Von ICC-Redakteur Malte Steffenhagen
Wenn es nach den Regierungen der beiden Länder geht, befinden sich Deutschland und China inzwischen in der vierten industriellen Revolution. In Deutschland ist die Strategie mit dem Namen „Industrie 4.0“ bereits im Jahre 2011 auf der Hannover Messe erstmalig vorgestellt worden. Das chinesische Pendant „Made in China 2025“ (Zhongguo zhizao 中国制造 2025) wurde im Mai 2015 vom Staatsratspräsident Li Keqiang bekannt gegeben.
Diese beiden Zukunftsstrategien sollen jetzt miteinander verbunden werden. Deutschland und China wollen dafür wirtschaftlich enger zusammenarbeiten und sich ergänzen. Beide Seiten erhoffen sich Vorteile daraus: Deutsche Technologien brauchen einen größeren Markt, den China bieten kann. Im Gegenzug will China weiterhin von deutschen Ideen und Technologien lernen und den großen Sprung weg von der „Werkbank der Welt“ hin zur führenden Industrienation der Welt schaffen. Die selbst gesetzte Frist hierfür ist das Jahr 2049, das 100. Jubiläum der Gründung der Volksrepublik. Die neue Strategie „Made in China 2025“ ist zugleich der erste Schritt zur Erfüllung des großen „Chinesischen Traums“.
Um ein besseres Bild von Industrie 4.0 und Made in China 2025 zu bekommen, wird hier eine kurze Übersicht der zentralen Punkte beider Strategien vorgestellt.
Industrie 4.0: der Weg zur Smart Factory
Zentrales Ziel von Industrie 4.0 ist die Verknüpfung der industriellen Produktion mit Informations- und Kommunikationstechnik. Dies soll zukünftig die Verbindung von Produktion, Zulieferern, Geschäftspartnern und Kunden ermöglichen. Die Plattform unter der Leitung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung hat hierfür drei bereits vollendete industrielle Revolutionen definiert:
- Mechanisierung mit Dampf- und Wasserkraft
- Massenfertigung mit Fließband und Elektrizität
- Die digitale Revolution
Die neue vierte Revolution soll die zweite und dritte verbinden und die sog. „Smart Factory“ möglich machen: „Nach Dampfmaschine, Fließband, Elektronik und IT bestimmen nun intelligente Fabriken die vierte industrielle Revolution.“ Wie genau man sich eine solche „intelligente Fabrik“ vorstellen kann, erklärt die Plattform Industrie 4.0: „Menschen, Maschinen, Anlagen, Logistik und Produkte kommunizieren und kooperieren in der Industrie 4.0 direkt miteinander.“ Die Produktion soll somit effizienten und flexibler werden.
Made in China 2025: Zielsetzung Industriemacht
Lange Zeit erwartete man bei „Made in China“ nicht unbedingt ein qualitativ hochwertiges und innovatives Produkt. Im Gegenteil – „Made in China“ hieß für viele billig und von schlechter Qualität. Mittlerweile hat sich das Image jedoch deutlich verbessert. Teils unbemerkt haben sich chinesische Produkte und Marken Top-Positionen auf dem Weltmarkt erarbeitet. Nur noch sehr bedingt ist China das einstige Niedriglohnland und der größte Exporteur von kostengünstig und schnell gefertigten Waren. Künftig möchte Peking vollständig von diesem Ansatz lösen.
