Von China-Wiki-Redakteur Christoph Yew
Seit Jahren liefern sich chinesische Händler auf Amazon ein Katze und Maus-Spiel mit der Plattform. Regelmäßig werden neue Tricks und Methoden ausprobiert, wie man noch erfolgreicher verkaufen kann. Oftmals verstoßen diese Geschäftspraktiken, die im Fachjargon als Black Hat-Methoden bezeichnet werden, jedoch gegen die Verkäufer-Richtlinien. Neuerdings zeigt sich Amazon aber strenger denn je, Auslöser war ein Datenleck.
Im April und Mai kam es zum Paukenschlag. Eine Reihe der größten Amazon-Händler wurde vom US-Handelsgiganten dauerhaft gesperrt. Nach aktuellem Kenntnisstand ist es dabei sehr unwahrscheinlich, dass Amazon es diesen Unternehmen wieder gestattet, weiter zu verkaufen. Unter den betroffenen Sellern befinden sich illustre Namen wie Aukey, Mpow, Tacklife, Austor, Victsing, Seneo, Homasz, Homitt, Litom, TopElek, Omorc, Trodeem, Atmoko, Homtech und mehr.
Zusammengerechnet liegt der geschätzte jährliche Gesamtumsatz der geschlossenen Brands bei mehr als 1 Mrd. USD. Man kann sich leicht vorstellen, dass dies für große Aufruhr in der Branche gesorgt hat. Es herrscht nahezu nackte Panik unter chinesischen Händler auf Amazon. Blicken wir aber zunächst auf die Ursprünge und Besonderheiten dieser Handelsbranche.
Der Aufstieg chinesischer Amazon-Händler
Im Jahr 2006 hat Amazon mit der Implementierung des FBA-Services den Grundstein für ein Geschäftsmodell gelegt, das den Online Handel revolutionieren sollte. FBA steht für Fulfillment by Amazon. Vereinfacht gesagt, kann ein Händler seine Produkte in Amazon-Lager in den Zielmärkten (z.B. USA, EU, Japan) schicken. Amazon übernimmt dann die Logistik für Bestellungen von Endverbrauchern. Händler brauchen keine Lager in den Zielmärkten mehr eröffnen und können trotzdem sicher sein, dass die Bestellung sehr schnell beim Endkunden ist.
Chinesische Händler haben schnell das Potential dieses Services erkannt. Mit geringem Aufwand war es nun sehr bequem möglich, Endkunden in attraktiven Märkten zu erreichen. Darüber hinaus erlaubte es das Modell, bei Erfolg das Geschäft extrem schnell massiv auszubauen. Dies sorgte für die Entstehung chinesischer Brands, deren Jahresumsatz schon innerhalb von einem Jahr mehrere Millionen USD betragen konnte. Eine Besonderheit dieser Brands war dabei, dass nahezu 100% des Umsatzes auf Amazon erzielt wurden.
Chinesische Black Hat-Techniken auf Amazon
Bedingt durch die steigende Konkurrenz unter den Händlern, Unkenntnis über rechtliche Rahmenbedingungen in den verschiedenen Märkten und geprägt durch Geschäftspraktiken, die auf chinesischen Plattformen gängig sind, wandten mehr und mehr Händler Methoden an, die moralisch sehr zweifelhaft sind:
- Erstellung von gefälschten Rezensionen um die Konversionsrate eines Produktes zu verbessern.
- Schreiben von negativen Rezensionen auf Konkurrenzprodukten.
- Erstellung von gefälschten Bestellungen, um die eigenen Produkte ganz oben in den Suchergebnissen zu positionieren.
- Leerkaufen von Konkurrenzprodukten und diese nach Erhalt zu reklamieren, um Inventar und Cash Flow von Konkurrenten zu blockieren.
- Kapern von Produktseiten von Konkurrenten, um Informationen zu verfälschen oder um minderwertige Fälschungen zu verkaufen, damit Amazon das Produkt entfernt.
- Erstellen von Hunderten Händler Accounts, um im Falle einer Schließung eines Accounts weiter verkaufen zu können.
Amazon versuchte kontinuierlich und mehr oder weniger hartnäckig, Herr der Lage zu werden, was zu einem Katze und Maus-Spiel geführt hat, bei denen chinesische Händler auf Amazon immer raffiniertere Techniken angewendet haben.
Ein Datenleck über Trickserei sorgt für Aufruhr
Über die Jahre hatten sich Händler daran gewöhnt, dass Amazon regelmäßig immer mal wieder aufräumte. Dazu gehörte es, massiv gefälschte Rezensionen entfernen, Produkte offline zu nehmen, Händler-Accounts zu blockieren. In den meisten Fällen verlief dies mehr oder weniger glimpflich.
Oft konnten Händler Protest einlegen und die Produkte gingen nach ein paar Tagen oder Wochen wieder online. Im April 2021 dann kam es zu einem Datenleck bei einem Service-Provider, der unter anderem Services für gefälschte Bestellungen anbot. Mehrere Gigabyte an Emails und Daten gelangten an die Öffentlichkeit. Amazon erhielt darüber Kenntnis und war nun unter Zugzwang.
Bei Nichthandeln wären die Integrität des E-Commerce-Giganten und das Vertrauen der User in die Plattform massiv beschädigt gewesen. Da Amazon extrem großen Wert auf Kundenzufriedenheit legt, entschloss man sich, die betroffenen Händler und Produkte dauerhaft von der Plattform zu nehmen. Vereinzelt konnten einige Produkte anscheinend wieder freigeschaltet werden, der Großteil bleibt jedoch bis heute unauffindbar.
Chinesische Händler auf Amazon – Blick in die Zukunft
Ich stehe regelmäßig in Kontakt mit Amazon-Händlern und finde den folgenden Kommentar von einem mittelgroßen Händler von Haushaltsprodukten sehr passend, um die aktuelle Lage zu beschreiben:
“Es wird immer schwieriger auf Amazon erfolgreich zu verkaufen. Amazon wird immer strenger und die Konkurrenz immer größer. Macht man nur einen Fehler, kann dies mein ganzes Geschäft ruinieren. Amazon behält dein Geld ein, du darfst bestimmte Produkte nicht mehr verkaufen, du hast keinen Zugriff mehr auf deine Waren. Alles schon passiert. Es macht keinen Spaß mehr.”
Der Leser mag sich fragen, ob sich Amazon hierdurch nicht ins eigene Fleisch schneidet. Immerhin betragen die zusammengefassten Umsätze der Händler mehr als eine Milliarde USD. Die Antwort ist: nein. Denn erstens ist dieser Umsatz aus Sicht von Amazon extrem gering (<0.2%). Zweitens geht der Umsatz ja nicht verloren, sondern wird von anderen Händlern aufgefangen, die nicht von den Strafmaßnahmen betroffen sind.
Man darf gespannt sein, was nun als nächstes passieren wird. Meiner Meinung nach steht uns eine sehr umfassende Phase der Konsolidierung bevor. Chinesische Händler auf Amazon müssen sich ab 2021 definitiv auf neue Spielregeln gefasst machen. Internationale User können nun darauf hoffen, (etwas) weniger Fake-Bewertungen auf Amazon anzutreffen.
Über den Autor
Christoph Yew arbeitet seit 2012 im Bereich Cross-Border E-commerce in China und ist nach Stationen bei Anker, TCL und DJI inzwischen bei Thrasio tätig.
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