Von ICC-Redakteurin Maike Holzmüller
Es ist eine Nachricht von vielen in der vergangenen Zeit, die sich mit den Versuchen der chinesischen Regierung, den nationalen Finanzmarkt zu stabilisieren, beschäftigt: „Die Rentenfonds erlangen Zugang zum Aktienmarkt“. Von bis zu 600 Milliarden Yuan ist die Rede, die potenziell dem Aktienmarkt zugeführt werden könnten. Doch woher stammt dieses Geld genau? Und wie funktioniert das Rentensystem in der zweitgrößten Wirtschaft der Welt?
Die Hintergründe des chinesischen Rentensystems
In der Volksrepublik wurde nach ihrer Gründung 1949 ein sozialistisches Versicherungssystem aufgebaut, das sich primär auf die städtischen Gegenden und den dortigen öffentlichen Sektor sowie Arbeiter im Bereich Bildung und Gesundheit fokusierte. Ländliche Gegenden waren vom Rentensystem ausgenommen. Das System entsprach einem umlagefinanzierten Prinzip, das eingezahlte Gelder direkt für aktuelle Renten nutzte, und wurde von lokalen Gewerkschaften und dem nationalen Gewerkschaftsbund verwaltet. Mit den Unruhen der Kulturrevolution ab 1966 und dem Untergang der Gewerkschaften fiel die Verantwortung für die Renten in die Hände der staatseigenen Firmen. Mit deren Schließung bzw. Privatisierung und der damit verbundenen Vielzahl an Entlassungen im Rahmen der Reform- und Öffnungspolitik der 1980er Jahre war der Aufbau eines neues Systems unvermeidbar. Der schon damals bemerkbare demographische Wandel forderte die Förderung eines funktionierenden Systems, das bis heute ein bedeutendes Thema in China bleibt.
Das heutige chinesische Rentensystem
Heute existiert das chinesische Rentensystem in vier unterschiedlichen Formen. In einem vollständig durch die Regierung finanzierten, beitragsfreien System befinden sich Partei- und Regierungsbeamte. In städtischen Regionen wurde 1997 das Grundlegende Urbane Rentensystem eingeführt, das Arbeitnehmer der meisten Firmen im urbanen Raum abdeckt. Darüber hinaus existiert seit 2009 das Pilotprojekt „Neues Ländliches Rentensystem“, das auf freiwilliger Basis der Etablierung eines Rentensystem in den ländlichen Gegenden dient. 2011 startete zudem das Pilotprojekt „Urbane Soziale Rente“, in dem ebenfalls auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhend nicht im Grundlegenden Urbanen Rentensystem verzeichnete städtische Arbeiter versichert werden.
Dabei sind die letzten drei als teilweise kapitalgedeckte Systeme konzipiert, in die Arbeiternehmer und Arbeitgeber Beiträge zahlen, die in Fonds aufbewahrt werden. Die beiden freiwilligen Systeme werden zudem durch lokale und zentrale Regierungsebenen subventioniert. Der National Social Security Fund wurde zusätzlich im Jahr 2000 als Regierungsfinanzierter letzter Ausweg bei Finanzierungsproblemen etabliert.
Die Reformierung des Rentensystems
Doch noch krankt das chinesische Rentensystem. Der Übergang von einem umlagefinanzierten zu einem teilweise kapitalgedeckten System stellt die chinesische Regierung bis heute vor große finanzielle Herausforderungen. Zudem lag seit Beginn der Reformen der Fokus auf dem Aufbau eines funktionierenden urbanen Rentensystems, wobei die große ländliche Bevölkerung lange Zeit zurückblieb. Das 2009 eingeführte „Neue Ländliche Rentensystem“ soll dem entgegenwirken, bleibt jedoch auf Grund der geringen Auszahlungsraten nur bedingt wirksam.
Und auch das städtische System funktioniert nur begrenzt. Im Jahre 2010 waren lediglich 55% der städtischen Bevölkerung im Grundlegenden Urbanen Rentensystem verzeichnet. Durch lokales Fehlmanagement und die Nutzung von Geldern zur Auszahlung aktueller Renten waren 90% der Fonds des teilweise kapitalgedeckten Systems leer. Das Vertrauen der Bevölkerung in das System war geschwächt durch niedrige Rentenauszahlungen, Zahlungsverweigerungen von Firmenseiten, fehlende Transfermöglichkeiten über Provinzgrenzen hinweg sowie die Furcht vor einer Nutzung eingezahlter Gelder für fremde Zwecke. Zum Schutz der Fonds vor risikoreichen Spekulationen und Investitionen durften diese bisher lediglich in staatliche Banken und Regierungsbonds investiert werden. Dadurch blieben die Erträge allerdings gering und das teilweise kapitalgedeckte System finanziell nicht haltbar. Die illegale Nutzung der Fonds von Seiten lokaler Regierungen wurde so gerade in den südlichen und östlichen Provinzen gestärkt.
Die Öffnung der Rentenfonds für Investitionen in den chinesischen Aktienmarkt ist also nicht nur im Licht der Finanzkrise, sondern auch mit Blick auf das chinesische Sozialsystem zu betrachten. Die Entscheidung der Regierung kann in beiden Bereichen Auswirkungen nach sich ziehen. Ob diese die Stärkung des Finanzmarkts oder die finanzielle Haltbarkeit des Rentensystems einschließen, bleibt abzuwarten.
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