„Made in China“ soll in Zukunft noch stärker für Qualität und Innovation stehen und zwar bereits in weniger als zehn Jahren. Bis 2035 möchte China sogar Deutschland und Japan überholt haben und die vollständige Modernisierung der chinesischen Industrie erreichen. Hierbei gilt die Devise: „Qualität zuerst!“ (Zhiliang xian 质量先!). Um dieses Ziel zu erreichen, will die chinesische Industrie, ähnlich wie die deutsche, die Verbindung von Informationstechnologie und der Industrie vorantreiben, intelligente Technologien verstärkt einsetzen, die Innovationsfähigkeit der Industrie verbessern, flächendeckend umweltschonende Produktion etablieren und Produktionsketten optimieren. So soll der Durchbruch in mindestens zehn Schlüsselsektoren erfolgen:
- Neue Informationstechnologien,
- High-End numerische Maschinenwerkzeuge und Industrieroboter,
- Luft- und Raumfahrzeuge,
- Meerestechnik -Ausrüstung und High-End-Schiffe,
- High-End Schienenverkehrstechnik,
- Energiesparende Autos und neue Energie-Autos,
- Elektrische Ausrüstung,
- Landwirtschaftsmaschinen,
- Neue Werkstoffe,
- Bio-Medizin und High-End-medizinische Geräte
In diesen zehn Schlüsselindustrien, die auch zu weiten Teilen als Steckenpferde Deutschlands gelten, sollen zukünftig sämtliche Anlagen mit eigenen Technologien ersetzt werden und für Innovation, Qualität und Effizienz sorgen. Am Ende dieser wirtschaftlichen Strategie steht der Traum des Wiederauferstehens der großen chinesischen Nation und die Vorstellung, dass in China nicht mehr deutsche Autos gekauft werden, sondern in Deutschland chinesische Autos in großen Mengen an den Endkonsumenten gehen. Wie die Ergebnisse beider Zukunftsstrategien in der Realität tatsächlich aussehen werden, ist jetzt noch ungewiss.
Deutsch-chinesische Kooperationsmöglichkeiten
Fest steht jedoch, dass sich schon jetzt vielfältige Möglichkeiten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ergeben haben. China schickt fast täglich Delegationsgruppen nach Europa, die sich vor Ort über die wirtschaftliche Situation informieren sollen. Gerade deutsche Unternehmen sind ein beliebtes Ziel, um von ausländischer Technologie zu lernen und sich auszutauschen. Deutsche Anbieter von Industrie 4.0-Technologie können sich vor Kooperations- und Investitionsanfragen kaum retten.
Das weiß auch Max Schmittmann von der deutsch-chinesischen Wirtschaftsberatung Rot Gold. „Der chinesische Run auf deutsche Technologie wird noch einige Zeit andauern. Die klischeevollen Ängste vor chinesischen Investoren sind häufig unberechtigt. Chinesen planen sehr langfristig und sehen auch in vermeintlich schwächelnden Unternehmen großes Potential. Außerdem wissen sie mittlerweile, dass sie die deutschen Partner oder Tochterunternehmen am besten eigenständig agieren lassen“, erklärt der Experte. Ihm nach ist China schon jetzt für deutsche Unternehmen als hochtechnologischer Standort interessant: „Wer nur billig produzieren will, sollte dafür nicht ins Reich der Mitte ziehen. Stattdessen gibt es dort inzwischen sehr gute Bedingung für hochtechnologische Serienproduktion, zum Beispiel für in Deutschland entwickelte Produkte. Auch im Bereich Research & Development selbst werden die Bedingungen immer besser.“ Ob China mit seiner Strategie Deutschland so schnell überholen wird, möchte der Fachmann jedoch noch nicht einschätzen. Er kann sich aktuell eher eine Koexistenz zweier erfolgreicher Industriemächte auf Augenhöhe vorstellen.
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Armin Meininger meint
Hallo,
ganz so optimistisch sehe ich das nicht. „Bei einer ordentlichen Qualität und Vermarktung ist China nicht billiger als Europa“.
Ich habe mal gehört, dass bei hoch automatisierten Produktionslinien für Elektrik und Elektronik der Lohnkostenanteil weit unter 10% der gesamten Fertigungskosten liegt. Mit zunehmender Automatisierung wird also der Faktor „Lohnkosten“ und damit der Produktionsstandort immer unwichtiger. Wichtiger wird allerdings die Innovationsfähigkeit und das Know-How der Mitarbeiter, da sieht es in Deutschland schlecht aus.
Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sinkt dramatisch.
In der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ist Deutschland 2015 um zwei Plätze auf Rang zwölf abgerutscht und somit nicht mehr in den Top-Ten vertreten. Noch schlimmer ist es im globalen Innovationsindex, da liegen wir nur noch auf Platz 14.