Erfahrungsbericht von Thomas Schneider
Im Rahmen meines Studiums der Modernen Ostasienstudien, einer Mischung aus Wirtschaftswissenschaften, Chinesisch und Regionalstudien mit Fokus auf Südostasien, habe ich von September 2013 bis Juli 2014 ein Jahr in China verbracht. Im Folgenden gebe ich einen kleinen Rückblick auf meine Zeit im Reich der Mitte…
Meine Universität ließ mir die freie Wahl, wo in China ich studieren möchte und so fiel meine Wahl letztlich auf die ehemalige deutsche Kolonie Qingdao in der Provinz Shandong. Qingdao erschien mir der beste Kompromiss aus allen chinesischen Städten: nicht so riesig und hektisch wie Peking oder Shanghai und doch mit genügend Möglichkeiten, um etwas zu erleben – außerdem das ganze Jahr über mit gemäßigten Temperaturen, für chinesische Verhältnisse einer passablen Luftqualität und einer tollen Natur mit Meer und Gebirge. Soweit zumindest die Theorie nach monatelanger Recherche und mindestens zehnfachem Umentscheiden.
Anreise als Abenteuer in der Transmongolischen
Schon die Anreise nach China war ein absolutes Abenteuer: Zusammen mit zwei Kommilitonen habe ich nicht etwa den bequemen Weg in der Luft gewählt, nein, etwas Spektakulärer sollte es dann doch sein. Was würde da näher liegen als eine siebentägige Zugfahrt in der Transmongolischen (ja, Transmongolisch – die Transsibirische Eisenbahn gibt es auch, aber die fährt nicht durch die Mongolei) Eisenbahn! Was liest man da im Internet für spektakuläre Geschichten! Ziegen sollen hier schon mit im Abteil gefahren sein und Wodka wird sowieso liter- – ach, was sage ich – eimerweise konsumiert! Die Realität sieht dann natürlich, überraschenderweise, nicht ganz so aus wie man sich das ausmalt. Wodka hat eigentlich niemand getrunken, eine Ziege ist auch nicht mitgefahren, aber spektakulär war es trotzdem allemal. Jeden Morgen aufzuwachen und eine völlig neue Landschaft bewundern zu können – großartig. Dazu Gespräche mit Mitreisenden und den chinesischen Zugbegleitern und einfach Zeit, um darüber nachzudenken, was nun in dem Jahr kommen würde.
Die ersten Schritte in China: Taxi, Bank, Taxi
Nach einem kurzen Aufenthalt in der Ankunftsstadt Peking, der eigentlich wie ein Traum an mir vorbeigegangen ist, habe ich mich dann alleine im Schnellzug auf den Weg nach Qingdao gemacht. Dort angekommen durfte ich dann direkt einmal alle „Schokoladenseiten“ Chinas im Schnelldurchlauf kennenlernen. Der Bahnhof in Qingdao liegt eine durchaus beachtliche Strecke vom Campus der Universität entfernt und da ich komplett neu in der Stadt (und nebenbei auch in dem Land) war entschied ich, dass eine Taxifahrt wohl die beste Wahl wäre. Ohnehin musste ich für mein Stipendium des Konfuzius-Instituts noch vor der Registrierung an der Uni ein Bankkonto eröffnen. Und da die Registrierung noch am selben Tag stattfinden musste, traf es sich ganz gut, dass mein Taxi eben auf dem Weg zur Uni an einer Bank of China Filiale anhalten konnte. Was sich weniger gut traf war, dass mein Taxifahrer einer jener Taxifahrer war, deren Tax-o-meter ständig „kaputt“ ist und dass ich nicht wusste, dass man solche Taxis besser nicht wählt. Dieser Umstand hat mich dann gute 80 Kuai zuviel gekostet, aber naja – es war ja auch der erste Tag. Immerhin hatte er ohne Widerrede an der Bank of China-Filiale angehalten, wo ich mein Bankkonto eröffnen konnte. Oder es zumindest probieren konnte. Denn wenn man etwas im Chinesisch-Unterricht der Uni nicht lernt, dann ist das finanzspezisches Vokabular. So dauerte das ganze Prozedere dann etwas länger als geplant. Das fand mein Taxifahrer nicht ganz so toll, andererseits wusste wohl auch er, dass wir uns mit der jetzigen Fahrtdauer auch dem Preis einigermaßen realistisch angenährt hatten und so beschwerte er sich nur kleinlaut.
