medien (zuletzt die The San Jose Mercury News im Rahmen der Berichterstattung über die Anschläge in Bangkok. Doch Taiwan ist viel mehr – unter anderem ein empfehlenswertes Wanderziel.
Für diejenigen die Taiwan zumindest geographisch verorten können, bedeutet Taiwan oft nur Hightech-Industrie – schließlich sind einige der führenden Technologie-Firmen wie ASUS, Acer und HTC in Taiwan beheimatet – oder man denkt lediglich an Taipeh, das man als Städtetrip innerhalb einer Asienreise nicht nur aufgrund der tollen Museen und der Nähe zu Hongkong und Shanghai und der dadurch sehr günstigen Flüge oft gerne als Zwischenstopp mitnimmt. Doch hier soll es nicht um den Charme Taipehs gehen, auch nicht um die kulinarische Vielfalt der Insel und das oft zitierte, aber nicht weniger richtige Klischee, dass das Essen im Süden viel besser sei. Ich möchte die Insel Taiwan von einer anderen Seite beleuchten. Nämlich von einer dem Mainstream-Tourismus oft verborgenen Seite: Taiwan als Wanderparadies.
Taiwan, das ist die Ilha formosa, die „schöne Insel“ wie sie bereits von den portugiesischen Seefahrern genannt wurde. Nähert man sich der Insel bei gutem Wetter mit dem Flugzeug oder besser auf dem Seeweg von Osten her, dann wird einem sofort klar, weshalb sie ihr diesen Namen gaben. Palmen, lange goldene Sandstrände, tiefgrün bewaldete, hohe Gebirgsketten, die sich majestätisch aus dem West-Pazifik erheben. Ein atemberaubender Anblick. Und es sind genau diese beeindruckenden Berge, die Taiwan zu einem absoluten Geheimtipp für alle Wanderbegeisterten machen. Taiwan besteht zu etwa zwei Dritteln aus einem Gebirge, das sich – teilbar in fünf Gebirgsketten – über 330km von Norden nach Süden über die Insel erstreckt. In Ost-West Richtung ist das Gebirge durchschnittlich 80km breit. Die Bergkette besteht aus über 200 Gipfeln, die die 3000m-Marke überschreiten. Die höchste Erhebung der Insel ist der Jadeberg (Yu Shan 玉山). Er misst 3952m und befindet sich etwa am nördlichen Wendekreis, der die Tropen von den Subtropen trennt. Mehr als genug Berge zum Wandern also.
Doch wozu sollte man die weite Reise auf sich nehmen, wo wir doch in Deutschland selbst jede Menge Gebirge und Wanderwege haben? Die Antwort liegt in der enormen Vielfalt Taiwans. Zum einen gibt es unzählige Wanderwege aller Schwierigkeitsstufen. Von einfachen bis mittelschwierigen Wanderwegen im Yangmingshan Nationalpark 陽明山國家公園, über halsbrecherische Dschungelwege zu Gebirgsseen in Yulan, bis hin zu schweißtreibenden und treppenreichen Aufstiegen in der Taroko-Schlucht. Und dann sind da natürlich noch die 3000er Yushan, Xueshan, Dabajianshan und die Wuling Sixiu-Berge im Shei-Pa Nationalpark 雪霸國家公園. Jeder Berg und jeder Wanderweg ist einzigartig in seiner Schönheit. Der Wanderer ist nicht nur mit verschiedenen Klimata (Witterungsverhältnissen) konfrontiert, die sich von Stunde zu Stunde und Bergseite zu Bergseite teilweise rasch ändern können, sondern auch mit einer beeindruckenden, farbenfrohen und abwechslungsreichen Flora und Fauna, die Naturfreunde und Fotografen gleichermaßen in Staunen versetzt. So kann der Weg durch den mit Vögeln, Schmetterlingen und allerlei anderen Insekten bevölkerten Dschungel ganz leicht in offene, grasbewachsene Graslandschaften übergehen. Doch bei all der Schönheit darf man nicht vergessen, dass es hier und da auch giftige Schlangen und Wespen gibt, vor denen man sich unbedingt in Acht nehmen muss. Doch wer sich aller Gefahren und Widrigkeiten zum Trotz bei Sonnenaufgang hoch oben auf den Bergen befindet, wird zudem mit einem ganz besonderen Naturschauspiel belohnt: Wie ein Ozean aus Wolken umspült die weiße Wolkenpracht die Täler um den Fuß des Berges. Die Auf- und Abstiege, die in der Regel mehrere Tage dauern, sind meistens gut ausgebaut und ausgeschildert. Es gibt Besucherzentren, die den geneigten Wanderer vor aktuellen Gefahren und Schäden durch Taifune warnen. Vor allem auf den längeren Wegen findet sich ab und an ganz unerwartet eine Trinkwasserquelle, ein Campingplatz oder gar ein Hotel (beispielsweise das Songxuelou 松雪樓-Hotel auf dem Hehuanshan 合歡山 in 3115m Höhe).
Wer sein Campingequipment nicht den weiten Weg nach Asien mitnehmen möchte, kann sich vor Ort (beispielsweise in Taipeh) professionelles Equipment für wenig Geld ausleihen, denn die Taiwaner entpuppen sich bei näherer Betrachtung als erstaunlich wanderlustiges Volk (festes Schuhwerk sollten sich aber besonders großgewachsene Menschen von Zuhause mitbringen). Dazu kommt, dass man auf Taiwan ohne Probleme überall Wildcampen darf. An der gesamten Ostküste sogar sehr bequem und kostenlos an Polizeistationen mit eigens dafür eingerichteten Campingplattformen. Darüber hinaus ist das Reisen innerhalb der Insel im Vergleich zu Deutschland unglaublich günstig und komfortabel. D.h. wer zwei oder drei Wochen Urlaub hat und körperlich dazu in der Lage ist, kann ohne weiteres mehrere Nationalparks ansteuern und verschiedene Berge besteigen. Für viele Hochgebirgsregionen sind spezielle Genehmigungen erforderlich. Diese Gliedern sich in Nationalparkzugangs- (ruyuan 入園) und Polizei- bzw. Bergzugangs- genehmigungen (rushan 入山). Diese lassen sich kostenlos und bequem online oder persönlich in den Besucherzentren beantragen. Einen Guide oder eine geführte Tour zu buchen, ist nicht notwendig, wird bei einigen sehr gefährlichen Touren aber empfohlen. Denn eines sollte man niemals tun: taiwanische Berge unterschätzen! Starke Regenfälle, die nasse Kälte auf den Bergen, giftige Tiere und Erdrutsche haben in der Vergangenheit immer wieder Menschenleben gefordert.
Wer sich der Herausforderung stellt, wird allerdings mit unbeschreiblichen Eindrücken und Erfahrungen belohnt, die man so kaum ein zweites Mal findet. In diesem Sinne: Jiayou 加油!
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