Chinas Bedeutung in der Weltwirtschaft hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Um die wachsende Rolle des Landes in der Globalisierung richtig einordnen zu können, lohnt ein Blick auf Chinas Wirtschaftsreformen und Zukunftsstrategien. Wie hängen China und die Globalisierung zusammen? In diesem Beitrag legt der renommierte Wirtschaftsexperte Markus H.-P. Müller den Fokus auf eine jüngste Bildungsreform und die Datenstrategie in China sowie auf das asiatisch-pazifische Freihandelsabkommen (RCEP).
Im ersten Artikel dieser Reihe wurde bereits auf die Auswirkungen der chinesischen Wirtschaftsreformen und die Hintergründe des sogenannten doppelten Kreislaufs eingegangen. Ein weiterer wichtiger Aspekt in der jüngsten chinesischen Entwicklung ist die vor kurzem beschlossene Regulierung, die kommerziellen, privaten Zusatzunterricht verbietet.
Verbot von kommerziellem, privatem Zusatzunterricht
Ziel dieser Politik war es, die Kosten für die Kindererziehung in den Familien zu senken. Die Regierung plant zudem die außerschulischen Aktivitäten der öffentlichen Schulen ausweiten und so die Kosten für die Bildung, für die breite Bevölkerung zu senken. Dies ist Teil des umfassenden Plans zur Erhöhung der Geburtenrate, den China in den letzten Monaten mit der Einführung der „Drei-Kinder-Politik“ ankündigte. Da China das Ziel einer „mäßig wohlhabenden Gesellschaft“ (小康社会) im Jahr 2020 erreicht hat, besteht ein nächstes wichtiges Ziel der Regierung nun darin, die Frage der sozialen Ungleichheit anzugehen.
Die Bildungsreform und verschärfte Vorschriften im Immobiliensektor sind politische Instrumente, um das Wohlstandsgefälle zu verringern und für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu sorgen. Für den Immobiliensektor haben so die Einschränkungen bereits vor einiger Zeit begonnen. Es gibt zahlreiche Maßnahmen zur Erhöhung des Grundstücksangebots, zur Dämpfung der Grundstückspreise und zur Begrenzung der Verkaufspreise von Immobilien. Für Immobilienunternehmen ist Liquidität ein zentrales Thema, und es gibt viele Maßnahmen zur Begrenzung ihres Verschuldungsgrades, einschließlich der Begrenzung von Bankkrediten für die Immobilienbranche, der Begrenzung ihrer Anleiheemissionen usw. Diese Maßnahmen sind essentielle Schritte das Ziel der Sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung bis zum Jahrhundertereignis 2049 umzusetzen.
China und die Globalisierung – Thema Datensicherheit
Aber nicht nur Regulierungen, welche die ökonomische Gleichheit zum Ziel haben, spielen in der jüngsten Entwicklung Chinas eine besondere Rolle. So hat China vor kurzem auch die Vorschriften für die Börsennotierung inländischer Unternehmen im Ausland verschärft. Es ist nicht auszuschließen, dass die chinesische Regierung auch die Datensicherheit insbesondere für grenzüberschreitenden Austausch von vertraulichen Informationen verschärfen wird, denn in Chinas digitalem Ökosystem werden riesige Datenmengen erzeugt. Von staatlicher Seite ist daher eine angemessene Regulierung vorstellbar.
Chinas Datenstrategie als Teil des Innovationsplans
Daten sind von zentraler Bedeutung für Chinas strategischen Innovationsplan, der zu Qualitäts- und Produktivitätsverbesserungen führt und damit zu einer Vielzahl von Triebkräften für das Wirtschaftswachstum beiträgt. Die Bedeutung von Daten in China stellen Wissenschaftler des Lehrstuhl für China Business and Economics der Universität Würzburg in einem jüngst veröffentlichten Bericht heraus: „Ähnlich wie die EU hat auch die chinesische Regierung die Bedeutung von Daten für die Wirtschaft und Gesellschaft längst erkannt.“1 Trotz unterschiedlicher Konzeptionen (wertebasierte versus technokratische Ansätze) sehen sowohl die EU als auch China darin einen Schlüsselfaktor für wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und Innovation. China hat in den letzten Jahren an konkreten Initiativen im Hinblick auf seine Datenstrategie gearbeitet, darunter der Aufbau des Sozialkredit-Systems im Jahr 2014 und die Verabschiedung des ersten Cybersicherheitsgesetzes im Jahr 2016.
