Viele wissen nicht, dass die Pulsdiagnose eine der ältesten diagnostischen Methoden ist. Die Anfänge reichen wohl schon 2.700 Jahre zurück. Oft staunen Patient:innen, was man alles am Puls erfühlen kann. Pulsdiagnose in der TCM – so funktioniert sie wirklich
Die Pulsdiagnose gilt als wesentlicher Bestandteil der Praxis der traditionellen chinesischen Medizin. Dazu gehören außerdem noch die Inspektion (allgemeine Beobachtung des Patient:innen und Zungendiagnose), die Auskultation und die Olfaktion (d. h. Hören und Riechen) sowie die Befragung (Einholung von Informationen über die Krankengeschichte und die Symptome des Patient:innen).
Pulsdiagnose als essenzieller Teil der TCM
Neben der Zungendiagnose ist die Pulsdiagnose in der TCM essenziell und unerlässlich. Deshalb ist auch sofort klar, dass sich die TCM nicht für Online-Konsultationen eignet. Die traditionelle chinesische Pulsdiagnose kann Ihrem TCM-Arzt viele Dinge über den Gesundheitsstatus und Beschwerden der Patient:innen sagen.
Man muss aber ganz ehrlich sagen, dass die Pulsdiagnose schwer zu beherrschen ist und es wirklich jahrelanges Training und Erfahrung erfordert, um die vielfältigen Pulsqualitäten zu erkennen.
Pulsdiagnose in der TCM – historische Ursprünge
Obwohl die erste Verwendung der Pulsdiagnose in der TCM nicht genau bekannt ist, findet sich einer der frühesten Hinweise darauf im Huang Di Nei Jing. Das ist auch bekannt als „Buch des Gelben Kaisers zur Inneren Medizin“ und entstand vermutlich zwischen 300 und 100 v. Chr.
In einer Passage des Buches heißt es: „Bei der Diagnose sind die Beobachtung des Geistes und der Gesichtsfarbe sowie das Abtasten der Pulse die beiden Methoden, die von den alten Kaisern und verehrten Lehrern hervorgehoben wurden“.
Das lässt auch darauf schließen, dass die praktische Anwendung der Pulsdiagnose schon lange vor der Abfassung des Huang Di Nei Jing existierte. Andere Passagen des Buches enthalten Informationen über bestimmte Arten von Pulsen und ihre Beziehung zu bestimmten Krankheiten.
Erstes Buch mit Schwerpunkt auf Pulsdiagnose
Ein weiteres wichtiges Werk, das sich mit der Pulsdiagnose befasst, ist das Mai Jing oder der Pulsklassiker (Engl.: „Essential Pulse Diagnosis in Chinese Medicine“). Es wurde vermutlich von Wang Shuhe, einem chinesischen Arzt aus dem dritten Jahrhundert n. Chr., verfasst.
Es ist das erste Buch, das sich ausschließlich der Pulsdiagnose in der TCM widmet. Das Mai Jing erweitert die im Huang Di Nei Jing enthaltenen Informationen und enthält eine breite Palette von Anwendungen für die Pulsdiagnose sowie Prognosen und Möglichkeiten zur Analyse von Krankheiten auf der Grundlage der Pulseigenschaften der Patient:innen.
Pulsdiagnose in der TCM – das Anwendungsfeld
Die chinesische Pulsdiagnose erfasst neben dem Herzrhythmus und der Herzfrequenz auch das „Volumen“ und die „Qualität“ des Pulsschlags. Nicht umsonst nennt man die Pulsdiagnose auch „Königsdisziplin“ in der TCM.
In erster Linie wird zunächst einmal der Zustand des Blutes und des Qis der Patient:innen beurteilt. Das Qi ist die (Lebens-)Energie, die durch die Akupunkturmeridiane des Körpers fließt.
Mithilfe der Pulsdiagnose kann der TCM-Arzt fühlen, in welchen Bereichen des Körpers das Qi gestört oder blockiert ist. Ebenfalls kann er den Zustand bestimmter innerer Organe bestimmen (Schwäche/Fülle).
Wie fühlt man den Puls in der TCM?
Gemessen bzw. gefühlt wird an der Arteria radialis oberhalb des Handgelenks, untersucht drei Fingerpositionen (cun – Bereich oberhalb des Zwerchfells, guan – Bereich zwischen Zwerchfell und Nabel, und chi – Bereich unterhalb des Nabels) und tastet in drei Tiefen (oberflächlich – Hautebene, mittel – Muskelebene und tief – Knochenebene).
