Dürfen wir beim Lernen lachen? Lassen sich Kulturunterschiede somit besser vermitteln und verstehen? Der Nachwuchssinologe Marcel Greiner hat hierzu den Autor und Chinakenner Christian Y. Schmidt interviewt. Das Ergebnis sind einige interessante Ideen zu interkulturellen Lernprozessen und Humor in Kulturratgebern…
Christian Y. Schmidt, der einst für das Satiremagazin Titanic schrieb, hat mit Büchern wie Bliefe von dlüben (Rowohlt 2009) und Im Jahr des Hasendrachen (Verbrecher Verlag 2013) sowohl Sinn für China als auch für Humor bewiesen. Im Interview warnte er indes – vielleicht auch nur ironisch – vor zu viel Komik in China-Ratgebern.
Halten Sie China-Ratgeber für brauchbare Instrumente zum Kulturverständnis?
Das kommt auf den China-Ratgeber an. Ein Ratgeber kann natürlich wissenschaftliche Literatur nicht ersetzen. Aber es gibt eben auch genug Leute, die keine Zeit oder Lust haben, wissenschaftliche Literatur zu lesen, oder denen das einfach zu anstrengend ist. Und die greifen dann zu der schneller konsumierbaren Ratgeberliteratur. Wenn die dann Fakten liefert, die auch einer Überprüfung standhalten, und keine bloßen Vorurteile verbreitet, dann kann sie durchaus nützlich für das Kulturverständnis sein.
Außerdem haben China-Ratgeber noch einen Vorteil: Weil sie nicht wissenschaftlich gründlich und erschöpfend sein müssen, können sie schneller auf neue Entwicklungen in China reagieren. Sie bilden also so etwas wie ein Kettenglied zwischen journalistischer Berichterstattung und wissenschaftlicher Aufarbeitung.
Als wie wichtig erachten Sie Satire und Humor im Verbund mit ernsten oder sachlichen Themen?
Ob man der Kombination ernster Themen und Humor etwas abgewinnen kann, ist eine Frage des persönlichen Geschmacks. Für mich zum Beispiel sind bestimmte Tatsachen nur dadurch zu ertragen, dass ich mich über sie lustig mache. Komik dient der Entlastung, das weiß jeder Psychologe.
Wenn man ein Thema unter anderem auch komisch behandelt, kann man außerdem immer wieder Inhalte und Erkenntnisse in den Text schmuggeln, von denen viele Leute eigentlich nichts wissen wollen, und auf die sie unter anderen Umständen mit spontaner Abwehr reagieren würden. Mit Komik überlistet man diese Abwehr. Das liegt daran, dass das Komische vom Überraschungsmoment lebt. Wer sich also als Leser auf Komik einlässt, ist bereit, sich überraschen zu lassen. Dem kann man dann auch schon mal eine neue Erkenntnis verkaufen. Das geht bei vollkommen ernst gehaltenen Texten schlechter.
Ich glaube auch, dass es wichtig ist, sich in komischen Sachtexten selbstironisch zu geben, und damit zu signalisieren, dass die präsentierten Schlussfolgerungen und Erkenntnisse nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss sein müssen. Auch dann sind die Leser eher bereit, zumindest probehalber einmal einen anderen Blickwinkel einzunehmen.
Worin unterscheidet sich deutscher von chinesischem Humor [zu diesem Thema haben Sie bereits in ihrem Buch geschrieben]?
Tja, wenn ich das so ganz genau wüsste. Grundsätzlich aber kann man wohl sagen, dass der chinesische Humor wesentlich kodifizierter und anspielungsreicher ist als der deutsche. Das liegt auch daran, dass sich die Chinesen viel besser in ihrer Geschichte und Kultur auskennen. So kann ein Standup-Comedian Anspielungen auf irgendein Ereignis machen, das 2.500 Jahre her ist, und er wird verstanden.
Dann können sich die Chinesen unglaublich für Wortspiele begeistern. Und weil das Chinesische eine tonale Sprache ist, gibt es davon unendlich viele. Das heißt: Man muss nur ein Wort leicht anders betonen, schon ergibt sich ein vollkommen anderer Sinn. Ich verstehe diese Wortspiele natürlich nur sehr selten. Manchmal aber lasse ich sie mir erklären. Ich begreife dann aber meistens immer noch nicht, was daran so witzig sein soll. Meine Frau aber kann sich über manche Wortspiele ausschütten vor Lachen.
Wie kamen Sie dazu humoristische Kolumnen über China zu schreiben?
Das ist einfach. Ich war von 1989 bis 1996 Redakteur des Satiremagazins Titanic. Auch danach habe ich zum größten Teil satirische und komische Texte geschrieben. 2002 habe ich dann meine heutige chinesische Frau kennengelernt und bin mit ihr 2003 zunächst nach Singapur, ab 2005 dann nach Peking gegangen. Ich habe also die Welt schon immer aus der satirischen und komischen Ecke heraus betrachtet. Und diese Sicht habe ich natürlich in Singapur und China nicht aufgegeben. Im Mai 2003 wollte dann der damalige Titanic-Chefredakteur Martin Sonneborn eine Kolumne von mir aus Singapur und die habe ich geschrieben. Daraus sind am Ende zehn Kolumnenjahre geworden.
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Welchen Platz nimmt der Humor in interkulturellen Ratgebern ein, welchen Platz sollte er einnehmen?
Vielleicht einen nicht ganz so großen wie im Moment. Es geht mir nämlich zusehends auf die Nerven, dass der Trend dahin geht, fast nur noch ironische oder komische Sachbücher auf den Markt zu werfen. Gerade bei Länderportraits und Reiseberichten ist das der Fall. Erstens hasse ich es, mein Alleinstellungsmerkmal und damit Markanteile zu verlieren. Und zweitens geht das sicher auch auf Kosten der wissenschaftlichen Literatur. Und die brauche zumindest ich weiter, weil ich sie ja für meine Bücher ausschlachten muss.
Welchen Einfluss hat Humor auf die Authentizität und den Informationsgehalt solcher Werke?
Einen großen, weil man einfach mehr sagen kann. Ich glaube, in „Bliefe von dlüben“ wurde zum ersten Mal in einem deutschsprachigen Buch ganz explizit erklärt, was die Vokabeln „shabi“ und „niubi“ bedeuten. So etwas hätte ich wohl in einem ernsthaften DuMont-Kunstreiseführer nicht schreiben können. Man kann auch kulturelle Differenzen deutlicher ansprechen, wobei man natürlich immer aufpassen muss, dass man nicht in dämliche Stereotypen oder gar Rassismen verfällt. Das kann man aber vermeiden, indem man sich – siehe oben – immer selbst in die komische Betrachtung miteinbezieht. Und es stimmt ja auch: Ich bin mindestens genauso seltsam und komisch, wie die mich umgebenden Chinesen.
Vielen Dank für das Interview, Herr Schmidt!
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DoRo meint
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