Das Interesse an einem neuen asiatischen Restaurant in Düsseldorf hat unseren Autor Volker Stanislaw zum Recherchieren angeregt. Wie verläuft eigentlich die Diskussion um das Thema Halal-Essen in China? Herausgekommen ist ein Weibo-Gesellschaftsportrait, das weit mehr als nur Nahrungsmittel beschreibt.
Im chinesischen Twitter-Pendant Weibo lässt sich seit geraumer Zeit eine Diskussion über die „Halalifikation“ Chinas beobachten. Ausschlaggebend war der Essenslieferdienst Meituan. Dieser lockte seine Kunden in der Provinz Gansu mit einem neuen Werbeslogan über Halal-Essensboxen. Meituan warb damit, dass das Essen besonders sicher und sauber sei. Viele chinesische Netizens sehen im Halal-Essen jedoch ein Problem und sogar eine Gefahr für die Gesellschaft. Sie beschreiben die Sonderbehandlung von muslimischen Kunden als eine Diskriminierung von Nicht-Muslimen.
Was bedeutet eigentlich „halal“?
Der Begriff „halal“ lässt sich auch in Deutschland vielerorts finden. Er schmückt zum Beispiel zahlreiche arabische Imbissläden, oft als Fensteraufkleber gut sichtbar für die Laufkundschaft. Was genau ist denn nun halal? Es handelt sich um ein arabisches Wort und kann als „erlaubt“ bzw. „zulässig“ übersetzt werden. Das arabische Wort hat bereits Einzug in den Duden gefunden, wo es als „nach islamischem Glauben erlaubt“ beschrieben wird. Gemeint sind alle Dinge und Handlungen, die nach islamischem Recht und Gewissen zulässig sind. Im Islam dürfen etwa nur solche Tiere gegessen werden, die für den glaubenskonformen Konsum zugelassen wurden. Es gibt eine besondere Schlachtform, die sich von den mitteleuropäischen Standards unterscheidet. Die Tiere werden ohne Betäubung mit einem besonderen Messer mit einem einzigen Schnitt (Schächten) durch die Unterseite des Halses getötet. Die Blutgefäße, Luft- und Speiseröhre werden durchtrennt, das Tier blutet sodann komplett aus.
Halal Essen in China: Netizens beklagen Halalifkation
Der Essenslieferdienst Meituan (美团外卖) hat laut Global Times mit der wohl aus dem Internet stammenden Neuwortschöpfung „Halalifkation“ (qingzhen fanhua 清真泛化, wörtl. etwa „rasante Halal-Ausbreitung) geworben, ein Essen zu liefern, das besonders sicher sei. Aufgrund der stärker werdenden Debatte hat Meituan den Slogan mittlerweile aber wieder aus dem Netz genommen. Wie es aktuell aussieht, wird die Aktion als sogenannter Meituan-Vorfall (meituan shijian 美团事件) in die Geschichte des chinesischen Internets eingehen.
Viele Chinesen kritisieren den laut Meituan nur lokal einführten Service als Diskriminierung von nicht-muslimischen Menschen. Entsprechend riefen unzählige User zum Boykott und sogar der Löschung der der Meituan-App vom Smartphone auf. Der dramatische Hashtag #美团今天倒闭了吗# („Geht Meituan bankrott?“) wurde bereits über 471 Millionen Mal genutzt. Aller Kritik zum Trotz gibt es auf Weibo aber auch Pro-Halal-Seiten, wie das China-Halal-Food-Web oder das Halal-Küchennetzwerk, die Rezepte und Fotos von den besonders zubereiteten Speisen teilen.