Die USA, China und die Globalisierung
Auch die USA haben die Regeln für die Börsennotierung chinesischer Unternehmen in den USA verschärft. Diese Maßnahmen erfolgten vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen in den Beziehungen zwischen den USA und China sowie vor dem Hintergrund des globalen Handelsprotektionismus. In den kommenden Jahren könnte eine internationale Verlagerung Richtung Multipolarität weiteren Raum für politische Diskussionen zwischen den USA und China in den Bereichen Handel, Finanzen und Technologie bieten, da sich das internationale System stärker in Richtung Multipolarität entwickeln könnte. In der Zwischenzeit kann davon ausgegangen werden, dass China auch beabsichtigt, engere Handels- und Investitionspartnerschaften durch das pazifische Freihandelsabkommen RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) und die Neue Seidenstraße (Belt and Road Initiatives) aufzubauen.
Das Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP)
Nach achtjährigen Verhandlungen unterzeichneten China und 14 weitere Länder des asiatisch-pazifischen Raums das Abkommen am 15. November 2020. Zu den RCEP-Ländern (Regional Comprehensive Economic Partnership) gehören die zehn ASEAN-Staaten, China, Südkorea, Japan, Australien und Neuseeland. Das RCEP-Abkommen gilt als das größte Freihandelsabkommen der Geschichte und umfasst 2,2 Milliarden Menschen sowie 30 % der weltweiten Wirtschaftsleistung. Für China ist dies ein Meilenstein, da es sich um dessen erstes multilaterales Handelsabkommen und das erste Handelsabkommen zwischen China, Japan und Südkorea handelt. Nach der vollständigen Umsetzung würden mehr als 90 % der Waren, die innerhalb der RCEP-Länder gehandelt werden, zollfrei sein. Das RCEP-Abkommen ist ein wegweisendes Handelsabkommen, das Chinas Einfluss in der asiatisch-pazifischen Region stärken wird. China ist der größte Markt für alle Länder der Region und ein wichtiger Importlieferant. Damit wird China nicht nur zu einer globalen, sondern auch zu einer intraregionalen Handelsmacht.
China und die Globalisierung – weitere Integration wahrscheinlich
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass China sich zu einem neuen, ernstzunehmenden Akteur im globalen und regionalen Handel entwickelt und beginnt, die institutionelle Wirtschaftsordnung der Welt zu prägen. Innenpolitisch ist China bestrebt, ein ausgewogeneres Wachstum zwischen den Küstenregionen und dem Landesinneren zu erreichen, mehr Gleichstellung zu schaffen und die Einkommensunterschiede in der Gesellschaft zu verringern. Außenpolitisch sehen wir trotz des jüngsten Anstiegs des Handelsprotektionismus verstärkte Bemühungen Chinas, durch regionale Freihandelsabkommen Partnerschaften aufzubauen. In den kommenden Jahren ist trotz vieler offener Punkte dennoch mit einer kontinuierlichen Integration der chinesischen Wirtschaft in die globale Wirtschaftsordnung zu rechnen.
Über den Autor
Markus H.-P. Müller studierte Volkswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er ist leitender Angestellter in globaler Position bei der Deutschen Bank und zudem Dozent in wissenschaftlichen Einrichtungen wie der Frankfurt School of Finance, der Banking and Finance Academy in Uzbekistan und der Universität zu Bayreuth tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der strukturellen Transformation von Ökonomien und Gesellschaften sowie im Bereich der Nachhaltigkeit.
1 Krause, T.; Fischer, D (2021). Data as the new driver for growth? European and Chinese perspectives on the new factor of production. Universität Würzburg
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GundelG meint
China macht es richtig vor. Nur merkt es in Deutschland kaum jemand…