Von ICC-Redakteur Christoph Yew
Durch den Erfolg Amazons in den USA und Westeuropa ist in den letzten Jahren ein Unternehmer-Typ entstanden, der sich extrem hoher Beliebtheit unter chinesischen Geschäftsleuten erfreut: der Amazon-Verkäufer. In diesem Teil der Reihe über Amazon-Tricksereien chinesischer Verkäufer geht es um zweifelhafte Tricks, den eigenen Absatz auf Kosten der Konkurrenz anzukurbeln.
Produktfälschungen und ihre Verbreitung auf Amazon
Während die meisten Leute beim Stichwort Produktfälschungen an gefälschte Adidas-Trikots oder iPhones denken, betrifft dieses Prinzip auf Amazon auch unbekannte Marken. Durch das Marktplatz-Prinzip von Amazon können mehrere Verkäufer dasselbe Produkt auf demselben Listing verkaufen. Kerngedanke ist, dass es unsinnig wäre, bei Suche nach dem iPhone-Modell XY 100x dasselbe iPhone XY von verschiedenen Verkäufern angezeigt zu bekommen. Stattdessen gibt es nur ein Suchergebnis und verschiedene Verkäufer können nun auf der Produktseite eben dieses Modells XY ihre Ware anbieten.
Der Trick besteht nun darin, ein Produkt zu finden, welches sich sehr gut verkauft und welches leicht zu produzieren ist. Ist ein solches Produkt gefunden, wird schnellstens nach einer Fabrik gesucht, die ebenfalls dieses Produkt herstellen kann und es wird das gleiche Produkt angeboten. Meist jedoch in minderwertiger Qualität, da zu geringeren Produktionskosten. Auf diese Art und Weise können innerhalb weniger Tage Tausende von Bestellungen generiert werden. Der Versand der minderwertigen Kopien findet direkt aus China statt.
Nachdem nun die Käufer nach mehreren Wochen das Produkt erhalten haben, kommt es nicht selten zu negativen Bewertungen des Produkts und Reklamationsforderungen. Der Fälscher hat in der Zwischenzeit jedoch meist schon die Erlöse nach China transferiert und seinen Verkäufer-Account geschlossen. Diese als genmai 跟卖 (etwa „Nachahmer-Verkauf“) bezeichnete Vorgehensweise ist im Laufe der letzten Jahre jedoch immer seltener geworden, da Amazon entsprechende Gegenmaßnahmen eingeführt hat. Allerdings gibt es noch immer einige spezialisierte Verkäufer, die ein solches Modell fahren.
„Ethische Überlegungen als unnützer Ballast auf dem Weg zum Erfolg“
An diesem Punkt eine Anekdote: Zu Anker-Zeiten haben wir Amazon auf dieses Modell aufmerksam gemacht. Amazon hielt dies nicht für möglich und tat das Modell als Unsinn ab: „So etwas macht doch keiner.“ Nachdem Beweise vorgebracht wurden, war man bei Amazon schockiert und fing an Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Einige Jahre später saß ich mit chinesischen Verkäufern zusammen, die durch dieses Modell reich geworden sind. Ich versuchte zu erklären, dass diese Art zu verkaufen unethisch sei. Die Verkäufer jedoch vertraten den Standpunkt, dass Amazon selbst schuld sei, wenn ihre Plattform so etwas erlaubt. Ethische Überlegungen seien nur unnützer Ballast auf dem Weg zum Erfolg.
Bewertungsbetrug durch Variations-Capturing
Eine ähnliche Methode, die Schwachstellen des Amazon Systems auszunutzen, ist das sogenannte Variations-Capturing. Nehmen wir an, Sie verkaufen zwei T-Shirts. Eines in schwarz, eines in weiß. Ansonsten sind diese T-Shirts identisch. Amazon erlaubt es nun, dass die beiden Shirts in eine sogenannte Variation gepackt werden dürfen und dass die Rezensionen für das weiße Shirt auch auf der Produktseite des schwarzen Shirts erscheinen (und umgekehrt). Dies hat auch seinen Sinn, handelt es sich abgesehen von der Farbe ja um identische Produkte.
Jedoch wurde dieses System in der Form ausgenutzt, dass ein neues Produkt in eine Variation mit einem Produkt gelegt wurde, das komplett anders ist. Den Zielprodukten war jedoch gemein, dass sie eine hohe Anzahl positiver Rezensionen aufwiesen. So habe ich in der Vergangenheit oft gesehen, wie findige Verkäufer ihre No-Name-Powerbanks mit einer Anker-Powerbank in eine Variation gepackt haben und so im Handumdrehen Hunderte positiver Rezensionen erhalten haben. Teilweise wurden sogar Tastaturen mit Bildschirmen gemischt oder Handys mit Kopfhörern. Auch diese Methode wurde von Amazon inzwischen stärker eingeschränkt. Variationen werden nun wesentlich stärker kontrolliert und können für einige Kategorien gar nicht mehr angefertigt werden.
Mit Geschmacksmuster-Anzeigen Konkurrenz verdrängen
Bei einem Geschmacksmuster handelt es sich im Juristen-Deutsch vereinfacht ausgedrückt um ein „patentiertes Design“. Jemand hat ein Produkt-Design entworfen, registriert dieses und hält fortan das geistige Eigentum an diesem Design. Die Einfachheit jedoch, mit der Designs in Europa registriert werden können und die Schärfe mit der Amazon Verstöße verfolgt, haben dazu geführt, dass einige Seller mit Hilfe von Geschmacksmustern unliebsame Konkurrenz auf sehr effektive Weise vom Markt fegen können.
Theoretisch darf eigentlich nur ein Design angemeldet werden, das vorher noch nicht auf dem Markt erschienen ist, und das man selbst designt hat. Das EU Intellectual Property Office (EUIPO) führt bei Beantragung keine Überprüfung dieser Anforderungen durch. Rein praktisch können Sie ein Selfie von sich selbst einreichen und als Design für ein Smartphone registrieren. Dies hat dazu geführt, dass einige Seller einfach die Designs von bereits existierenden Produkten anderer Anbieter registriert haben, dieses bei Amazon angemeldet haben und dem Konkurrenten nun der Verkauf untersagt ist.
Der einzige Weg für den Geschädigten ist nun die Löschung des Geschmacksmusters auf dem Rechtsweg zu beantragen und danach das Produkt bei Amazon wieder freischalten zu lassen. Dieser Weg zieht sich jedoch über mehrere Monate und in dieser Zeit kann nicht verkauft werden. Bei Produkten, von denen die Absatzzahlen mehrere Hunderte pro Tag betragen, kann der Schaden in die Millionen gehen. Wenn dann noch der Schädiger seinen Sitz in China hat, gibt es auch keine Möglichkeit, Regressansprüche geltend zu machen.
Über den Autor:
Christoph Yew war über drei Jahre für Anker in China tätig und hat mit Askborg inzwischen seine eigene Elektronikmarke auf den Markt gebracht.
Die Methoden chinesischer Amazon-Verkäufer: gefälschte Rezensionen und Bestellungen
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ok:200 meint
Wo bewertet wird da wird auch betrogen. Diese sog. Geschmacksmuster-Anzeigen sind aber der Wahnsinn.