Erfahrungsbericht von Amine El Monjid. China-Einsatz bei Dürr Systems, Sommer 2013.
Warum ich mich nach meinem Studium, der Elektrotechnik und Informationstechnik mit der Vertiefung Regelungs- und Automatisierungstechnik an der TU-Darmstadt für die Firma Dürr Systems GmbH entschieden habe?
Das liegt sicherlich daran, dass das schwäbische, traditionsreiche, mittelständige und zudem sehr erfolgsreiche Unternehmen Weltmarktführer in seine Branche ist und ich meine universitäre Ausbildung dort optimal ergänzen kann. Dürr Systems plant und baut voll automatisierte Lackieranlagen und Endmontagelinien für die Automobilindustrie weltweit.
Besonders wichtig war mir aber auch die Internationalität des Unternehmens. Dürr ist in 23 Ländern vertreten und wickelt weltweit Projekte überall dort ab, wo Automobilhersteller Produktionsanlagen haben. Die großen Vorteile, welche die Internationalität bietet, und die damit verbundene Möglichkeit, verschiedene Kulturen kennenzulernen, habe ich bei der Auswahl meines viermonatigen Auslandsprojekts erkannt.
Letztendlich habe ich mich nach dem Lesen sowohl positiver als auch negativer Erfahrungsberichte für China entschieden und mich entschlossen, meine eigenen Erfahrungen zu sammeln. Die Wahl fiel nicht nur auf China, weil es einer der wichtigsten Märkte für die Automobilindustrie ist, sondern auch, um die asiatische Kultur und speziell die chinesische als eine der ältesten Kulturen der Geschichte näher kennenzulernen.
Chinesische Arbeitskultur: Interkulturelles Wissen gefordert
Seit Mai 2013 bin ich in zwei verschiedenen Projekten in Shenyang im Nordosten Chinas für die Firma Dürr tätig. Dort errichten zwei unserer großen Kunden, BMW-Brilliance und Shanghai General Motors, jeweils ein neues Automobilwerk. Dürr baut für beide Werke komplett automatisierte Lackieranlagen.
Wer es sich in China leisten kann, spart nie bei guter Qualität. Das Label „Made in Germany“ wird in China hoch geschätzt und ist sehr beliebt. Dies ist der erste Vorteil, welchen man bei den chinesischen Kollegen genießt, wenn man für deutsche Firmen in China arbeitet. Wenn man allerdings nicht bereit ist, die „deutsche“ Arbeitsweise (wie direktes Ansprechen von Problemen, offene Aussprache usw.) anzupassen, wird man seine Ziele nur schwer oder gar nicht erreichen.
Dabei können durch „rationales“ Arbeiten auch Konflikte verursacht werden, die besonders in China unbedingt zu vermeiden sind. Beispielsweise beginnt um ca. 11.30 Uhr die Mittagspause, die den Chinesen heilig ist. Es empfiehlt sich daher z.B., keine Meetings um diese Zeit zu planen. Man kann allerdings sehr gerne auch beim Essen über das Geschäft sprechen. Die großen Geschäfte und Vereinbarungen werden in China beim Abendessen besprochen. Das gemeinsame Essen ist ein Symbol des gegenseitigen Vertrauens in der chinesischen Kultur.
Über entstandene Konflikte kann jedoch nicht gesprochen werden. Man kann Konflikte nicht wie in Deutschland durch Diskussionen bzw. eine offene Aussprache lösen. In China braucht es seine Zeit, die Konflikte auszusitzen. In Sachen Arbeitsmentalität stellt man in China schnell fest, dass jeder ein fest definiertes Arbeitsfeld hat und während einer Diskussion ungern in andere Arbeitsbereiche einbezogen werden möchte. Bei Informationsbeschaffungen bzw. Besprechungen sollte man vorher genau wissen, wer welches Aufgabengebiet hat, besonders wenn man Probleme im Projekt besprechen muss. Meiner Erfahrung nach ist es in China besonders wichtig, Probleme gemeinsam mit dem Projektteam zu lösen und keinem das Gefühl zu geben, allein schuld zu sein.
In der chinesischen Arbeitskultur stellt man ebenfalls fest, dass die Chinesen bei Diskussionen und Fragen schnell und sachlich antworten. Je nachdem, wie man Kritik übt, kann Vertrauen sehr schnell verloren gehen. Das Thema des „Gesichtsverlustes“ ist immer noch stark in der chinesischen Gesellschaft verbreitet. Allerdings verstärkt dies die Verlässlichkeit der Chinesen, die ein großer Vorteil der chinesischen Arbeitskultur ist. Eine der positiven Merkmale der chinesischen Kultur ist auch das Einhalten vom Versprechen.
