Von Julia Hubschmid
„Jeder von uns muss noch ein bisschen was dazulernen.“ – Nicht nur in Deutschland und im Westen trauert man um Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der am 10. November 2015 in Hamburg verstarb. Auch in China wurde seiner in großem Respekt gedacht: In einer Sondernachrichtensendung des stattlichen Senders CCTV wurde er als „alter Freund des chinesischen Volkes“ 中国人民的老朋友bezeichnet. Premier Li Keqiang sowie Staatspräsident Xi Jinping kondolierten offiziell als Amtsträger und zudem persönlich in eigenem Namen.
1975, in einer Zeit, in der das Reisen zwischen Ost und West noch selten und exotisch war – sowohl für Privatpersonen als auch für Politiker –, reiste Helmut Schmidt zum ersten Mal nach China. Er war damit Deutschlands erster Bundeskanzler, der die Volksrepublik besuchte. Im Alter von 93 Jahren reiste er im Frühling des Jahres 2012, also knapp vier Jahrzehnte später, das letzte Mal nach Ostasien, um zwei gute Freunde zu treffen. Zu solchen waren für ihn Lee Kuan Yew geworden, der dreißig Jahre lang als Ministerpräsident in Singapur amtierte, und Zhu Rongji, ehemaliger Ministerpräsident der VR China und Vorgänger von Wen Jiaobao.
Immer wieder China – „Ich habe die Reisen nicht gezählt“
In seinem Leben reiste Helmut Schmidt etliche Male nach China – 15 oder 16 Mal? In einem Interview von 2012 sagte er „Ich weiß es nicht, ich habe die Reisen nicht gezählt“. China war Schmidts Lieblingsreiseland. Er schätzte die Geschichte und Kultur sehr und war Zeit seines Lebens fasziniert von der frühen Entwicklung und der Überlegenheit Chinas gegenüber Europa, die sich erst Ende des europäischen Mittelalters auflöste.
Helmut Schmidt war nicht nur der erste Bundeskanzler, der China bereiste, er wurde mit der Reise 1975 auch der einzige, der den damaligen Staatspräsident und umstrittenen Revolutionsführer Mao Zedong in Peking kennenlernte. Obwohl Mao im Westen in erster Linie für schwere Verbrechen stand, trat Schmidt ihm neugierig gegenüber und hörte ihm zu, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Schmidt wurde hiernach immer wieder von China-Kritikern als „China-Versteher“ angegriffen. Die Kritiker waren der Meinung, Schmidt würde durch seine Aufforderung, die politischen Vorgänge in China nicht nach neuzeitlichen europäischen Maßstäben zu beurteilen, Maos Politik oder die Menschenrechtslage beschönigen. Wer sich jedoch eingehender mit Schmidts Ausführungen zu China beschäftigt, wird feststellen, dass er ein differenzierter Beobachter, kein blinder Befürworter der im Westen oft kritisierten Punkte war.
Schmidts schriftliche „Begegnungen mit der Weltmacht China“
Alle Bücher, die Schmidt im Laufe seines Lebens über China schrieb, sind ins Chinesische übersetzt worden und verkaufen sich bis heute. In seinem 2012 erschienenen Buch „Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China“, nennt Schmidt drei Punkte, die seiner Ansicht nach für ein friedliches und kooperatives Nebeneinander unabdingbar sind. Es sind auch diese Punkte, mit denen sich Schmidts Haltung zu China zusammenfassen lässt:
Erstens: Verzicht auf westliche Überheblichkeit, stattdessen Respekt gegenüber der ältesten Kulturnation der Welt.
Zweitens: Volle Einbeziehung Chinas als gleichberechtigter Partner in alle multinationalen Organisationen, in denen globale Fragen – Wirtschaft, Finanzen, Klima, Abrüstung – verhandelt werden.
Drittens: Keine Widerstände gegen die zu erwartende Annäherung Taiwans an die Volksrepublik China und die daraus sich ergebende friedliche Wiedervereinigung.
„Jeder von uns muss noch ein bisschen was dazu lernen“
Schmidts durchdachter und offener Umgang mit dem Ausland ist sicher ein wichtiges Erbe des einflussreichen Denkers und Politikers. Immer wieder forderte er verschiedene Seiten auf, das Gespräch zu suchen. Das gilt fraglos weiterhin für den westlichen Umgang mit China wie auch für den gesellschaftlichen Dialog in China selbst. Das Prinzip lässt sich zugleich auf die aktuelle Flüchtlingssituation in Deutschland oder die Lage in den Herkunftsländern der Flüchtlinge übertragen. Um es mit Helmut Schmidts Worten zu sagen: „Die Welt mit den Augen der anderen zu betrachten, mit den Augen der Mitspieler und Gegenspieler – und unter dem Aspekt ihrer Interessen –, ist eine Kunst, die man nur im Gespräch mit Menschen anderer Kulturkreise erlernen kann.“
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