Es werden beide Handgelenke abgetastet, jeweils ein Handgelenk auf einmal. Die Ergebnisse dieser Messungen werden verwendet, um den Puls der Patient:innen zu kategorisieren. Ist der Puls weich oder hart, oberflächlich oder tief usw.?
Wie viele Pulse gibt es und was bedeuten sie?
Je nachdem, welches Buch man zurate zieht, unterscheidet die chinesische Pulsdiagnostik 28 oder sogar 40 unterschiedliche Pulstypen. Einige Lehrbücher erwähnen beispielsweise nur etwa ein Dutzend Pulsarten.
Ein Puls kann zum Beispiel gespannt sein, schwach, kraftvoll, dünn, weich, schnell, unregelmäßig, verknotet und sogar „schlüpfrig“, um an dieser Stelle einige zu nennen. Circa ein Dutzend Pulse sind in der täglichen TCM-Praxis gängig.
Unterschiedliche Pulskategorien der TCM
Generell können Pulse in grobe Kategorien eingeteilt werden. Zum Beispiel wird ein schneller Puls oft als ein Puls von mehr als fünf Schlägen pro Atemzug definiert. Ein schneller Puls kann entweder als kräftig oder als schwach angesehen werden, was entweder auf einen Überschuss oder einen Mangel an Qi hinweisen würde.
In ähnlicher Weise können langsame Pulse (die ebenfalls anhand der Atmung des Patient:innen gemessen werden) als kräftig oder schwach eingestuft werden. Sie sehen also, wie komplex dieses Verfahren ist.
Im praktischen Leben kann man beispielsweise als Therapeut auch feststellen, wie viel Stress jemand hat, ohne dass der Patient oder die Patientin das erwähnen muss. In diesem Fall kann der Puls „gespannt“ sein.
Vorsichtsmaßnahmen und Kontraindikationen
Die Pulsdiagnose sollte bei Patient:innen unter normalen Bedingungen durchgeführt werden, um die Genauigkeit zu gewährleisten. Was ist damit gemeint? Der Puls sollte also nicht nach körperlicher Anstrengung, einer Hauptmahlzeit, Trinken großer Mengen oder in einem sehr heißen oder sehr kalten Raum diagnostiziert werden.
Diese Faktoren können zu einer ungenauen Diagnose führen. Dabei sollte sowohl der Untersuchte als auch der Untersuchende entspannt sein, bequem sitzen und normal atmen, wenn der Puls gemessen wird.
Medikamente können den Puls verändern
Wichtig zu wissen, ist auch, dass diverse Medikamente den Puls verändern können. Betablocker oder Antibiotika können ihn beispielsweise verlangsamen. Nervosität oder körperliche Anstrengung kann ihn beschleunigen.
Ebenfalls sollte der Therapeut auch immer zur schulmedizinischen Abklärung raten, wenn ein Puls unregelmäßig oder beispielsweise übermäßig schnell ist (das in Ruhe). Auch das gehört dazu, eine allumfassende Klärung bei Unklarheiten ist enorm wichtig.
Pulsdiagnose in der TCM – Schlussfolgerungen
Die Pulsdiagnose in der TCM ist ein schnelles, kostengünstiges und nichtinvasives Diagnoseinstrument. Wird sie von einem geschulten TCM-Arzt durchgeführt, ist sie eine effektive Methode zur Bestimmung des Gesundheitszustandes der Patient:innen im Sinne der chinesischen Medizin.
Sie gibt außerdem noch viele andere hilfreiche Hinweise, da man noch viele zusätzliche Hinweise beim Pulsfühlen bekommt. Das können kalte Hände und Arme oder Durchblutungszeichen sein. Oder auch – ganz banal, dass man währenddessen riechen kann, ob eine Person raucht oder übermäßig schwitzt. Sie sehen, diese Form der Diagnostik ist sehr vielfältig und vor allem ist sie erprobt.
Passen Sie auf sich auf und bleiben Sie gesund,
Ihre Sabine Schmitz
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Über die Autorin
Sabine Schmitz hat chinesische Medizin in China studiert und leitet heute als TCM-Therapeutin eine eigene Praxis für Traditionelle Chinesische Medizin in Köln. Sie ist Autorin von zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen und TCM Fachbüchern. Ihr neuestes Buch trägt den Titel „Treating Acne and Rosacea with Chinese Herbal Medicine“ und ist im Verlag Singing Dragon erschienen. Sabine Schmitz ist Gründerin von Chinamed Cosmetics, Hautpflege mit TCM Kräutern, made in Germany.
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