Erstmals fanden in diesem Jahr die Trierer China Gespräche am Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin statt. Renommierte Expertinnen und Experten betrachteten dort am 10. Dezember die vielen verwirrenden wie auch faszinierenden Widersprüche, die Chinas politischen Alltag prägen.
Die Trierer China Gespräche am MERICS wurden gemeinsam mit der Konrad Adenauer-Stiftung, der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und dem Alumniverein der Politikwissenschaft der Universität Trier veranstaltet. Knapp 100 Gäste kamen zu der Konferenz unter dem Titel „Chinas politisches System. Gerüstet für das 21. Jahrhundert?“
Steuerungspotenzial des politischen Systems in China
Professor Thomas Heberer von der Universität Duisburg-Essen widmete sich der Frage nach dem Steuerungspotenzial des politischen Systems in China. Zentrale These seiner Analyse: Der chinesische Staat übe zwar soziale Kontrolle aus, sei jedoch zugleich äußerst lernfähig. Eine Fähigkeit, die ihn in die Lage versetze, sich schnell und teils auch unbürokratisch an neue Bedingungen anzupassen. Vor allem die Lokalregierungen erhielten Freiheiten und Handlungsspielräume, um auf die besonderen Bedingungen vor Ort eingehen zu können. Insgesamt erhalte der Staat einen Großteil seiner Legitimität durch die positiven Entwicklungen, die die Partei in Gang setze: verbesserte Lebensbedingungen, Stabilität, Gefühl von Nationalstolz.
Die größte Herausforderung stelle derzeit die Reform des Wirtschafts- und Wachstumsmodells bis 2020 dar. Innovationsförderung, eine Stärkung der Binnennachfrage und eine flächendeckende Effizienzsteigerung seien die zentralen Reformziele. Um diese zu erreichen, setze die Partei neue Massenlinienbewegungen und eine umfassende Antikorruptionskampagne ein. Nach Ansicht von Heberer beruht die Machtkonzentration Xi Jinpings auf einem Konsens innerhalb der KPCh-Führung, da die Reformen nur mit einem „starken Mann“ umsetzbar seien. Ein Haupthindernis für die Steuerungsfähigkeit Chinas stellten aber – auch nach Aussage chinesischer Wissenschaftler – der moralische Verfall und die auch im Volk weit verbreitete Korruption dar.
Vom „gewollten Gewurschtel“ auf der kommunalen Ebene
Professorin Anna Ahlers von der Universität Oslo lenkte den Blick auf die kommunale Ebene. Sie untersuchte die Leistungs- und Anpassungsfähigkeit des Systems auf der lokalen Ebene. Um die Politik der Regierung zu verstehen, sei die Analyse in den Kommunen wichtig. Denn dort würden die Verordnungen und Gesetze umgesetzt, dort entstünde der sogenannte „Output“, der ganz wesentlich sei für die Legitimität des politischen Systems. Die Kommunen hätten die Chance, Innovationen zu erarbeiten, Modelle zu testen und Experimente auszuprobieren: Die wahren Reformer säßen auf der lokalen Ebene, argumentierte Ahlers. Diese Flexibilität ermögliche dem politischen System eine schnelle Anpassung an veränderte Bedingungen – eine Fähigkeit, die maßgeblich sei für den Erfolg des chinesischen Systems insgesamt.
Denn Lokalkader nehmen aus Sicht Ahlers‘ eine „Scharnierfunktion“ ein. Abstrakte Impulse aus Beijing, oft in Form von Kampagnen oder „roten Linien“, bilden „politische Korridore“, die der Flexibilität und Kreativität lokaler Politikgestalter einen Rahmen setzen. Ahlers betonte, dass die chinesische Bürokratie dabei eine Art „Metastruktur“ kommunaler Politik darstelle. Sie beinhalte traditionelle Elemente, moderne Verwaltungspraktiken und sozialistische Institutionen. Dies erkläre die Reformfähigkeit des bürokratischen Systems.
2015 geht die China-Diskussion weiter
Spannende, provokante Thesen. Die Abschlussdiskussion konzentrierte sich auf die Frage, ob die zugespitzte Darstellung einer „systemischen Herausforderung“, von der im Laufe des Tages wiederholt die Rede war, nicht wesentliche Schattenseiten des politischen Systems Chinas vernachlässige sowie die Reversibilität und Lernfähigkeit überschätze. Dabei wurde deutlich, dass Chinas politisches System kein Modell und nicht nachahmenswert sei – jedoch durchaus zum Nachdenken über Defizite des eigenen Systems anregen könne.
Eine Diskussion, die Lust auf mehr machte. Botschafter Dr. Hans-Dieter Heumann lud in seinem Schlusswort alle Anwesenden zu den Trierer China Gesprächen 2015 an die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) in Berlin-Pankow ein. Dann soll es darum gehen, die internationalen Konsequenzen von Chinas Aufstieg sowie Europas Streben nach einer zentralen Rolle in den Blick zu nehmen.
Zum ausführlichen Konferenzrückblick.
Bild und Text: MERICS
Kontakt
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