Halalifkation als Synonym für Islamisierung in China
Die chinesische Übertragung von halal steht gleichzeitig auch für die Begriffe „islamisch“ und „muslimisch“ allgemein. Das Wort qingzhen 清真setzt sich aus den Zeichen für „rein“ (qing) und „pur/wahrhaftig“ (zhen) zusammen. Es findet sich bereits in der Tang-Dynastie (618–907 n.Chr.) – hier aber noch ohne religiöse Bezüge. Die Diskussion in Weibo ist insofern besonders bedenkenswert, als sie sich auch oftmals pauschal gegen die Islamisierung im Land richtet. Mancher Online-Diskussionsteilnehmer sieht in der Übernahme der Standardisierung von Halal-Essensregeln generell eine (gefährliche) Ausbreitung des Islams in der chinesischen Gesellschaft. Die Verbreitung des Islams und die Ausbreitung von Halal-Lebensmitteln werden dabei gleichgesetzt. Es geht in der Debatte so auch weniger um Kritik an Halal-Lebensmittel an sich, sondern vielmehr um den Einzug von islamischen Ritualen in den Alltag. Dies wird ins Lächerliche gezogen, indem Visionen von Halal-Flugzeugen, Halal-Bahnabteilen und Ähnlichem prognostiziert werden.
Die Übersetzung von qingzhen für „saubere und naturbelassene“ Lebensmittel sorgt ebenfalls für Kontroversen. Während Halal-Essen als rein gilt, muss Nicht-Halal-Essen in der Folge der Übersetzung dann nich immer auch als schmutzig gelten? Die Netizens schlagen daher vor, den Begriff Halal-Essen durch die Formulierung „muslimisches Essen“ auszutauschen. Andere Vorschläge sind die Einführung für besondere Essensboxen für Buddhisten, Daoisten, Atheisten etc. Das chinesische Wikipedia-Pendant Baidu Baike schreibt zum Thema der Halalifkation, dass die Firmen nur mit dem Slogan qingzhen werben würden, um Profite zu erzielen. Gleichzeitig wird die Halalifkation von den Autoren als schädlich für die nationale Harmonie Chinas beschrieben, da sich mit den kulinarischen Sonderwünschen bestimmte Volksgruppen abspalten würden.
Hintergrund- und Faktencheck: Muslime in China
Wie kann die Kritik an der Halalifikation in die chinesische Realität eingeordnet werden? Laut Schätzungen leben in China rund 26 Millionen Muslime (also ca. 2% der Gesamtbevölkerung), die Tendenz ist steigend. Neben Meituan bieten inzwischen fast alle chinesischen Lebensmittelliefer-Apps Halal-Nahrungsmittel an. In großen Supermärkten finden sich Regale mit Halal-Produkten und seit einigen Jahren gibt es in jeder chinesischen Stadt auch Halal-Restaurants. Der Besuch eines uighurischen Restaurants mit den köstlichen Lammspießen und der besonderen Atmosphäre gilt vielen Chinabesuchern als großes Highlight. Bei meinen Reisen durch das Land fand ich es immer bemerkenswert, dass es in China solche Restaurants gibt. In Deutschland lässt sich bisher wenig Vergleichbares finden.
Dennoch geht zahlreichen chinesische Netizens die Ausbreitung von Halal-Produkten plötzlich zu weit. In Weibo gibt es beispielsweise Accounts, die Fotos und Berichte über Hala-Restaurants anprangern. Es werden Fotos von Tischen für Halal-Kunden in Restaurants und speziellen Halal-Kassen in Supermärkten mit kritischen Kommentaren veröffentlicht. Das No-Halal-Netz hat knapp 90.000 Follower, der Account No- Halal wirbt mit dem Slogan „Ich bin stolz, Schwein zu essen“ und hat über 142.000 Follower. In Deutschland würden solche Seiten als islamkritisch eingestuft werden.
Asiatisches Halal-Restaurant in Düsseldorf eröffnet
Diese Diskussion könnte bald auch unter Deutschlandchinesen weitergehen. Denn in Düsseldorf eröffnete 2017 in der Ackerstraße das Restaurant Patani. Von außen sichtbar wirbt es mit „Halal Asia Cuisine“. Geschäftsführer ist der ehemalige Fußballbundesliga-Profi Änis Ben-Hathira, der früher unter anderem bei Hertha BSC unter Vertrag stand. Die Speisekarte bietet die üblichen asiatischen Speisen wie Thai-Hühnchen oder Rindfleisch an. Probieren lohnt sich wie immer.
Interessierte an einer Stadtführung durch Düsseldorfs Chinatown können sich gerne zwecks Terminvereinbarung an Volker Stanislaw wenden.
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