Typische arbeitsrechtliche Fragestellungen werden in der Stadt Shanghai und in der Provinz Jiangsu teilweise ganz unterschiedlich gelöst. Am Beispiel der beiden Standorte soll die Bedeutung lokaler Besonderheiten im chinesischen Arbeitsrecht dargestellt werden.
Folge 1: Befristung von Arbeitsverträgen in China
Noch vor einigen Jahren war es in China die Regel, dass fast ausschließlich befristete Arbeitsverträge geschlossen wurden. Diese konnten im Prinzip beliebig oft verlängert werden. Erst nach einer Beschäftigungsdauer von 10 Jahren konnte der Arbeitnehmer den Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages verlangen, wenn der Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anbot.
Das Arbeitsvertragsgesetz, das seit dem 1. Januar 2008 gilt, hat insoweit ein verändertes Leitbild gebracht. Neuer Regelfall soll jetzt der unbefristete Vertrag sein.
Die Regel, dass der Arbeitnehmer nach einer Beschäftigungsdauer von 10 Jahren den Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages verlangen kann, gilt immer noch. Untermauert wird das neue Leitbild des unbefristeten Vertrags jedoch vor allem durch die neue Bestimmung des Arbeitsvertragsgesetzes, dass ein unbefristeter Vertrag dann abgeschlossen werden muss, wenn das Arbeitsverhältnis nach Ablauf zweier befristeter Verträge nochmals verlängert werden soll. Beide Regeln werden in Shanghai und Jiangsu unterschiedlich interpretiert.
In Jiangsu ist die 10-Jahres-Frist auch dann erfüllt, wenn das befristete Arbeitsverhältnis wegen eines Kündigungshindernisses nicht enden konnte. Typische Kündigungshindernisse sind Schwangerschaft und Stillzeit oder eine während der Laufzeit des Arbeitsvertrags erworbenen Berufskrankheit.
Zur Anwendung der 10-Jahres-Regel kommt es in der Provinz Jiangsu jedoch selten, da Arbeitnehmer in Jiangsu bereits mit Ablauf des zweiten befristeten Vertrags ohne weiteres den Abschluss eines unbefristeten Vertrags verlangen können. Aus Sicht des Arbeitgebers heißt das: Ganz ohne Risiko kann in Jiangsu nur ein einziges Mal befristet werden. Auf diesen Umstand muss der Arbeitgeber in Jiangsu sogar ausdrücklich hinweisen: Die Arbeitsvertragsregeln der Provinz Jiangsu, die am 1. Mai 2013 in Kraft getreten sind, bestimmen zusätzlich, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit einer Frist von 30 Tagen vor Ablauf des zweiten befristeten Vertrags schriftlich darüber informieren muss, dass er Anspruch auf einen unbefristeten Vertrag hat.
In Shanghai muss hingegen nur dann ein unbefristeter Vertrag geschlossen werden, wenn der Arbeitnehmer mit Ablauf des letzten befristeten Vertrags tatsächlich zehn Jahre oder länger beim selben Arbeitgeber beschäftigt war und ein neuer Vertrag geschlossen werden soll. Beschäftigungszeiten, die nur wegen eines Kündigungshindernisses bestanden, zählen nicht mit.
Auch die Bestimmung zum Anspruch bei der zweiten Vertragsverlängerung sehen die Gerichte in Shanghai arbeitgeberfreundlicher als in Jiangsu. Nach Ablauf des zweiten befristeten Vertrags hat der Arbeitgeber hier die Möglichkeit zu entscheiden, ob überhaupt ein weiterer Vertrag geschlossen werden soll. Ist dies der Fall, kann der Arbeitnehmer den Abschluss eines unbefristeten Vertrags verlangen.
In seiner Stellungnahme vom 3. März 2009 macht das Obere Volksgericht Shanghai sogar noch eine weitere Einschränkung zugunsten des Arbeitgebers: Wenn der Arbeitnehmer sich trotz seines Anspruchs auf einen befristeten Arbeitsvertrag einlässt, ist auch eine weitere Befristung wirksam. Ob diese Interpretation, die das Befristungsrecht nahezu aushöhlt, sich auf Dauer halten lässt, bleibt abzuwarten.
Über die Autorin
Julia Tänzler-Motzek arbeitet seit 2004 als Rechtsanwältin und ist seit 2005 für CMS, China tätig. Sie berät Mandanten zu allen rechtlichen Aspekten bei Entsendungen nach China und im chinesischen Arbeitsrecht. Nachdem sie zunächst vor Ort in Shanghai tätig war, ist Frau Tänzler-Motzek seit 2007 im Kölner CMS-Büro erreichbar. Frau Tänzler-Motzek studierte an den Universitäten Kiel und Passau Rechtswissenschaft und absolvierte zwei Auslandssemester an der Universität Nanjing in China. Sie spricht Deutsch, Englisch und Mandarin.
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