Von ICC-Redakteur Patrick Müsker
Im Westen versteht sich der Bund der Ehe als Entscheidung zweier sich liebender Menschen. Damit einher gehen idealerweise das Gefühl der Liebe, der Wunsch, sein Leben mit seinem Partner zu verbringen, und vorher natürlich auch die freie Partnerwahl. Wie sieht das in China aus?
Im Reich der Mitte spricht man in der Gesellschaft weniger von einem Bund zwischen zwei Menschen, sondern von der Verbindung zwischen zwei Familien. Es spielen sowohl gesellschaftliche als auch ökonomische Faktoren eine ausschlaggebende Rolle, die diese Entscheidung zu einem das Leben begleitenden Schritt beeinflusst.
Hochzeit im traditionellen China
Seit Chinas Altertum und den Lehren des Konfuzius prägen familienökonomische Aspekte und traditionelle Praktiken das Bild einer chinesischen Hochzeit. Seit jeher werden die Partner durch Familien füreinander bestimmt. Die von Konfuzius auferlegte Pietät hindert die jungen Menschen daran, Einwände gegen die Entscheidung der Eltern vorzubringen. Um die passende Frau für den Mann zu finden, haben sich die Familien bis in die Vorrepublikzeit die Fähigkeiten von Sternenkundigen und Wahrsagern in den Dienst stellen lassen. Beispielsweise mussten die zwölf Tierkreiszeichen bestimmten Bedingungen entsprechen, um einer Hochzeit zustimmen zu können. Das Tierkreiszeichen der Frau durfte keinesfalls stärker sein als das des Mannes. Andernfalls wäre die Beziehung durch negative Einflüsse geprägt. Das einfachste Beispiel dafür ist das Zeichen des Drachen, welches den schwächeren Tiger unterdrücken kann. Weiter sollten Sternenkundige und Geomanten sowohl den passenden Zeitpunkt für die Zeremonie als auch den Weg des Brautzuges erarbeiten, um positive Faktoren zu begünstigen und negative zu umgehen.
Neben traditionellen Praktiken hatte der Schritt zur Ehe eine hohe Bedeutung für den Bereich der Familienökonomie. Es war üblich, dass mit dem Vollzug der Zeremonie die Braut in die Familie des Mannes hineinheiratete. Damit verlor die Familie der Frau alle familiären Ansprüche an ihre Tochter und gleichzeitig eine potentielle Arbeitskraft des Hauses. Die Familie des Bräutigams hingegen gewann eine Arbeitskraft hinzu. Somit sahen sich Familien mit Söhnen stets einem ökonomischen Vorteil gegenüber. Um diesen Verlust auszugleichen, hatte die Familie des Mannes noch vor der Hochzeit eine Brautsteuer an die Eltern der zukünftigen Braut zu entrichten. Nicht selten war auch eine indirekte Mitgift, Geschenke die der Braut seitens der Familie des Mannes gegeben werden, inbegriffen. Diese ging nach der Eheschließung gemeinsam mit der Braut wieder zurück an den ursprünglichen Besitzer. Die indirekte Mitgift durfte niemals größer als die direkte Mitgift der Eltern der Braut sein. Dazu zählten in wohlhabenden Schichten Einrichtungsgegenstände, Schmuck und Ähnliches. Bei ärmeren Familien konnten dies lediglich Krug und Schemel sein. Stets war darauf zu achten, dass sich die Familien in sozialem als auch finanziellem Rang entsprachen.
Alternative Formen der traditionellen Heirat
Die mit der Heirat verbundenen Rituale sollten Glück, Gesundheit, Reichtum und schnellen Nachwuchs, bestenfalls Söhne, begünstigen. Im Norden Chinas war es beispielsweise üblich, dem Brautpaar Geschenke in Form von Früchten zu machen, deren Gleichklang mit Begrifflichkeiten des Glücks oder der Gesundheit positiven Einfluss haben sollten. Bei der Ankunft der Braut am Haus ihrer neuen Familie sollte die Vermählte beim Verlassen der Brautsänfte einen Reitersattel (an 鞍) mit einem darauf liegenden Apfel (ping 苹) überschreiten, deren gemeinsame Nennung dem Begriff Frieden (pingan 平安) gleicht.
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Neben der hier beschriebenen traditionellen haben sich im Laufe der Jahrhunderte alternative Formen entwickelt, die noch bis in die Republikzeit praktiziert wurden. So entstand zum Beispiel die Heirat durch Entführung. Wurden zwei Menschen der ärmeren Schicht füreinander bestimmt, wurde eine Entführung der Braut durch den Bräutigam unter den Verwandten ausgehandelt, falls der Mann nicht über genügend Kapital zur Finanzierung der Zeremonie verfügte. Dies war und ist traditionell die Aufgabe des Bräutigams. Die Entführung stand stellvertretend für den Brautumzug. Auf diese Weise entfielen Kosten und die Gesellschaft wohnte einem Schauspiel bei, das sie als legale Form zum Bund der Ehe duldeten. Die Frau hatte üblicherweise kein Mitspracherecht. Sollte es allerdings vorkommen, dass die Zuschauer während der Entführung Mitleid mit der Braut hatten, konnten diese Einschreiten und unter Umständen ging der Entführer alleine nach Hause.
Lesen Sie im zweiten Teil mehr über Heiraten und Hochzeit im heutigen China.
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