Von ICC-Redakteur Patrick Müsker
Im ersten Teil des Artikels wurde die Heirat im traditionellen China besprochen. Dieser zweite und abschließende Teil geht auf die Gewohnheiten im gegenwärtigen China ein. Was hat sich im Vergleich zum traditionellen China verändert? Welche Phänomene sind überliefert worden?
Im Wandel der Globalisierung und Modernisierung, besonders in sich schnell entwickelnden Städten wie Shanghai, sollten sich Traditionen gelockert haben und Menschen in ihren Entscheidungen freier geworden sein. Doch ist das Thema der Heirat heute noch ein Spannungsfeld zwischen Gesellschaft und Finanzen. Es stehen weiter Aspekte wie Herkunft, soziale Stellung und Kapital eine tragende Rolle. Oft bestimmten Eltern und Verwandte, wer wen heiraten soll.
Heiratsalter und die „übrig gebliebenen“ Frauen in China
Zwar hat sich das Heiratsalter im Rahmen der vergangenen Entwicklung auf die jungen Zwanziger verlegt, doch besteht gleichzeitig eine Hast und Angst, dass dieses Alter gerade bei Frauen nicht überschritten werden wird. Denn alsbald eine junge Dame ihr 26. Lebensjahr überschreitet und nicht verheiratet sein sollte, gehört sie zur Gruppe der sogenannten „leftover women“ (shengnü 剩女). Schon lange ist dieses Phänomen bekannt. Frauen mit hoher Bildung und hohem Einkommen haben es stets schwer, einen Mann zu finden. Dabei gilt die Regel: je älter, desto schwerer.
Ein Resultat ist die Panik der Eltern, die verzweifelt versuchen, einen passenden Mann zu finden und diesen der Tochter vorzustellen. Ein viel genutztes Mittel sind Singlemärkte, auf denen man zahlreiche Steckbriefe von nicht verheirateten Männern und Frauen findet. Erste Angabe nach Name, Alter und Geschlecht ist das monatliche Gehalt. Zu sehen sind allerdings nur die älteren Generationen, die für ihre Kinder suchen und vermitteln. Inwiefern diese dem zustimmen, ist schwer zu sagen.
Keine Wohnung – keine Hochzeit…
Die Ansprüche an eine Hochzeit steigen und so gilt, dass es keine Hochzeit geben wird, wenn sich der Mann vor der Hochzeit keine Wohnung leisten kann. Damit steigt auch der Druck für die Männer. Zumal gegenwärtig ein Überschuss der männlichen Bevölkerung herrscht und laut Statistiken der China Daily von 2011 circa 118 Männer auf 100 Frauen kommen. Einerseits steht eine Immobilie für die zukünftige Absicherung, denn in China lässt sich kein besseres Kapital als Anlage erwerben.
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Andererseits stellt die Autorin Leta Hong Fincher in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Leftover Women – The Resurgence of Gender Inequality in China“ die These auf, dass der Wunsch nach Wohnungen durch Werbekampagnen der Immobilienbranche extra gesteigert wird. Deren Methode ist es, Statistiken und Umfragen zu veröffentlichen, in denen ein steigender Wunsch nach einer Wohnung als Bedingung zur Hochzeit unter der Bevölkerung beschrieben wird. Bei den rasant steigenden Immobilienpreisen und schärferen Auflagen zum Erwerb von Wohnungen wirken solche „Erkenntnisse“ wie ein Lauffeuer und die Nachfrage steigt weiter.
Finanzielle Unterstützung für heiratswillige Männer
Oft unterstützen Familien ihre Söhne oder männlichen Verwandten dabei, eine Wohnung zu finanzieren, damit sie heiraten können bzw. sich die Frau dazu bereiterklärt. Da die Wohnungsbeschaffung die Aufgabe des Mannes ist, sehen sich Familien kaum dazu verpflichtet, ihre Töchter zu unterstützen, sollten sich diese unabhängig und als soziale Absicherung eine Immobilie leisten wollen. Zurückführend auf die konfuzianischen Werte wie die Pietät, werden solche Ansichten vom Großteil der chinesischen Frauen akzeptiert. Frauen steuern sogar oft eigenes Kapital zur Unterstützung des Bruders oder eines Cousins bei, womit der Kauf einer eigenen Immobilie noch weiter in die Ferne rückt. Auch sind sie bereit, ihren Freund finanziell zu unterstützen.
Ein Problem für die Frau entsteht, sollte es zu einer Scheidung kommen, da Immobilien traditionell auf den Namen des Mannes gekauft werden und die Frau auf diese Weise keinerlei Besitzansprüche erheben darf. Scheidungen entsprechen zwar nicht der gesellschaftlichen Harmonie Chinas, sind allerdings keine Seltenheit mehr. In Großstädten liegt die Scheidungsquote teilweise über 40 Prozent. Das wundert kaum, da durch den gesellschaftlichen Druck oft allzu früh geheiratet wird, ohne den Partner gut zu kennen, sondern um den Erwartungen von Familie und Arbeitskollegen zu entsprechen.
Die Hochzeit im gegenwärtigen China hat sich zwar von traditionellen Praktiken gelöst und orientiert sich stärker an westlichen Zeremonien. Doch wirtschaftliche Bedingungen und gesellschaftliche Zwänge bestimmen weiterhin das Heiratsverhalten junger Chinesinnen und Chinesen.
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