Von ICC-Redakteurin Isea Cieply
Mindestens zweimal hat nun jeder, der sich zurzeit in China aufhält, in den letzten Monaten das neue Jahr begangen. Genug knatterndes Feuerwerk ist in der Luft zersplittert, genug alte und junge Menschen, filigrane Damen und grobmotorische Ausländer haben sich im Jiaozi 饺子-formen geübt und auch Affenkuscheltiere mag niemand mehr sehen, oder?
Dennoch möchte ich die gerade wieder eingekehrte Alltagsgeschäftigkeit unterbrechen und ein kleines Resümee meiner persönlichen Erfahrung mit dem chinesischen Frühlingsfest in der südchinesischen Provinz Guangdong 广东 veröffentlichen. Das diesjährige sogenannte Chunjie 春节-Fest begann in diesem Jahr in der Nacht vom 7. auf den 8. Februar mit dem Chuxi 除夕und dauerte bis zum Sonntag, dem 14. Februar 2016.
Die große „Völkerwanderung“ zum Frühlingsfest
Zusammen mit (subjektiv gefühlten) 1,3 Milliarden Kurzfrist-Normanden war auch ich in diesem Jahr eine Neujahrspendlerin. Meine persönliche Reise führte mich von der nordchinesischen Stadt Zhangjiakou 张家口 im chinesischen Hebei 河北 nach Dongguan 东莞 in der südchinesischen Provinz Guangdong 广东, um dort mit meiner deutsch-chinesischen Freundin und ihrer Familie das Frühlingsfest zu begehen.
Aus diesem Anlass legte ich deutlich über zweitausend Kilometer zurück. Meine Reise führte mir abermals die gewaltige Dimensionen Chinas vor Augen. Der Temperaturunterschied von etwa 40 Grad Celsius ermöglichte mir Skifahren in Hebei und kurz darauf Bergsteigen im T-Shirt in Dongguan. Ich war keineswegs die Einzige, die innerhalb dieser Dimensionen reiste. Auf meiner Zugfahrt begegneten mir viele Menschen, die hunderte und tausende von Kilometer zurücklegten, um nach Hause zu fahren.
Zugtickets in sämtliche Orte waren bereits Wochen zuvor ausverkauft und gnadenlos überteuert. Die wichtigsten Großstädte waren wie leergefegt, im Gegensatz zu den Zügen und den Elternhäusern, die bis unter die Decke mit Menschen angefüllt waren. Die Familie meiner Freundin in Dongguan hatte sogar so viel Platz in Herz und Haus, dass sie auch noch eine Handvoll in China gestrandeter Ausländer aufnahm, die sich für die chinesische Kultur interessieren und mitfeiern durften.
Nianyefan 年夜饭 und Bergwandern am ersten Tag des Affenjahres
Am Silversterabend war es schließlich soweit: Unsere frisch vereinte internationale Großfamilie war zusammengekommen, um gemeinsam das Nianye 年夜-Festessen zu genießen. Unsere Omi, die wir liebevoll Popo 婆婆 nennen durften, verwöhnte uns mit vielerlei unterschiedlichen Sorten cai 菜, darunter Garnelen, Fisch, Mapo-Doufu, Mu‘er-Pilzen und weiteren Gaumenfreuden, sodass allein die Beilagen zur Sättigung ausreichten. Nach diesem leckeren Festmahl versammelte sich daraufhin sich die ganze Familie vor dem Fernseher um auf CCTV1 „Chunjie lianhuan wanhui 春节联欢晚会“, die große Silvestergala des chinesischen Staatsfernsehens, zu schauen und gemeinsam Schlagern- und Tanzvorführungen zu frönen.
Am Neujahrstag läuteten wir das neue Jahr des Affen schließlich mit einer Bergbesteigung des Huangqi 黄旗山-Berges in Dongguan ein. Bei geradezu sommerlichen Temperaturen waren wir nicht die Einzigen mit dieser Idee. Aus dem ursprünglich geplanten Spaziergang im Park und der Bergwanderung wurde folglich eine Nahkörpererfahrung, die an die kuschelige Gemütlichkeit chinesischer Busse erinnerte und der chinesischen Gewohnheit entsprechend „langsam, langsam“ erfolgte.
Gongxi facai 恭喜发财! – Viel Glück und viel Wohlstand!
Mit dem Fernsehabend am chinesischen Altjahresabend hatte auch bereits die Umverteilung im Kreise von Freunden, Familien und Bekannten begonnen. Ständig wurde man in der analogen und der digitalen Welt von roten mit Geld gefüllten Umschlägen abgelenkt. Ein wenig ungewohnt schien mir der digitale Hongbao 红包, den mir meine Universitätsdozentin über WeChat zusandte (das war tatsächlich das erste Mal, dass mir eine Lehrerin Geld schenkte!). Skurril kamen mir auch die (ungewöhnlich vielen) Polizisten vor, die sich am ersten Neujahrstag vor dem Tor unserer Wohnsiedlung aufreihten und allesamt der Reihe nach kleine rote Geldumschläge empfingen. Die Wachtmeister reagierten auf die kleine Spende, während sie diese schelmisch in die Hosentaschen verschwinden ließen, traditionsgemäß mit fröhlichen Neujahrsglückwünschen: „Xinnian kuaile 新年快乐“ und „Gongxi facai 恭喜发财“. Mögen die Rubel rollen!
Nachdem China in den letzten Jahren aus Sicht eines Ausländers etwas an Skurrilität verloren haben dürfte, freut man sich doch schon geradezu, wenn einmal etwas geschieht, das in Deutschland wohl so nicht passiert wäre. Bevor man als geschockter Ausländer allerdings die Korruptionssirene anwirft, sollte man sich klarmachen, dass in den Hongbaos meist nur ein, zwei Euro stecken.
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