Ein Kommentar von ICC-Redakteur Christoph Yew
Zu Beginn Ihrer Lektüre dieses Artikels halten Sie bitte kurz inne und nennen Sie mir so viele chinesische Marken, wie sie Ihnen spontan in den Sinn kommen… Wie lang ist Ihre Liste geworden? Welche Marken aus China sind Ihnen eingefallen?
Huawei, Xiaomi, Hisense, Sany, Alibaba, Lenovo, Haier und TCL kennen vielleicht noch einige Leser, dann wird es allmählich schwerer. China produziert 80 % der Klimaanlagen, 70 % der Handys und 60 % der Schuhe weltweit und wird noch immer gerne als Fabrik des Planeten bezeichnet. Zentren wie das Perlfluss- oder das Yangtze-Delta verfügen über tausende Fabriken, eine exzellente Logistik-Infrastruktur und Millionen von Menschen, die diese Knotenpunkte mit ihrer Arbeitskraft am Laufen halten. Aber bekannte Marken gibt es nur so wenige?
Auf den ersten Blick scheint hier ein Widerspruch vorzuliegen. Ein Großteil der Weltproduktion liegt in China, jedoch gibt es kaum international anerkannte Brands aus dem Land? Natürlich sind gerade in den letzten Jahren verstärkt neue Marken auf die Bühne getreten und wer ein Faible für Smartphones hat, dem werden auch Namen wie Oppo, Meizu, Oneplus, ZTE, Vivo oder Coolpad etwas sagen. Aber kann man deshalb schon behaupten, dass nun das Zeitalter chinesischer Brands angebrochen ist?
Wir werden in den nächsten Jahren auf jeden Fall mehr und mehr chinesische Marken sehen, die auch internationale Anerkennung finden. Allerdings sehe ich einige Schwierigkeiten, die noch immer Firmen in China davon abhalten, eine internationale Marke zu etablieren.
Kopieren statt Innovation – das alte Lied aus China
Es gibt bereits Hunderte von Artikeln über Produktfälschungen und geistiges Eigentum in China. Ein zentrales Problem, das ich sehe ist, dass Innovation in China nicht nur nur selten zu finden ist, sondern, dass es für ein Unternehmen ausgesprochen riskant sein kann, innovativ zu herzustellen. Fälschungen von Produkten betreffen nämlich nicht nur ausländische Unternehmen. Längst kopieren Chinesen untereinander erfolgreiche Produkte und Geschäftsmodelle. Wenn eine Branche heiß wird, ist es nicht ungewöhnlich, dass eine Massenbewegung eintritt und Unternehmer, die bisher keine Erfahrung in diesem Bereich haben, komplett umsatteln. Ein Autoproduzent fängt an, Versicherungen zu verkaufen, oder eine Software-Schmiede macht plötzlich in Kosmetika.
Es ist im Kapitalismus nichts Ungewöhnliches, dass Kapital dorthin fließt, wo höchste Renditen erwirtschaftet werden. In China hingegen geschieht dies in einem atemraubenden Tempo. In Hongkong werden deshalb Festlandchinesen oftmals als „Heuschrecken“ bezeichnet. Und hier ist auch bereits ein großes Problem zu sehen. Wenn man innovativ tätig ist, läuft man immer Gefahr, dass die Idee in Windeseile von einem Konkurrenten aufgenommen, kopiert und mit mehr Gewinn umgesetzt wird. Aufgrund des nach wie vor schwachen Schutzes von geistigem Eigentum in China lohnt sich Innovation daher nur bedingt.
Schnelles Geld lockt und treibt Unternehmen wie Mitarbeiter
Um eine Marke aufzubauen, braucht es wie schon erwähnt ausreichend Zeit. Die Gier nach Geld und die Angst, ein lukratives Projekt zu verpassen, dominieren im Reich der Mitte, wo jeden Tag die Chance des Lebens gejagt wird. Zahlreiche Unternehmer bringen einfach nicht die nötige Geduld auf, ein Großprojekt wie eine Weltmarke aufzubauen. Wenn eine Marke innerhalb eines Jahres keinen Umsatz im Euro-Millionenbereich erwirtschaftet hat, kann es leicht sein, dass die Idee als Pleite eingestellt wird.
Fast alle Chinesen sind zudem von permanenter Angst geplagt, was die eigene wirtschaftliche Zukunft angeht. Für die Hochzeit mussten in vielen Fällen eine Immobilie und ein Auto gekauft werden – nun ist das Abbezahlen des Bankdarlehens Thema für die nächsten Jahrzehnte. Problem ist dabei, dass Arbeitnehmerrechte bzw. Kündigungsschutz in China kein großes Thema sind. Auch das Versicherungswesen ist nicht ausreichend entwickelt. Dies hat zur Folge, dass die Menschen lieber heute 1.000 RMB bekommen, als 2.000 RMB in einem Jahr. In Unternehmen lastet auf den Mitarbeitern großer Druck, schnell Erfolge zu liefern. Da diese Mitarbeiter zugleich für vergleichsweise kleine Gehaltsanstiege ihre Stelle wechseln, ist die Mitarbeiterbindung zusätzlich schwer ist.
Die Orientierung an kurzfristigen Erfolgen erfolgt auf Kosten der langfristigen Unternehmensentwicklung. Wenn ein Unternehmen beispielsweise ein Produkt auf den Markt bringt und sich nach einiger Zeit herausstellt, dass 20 % der Einheiten einen Produktionsfehler aufweisen, so wäre mit Blick auf Branding der beste Weg eine kostenintensive Rückruf-Aktion oder sogar Verschrottung. Oftmals wird jedoch einfach der Preis gesenkt oder der Bestand in Märkten wie Indien oder Afrika abgesetzt. Das geschieht mit dem Ziel vor Augen, das Kapital so schnell wie möglich zurückzuerhalten. Auch auf Kosten des Markenimages.
Ausblick: Zeitalter der chinesischen Weltmarken?
Wir werden mit Sicherheit immer mehr und mehr chinesische Marken sehen, die international erfolgreich sind. Wann jedoch die Anzahl chinesischer Marken einen Wert erreicht, der im Verhältnis zu dem steht, was an Produktionsleistung im Land vorhanden ist, bleibt ungewiss. Hindernisse wie sprachliche Schwierigkeiten beim Branding können relativ einfach gelöst werden, Probleme hinsichtlich der Denkweise, wie eine Marke aufzubauen und zu pflegen ist, sind schwerer zu lösen. Doch wer weiß: Vielleicht ist das hier Geschriebene auch zu sehr auf das westliche Denken ausgerichtet und stattdessen werden die chinesischen Strategien in Zukunft die Weltmärkte beherrschen.
Über den Autor:
Christoph Yew war über drei Jahre für Anker in China tätig und hat mit Askborg inzwischen seine eigene Elektronikmarke auf den Markt gebracht.
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