Bekanntschaft mit der chinesischen Bürokratie
An der Uni angekommen machte ich dann erste Bekanntschaft mit der chinesischen Bürokratie. Für die Registrierung musste man einen Marathon voller Unterschriften, Stempel und Belege absolvieren, der sich über sage und schreibe 16 verschiedene Stationen erstreckte. Vorläufiger Höhepunkt dabei war die Station für das Gesundheitszeugnis. In mühevoller Arbeit hatte ich noch in Deutschland über ein halbes Jahr diverse Untersuchungen über mich ergehen lassen und letztlich überglücklich mein komplett ausgefülltes Gesundheitszeugnis in den Händen gehalten – was an meiner Uni allerdings niemanden auch nur annährend interessierte. Ja, das ist zwar ausgefüllt, aber das wurde ja nicht hier in China gemacht, darum geht es morgen früh um sieben Uhr ins Krankenhaus zum Gesundheitscheck… Letztlich ersparte man mir aber immerhin das erneute Röntgen der Lunge, was mich ob meiner Gesundheit doch erleichterte.
Nachdem die Registrierung erledigt war machte, ich mich alleine auf die Suche nach meinem Wohnheim. Irgendwo da oben auf dem Berg sagte man mir. Also bei gefühlten 50 Grad im Schatten mitsamt aller Koffer den Berg hoch! Nach einigen Malen Verlaufen kam ich auch an, fand recht schnell mein Zimmer und – stand plötzlich in einem Einzelzimmer mit einem zweiten Bett. Ich wusste, dass mein Stipendium nur für ein Doppelzimmer bezahlt, aber das hier war eindeutig kein Doppelzimmer. Genau das bestätigte mir dann auch mein russischer Mitbewohner, der kurze Zeit später etwas überrascht mit einer Freundin im Türrahmen stand. Er wohnte hier zwei Jahre in einem Einzelzimmer – bis diesen Sommer jemand von der Uni kam und sagte, dass das nun ein Doppelzimmer sei. Noch im selben Moment beschloss ich meinen baldigen Auszug. Auch wenn mein Mitbewohner ein sehr netter Zeitgenosse war, aber morgens ungefähr 30 Zentimeter neben ihm aufwachen, das musste dann doch nicht sein. So machte ich mich kurz darauf auf den Weg in eines der etlichen Immobilienbüros, die es in Qingdao wirklich an jeder Ecke zu geben scheint. Die Aufregung war groß als ich dort erschien (Laowei, laowei!), aber umso herzlicher wurde ich dann empfangen, nachdem jemand gefunden war der sich traute, sich meiner anzunehmen. Nach zwei schnellen Wohnungsbesichtigungen hatte ich mich dann auch direkt für eine etwa 50 qm große Wohnung in einem sehr chinesischen Wohnbezirk entschieden. Zwar war die Wohnung nach europäischem Maßstab nicht allzu schön, nicht allzu sauber und schon gar nicht (!) allzu leise, aber ich war raus aus dem mickrigen Wohnheimzimmer und darüber war ich sehr, sehr glücklich.
Ich bin angekommen: tolle Bekanntschaften in China
Letztlich hatte sich die Entscheidung, in eine eigene Wohnung außerhalb zu ziehen als absoluter Glücksgriff erwiesen. Ich machte in diesem Jahr eine Vielzahl wunderbarer Bekanntschaften, die ich nicht missen möchte. Es gab den muslimischen Koch mit seiner kleinen Wohnzimmer-Küche, der sich immer herzlich freute, wenn ich mal wieder vorbeikam, um seine großartigen Kartoffeln mit Rinderstreifen zu essen, es gab die Familie die einen kleinen Baozi-Schnellimbis führte, die nicht viel sprach, aber immer wenn ich einmal länger nicht da war, fragte wo ich gewesen bin, und viele mehr. Auch mit meinen Nachbarn hatte ich großes Glück. Ein älteres chinesisch Ehepaar, welches nicht nur sehr herzlich grüßte, sondern mich auch daran erinnerte, wenn ich mal wieder vergessen hatte, den Strom bei meinem Stromverwalter zu bezahlen. Der Stromverwalter war übrigens eine Art Polizist im Barcelona Trikot, der rund um die Uhr in einer dunklen Kammer saß und darauf wartete, dass jemand kam um seinen Strom zu bezahlen. So sah das zumindest für mich aus.
Unglücklich: verschultes System an der Universität
Auch sonst hatte ich mich nach den kleineren Anlaufschwierigkeiten sehr gut in China und in Qingdao eingelebt, nur mit dem sehr, sehr verschulten System der Universität war ich unglücklich. Man hatte keinerlei Freiheiten und zwischenzeitlich habe ich mich auch schon einmal in die Grundschule zurückversetzt gefühlt, wenn sich erwachsene Menschen darüber gefreut haben, einen Stempel unter Ihre Hausaufgaben gekriegt zu haben. Darum stand für mich schnell fest, dass ich nebenbei noch ein Praktikum machen möchte, um mehr über die Wirtschaftsstrukturen des Landes zu erfahren. Die Zeit in den Semesterferien im Winter nutzte ich neben der Vorbereitung für den HSK 5-Test dann dafür, ein geeignetes Unternehmen zu finden.
Tolles Praktikum in der Unternehmensberatung
Nach kurzer Recherche stieß ich auf eine kleine (nur der Chef, seine Frau und ein Praktikant) Unternehmensberatung, wo ich nach einem kurzen, positiven Kontakt mein Praktikum bis zu meiner Abreise absolvieren konnte. Auch hier hatte ich wieder einen absoluten Glücksgriff getätigt, denn gerade die Tatsache, dass die Beratung so klein war, ermöglichte mir einen viel tieferen und umfassenderen Einblick in die tägliche Arbeit. Es gab eigentlich nichts aus dem Portfolio, bei dem ich nicht mitgearbeitet hatte. Von Sourcing-Tätigkeiten über Markt- und Unternehmensanalysen bis hin zur aktiven Mitarbeit bei einem Start-Up Beratungsprojekt war alles mit dabei. So konnte ich einen großartigen Einblick in viele verschiedene Themenbereiche in China gewinnen und habe einen sehr interessanten Überblick über die Herausforderungen und Möglichkeiten des chinesischen Marktes gewonnen. Wer ahnt denn zum Beispiel, dass es wesentlich einfacher ist ein Representative Office in China zu eröffnen, als es zu schließen? Unser europäischer Kunde aus der Fleischbranche jedenfalls nicht, was eine Menge Arbeit für ihn und auch uns und insbesondere für mich einen sehr intensiven Einblick in chinesische Gesetzestexte bedeutete.
Auch das Projekt mit dem Start-Up Unternehmen offenbarte einige sehr interessante Eigenheiten des Marktes. So verging keine Woche nach dem Marktstart bis wir durch Zufall auf exakt das gleiche Produkt eines anderen Anbieters aus Qingdao stießen – natürlich bei Taobao. Da heißt es dann schnell und kreativ sein, bevor der Konkurrent schon in jeder Tür seinen Fuß drin hat. Und das bedeutet dann auch mal eher unkonventionelle Verkaufs- und Marketingmethoden anwenden, zum Beispiel der Direktvertrieb an der Haustür (was auf Grund der abgeschlossenen Wohneinheiten im Übrigen gar nicht so einfach ist) oder das Gewinnen von Marketingpartnern beim Kioskbesitzer um die Ecke.
Fast ein chinesische Werbestar!
Zwischenzeitlich wurde ich dann irgendwie durch Zufall nebenbei noch fast Werbestar. Wie genau es dazu kam weiß ich schon gar nicht mehr, aber auf einmal spielte ich in einem Werbespot für ein großes, chinesisches Unternehmen einen europäischen Firmenchef. Da ich offenbar halbwegs überzeugt hatte, wurde mir danach die Ehre zuteil einen deutschen Sternekoch in einem sehr teuren Hotel zu mimen. Als ich dann noch ein Angebot für einen weiteren Fernsehspot kriegte, der drei Tage lang auf einer Yacht gedreht werden sollte, wurde es mir doch zu viel und so hängte ich meine noch junge Karriere als Werbesternchen direkt wieder an den Nagel. Aber wer kann seinen Enkeln schon erzählen, dass er Mal im chinesischen Fernsehen war?
Fazit? Unglaublich spannend und bereichernd…
Alles in allem war das Jahr in China eine unglaublich spannende und bereichernde Erfahrung für mich. Ich habe so vieles gelernt, sowohl auf menschlicher, kultureller wie auch auf fachlicher Ebene. Kein Tag glich dem anderen und es gab immer wieder Neues zu erleben. Dafür mag ich China sehr und werde in naher Zukunft zweifellos wieder zurückkommen – aber für immer dort leben, das muss dann doch nicht sein…
Kontakt zum Autor Thomas Schneider via ICC
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SonJa meint
Vielen Dank für diesen super Einblick!!