Beziehungs- und Sachebene liegen bei der chinesische Arbeitsmentalität sehr nah beieinander. Dies ist nicht als negativ anzusehen, es stärkt eher das gegenseitige Vertrauen und die gute Zusammenarbeit. Um eine grundlegende Vorstellung und eine Basis für Verständnis und Umgehen mit der chinesischen Kultur zu bekommen, besuchte ich bei Dürr als Vorbereitung für meinen China-Einsatz ein interkulturelles Training mit dem Schwerpunkt „Arbeiten in China“. Ich sehe es als sehr hilfreich und empfehlenswert an, ein solches Training vor der ersten Reise in ein kulturell so anders geprägtes Land zu absolvieren. Besonders am Anfang konnte ich mit Hilfe des Trainings mehrere Situationen und Reaktionen von chinesischen Kollegen besser verstehen und nachvollziehen.
Internationalität ist heute ein Muss. Gerade in internationalen Projekten können kulturell unterschiedliche Herangehensweisen auch von Vorteil sein. Unterschiedliche Sichtweisen können sich positiv auf die Entscheidungsfindung auswirken, da mehrere Gesichtspunkte beleuchtet werden. Wenn man offen für Fremdes ist, eine positive Einstellung, Respekt und Verständnis für andere Kulturen hat, dann ist der Grundstein für ein erfolgreiches internationales Projekt gelegt.
Leben in China: Willkommen im sicheren Shenyang
Wer denkt, in China läuft alles langsamer, der irrt sich. In China wächst alles sehr schnell. Die ehemalige Kaiserstadt Shenyang ist die Hauptstadt der Provinz Liaoning. Aufgrund der vielfältigen Wirtschaft (Automobilindustrie, Flugzeugindustrie, Chemieindustrie…) ist Shenyang das Wirtschaftszentrum von Nordostchina geworden. Das rasante Wachstum spürt man jeden Tag. Neue Hochhäuser, neue Straßen und vor allem riesige neue Einkaufszentren werden überall gebaut. So viele Einkaufszentren wie in China habe ich noch nie gesehen. Wenn man gerne Sport treibt, hat man in China bei jedem Wetter die Möglichkeit dazu. Es gibt überall Sportzentren, die alle möglichen Sportarten anbieten, angefangen bei Kampfsport über Pingpong bis hin zu Fußball.
Die Menschen in Shenyang sind sehr freundlich und sehr offen. Wenn man „ausländisch“ aussieht, wird man oft auf der Straße angesprochen und fotografiert. Anders als Hongkong oder Shanghai sprechen in Shenyang leider nicht so viele Leute Englisch, dafür habe ich mich noch nirgendwo so sicher gefühlt wie auf Shenyangs Straßen, und das sogar bei Nacht. Es empfiehlt sich, Visitenkarten von Hotel, Restaurants usw. überall mitzunehmen, um diese dem Taxifahrer zeigen zu können.
Chinas Esskultur und Sehenswürdigkeiten
Dass Essen in China eine ganz eigene Kultur ist, merkt man schon am ersten Tag. Überall, wo man hinschaut, sieht man die großen beleuchteten Restaurantplakate. Zusätzlich zu den Restaurants findet man fast überall Essensstände auf den Straßen, die 24 Stunden am Tag Nudeln und Grillgerichte anbieten. Die scharfe chinesische Küche ist vielfältig und hat für jeden Geschmack etwas anzubieten. Keine Angst, man muss sich bei einer so großen Auswahl von guten Gerichten beim Bestellen nicht quälen. In China geht man immer in der Gruppe essen, und es wird von allem etwas bestellt, so dass jeder alles probieren kann. Die Chinesen sind, wie viele andere Völker auch, sehr stolz auf ihre Küche und ausgesprochen gastfreundlich.
Es ist ratsam, zusätzlich zu den Visitenkarten der guten Restaurants auch Bilder seiner Lieblingsgerichte mit dem Smartphone zu machen. Das kann ein sehr hilfreiches Kommunikationsmittel sein, besonders wenn man ein zweites Mal dorthin gehen möchte und niemanden dabei hat, der Chinesisch spricht. In der Freizeit lässt es sich in der Kaiserstadt Shenyang nicht nur gut shoppen oder lecker essen, sondern es gibt auch einiges zu besichtigen. Beispiele sind der Kaiserpalast der verbotenen Stadt, die Kaisergräber, der Expo Park, Guandong Movie und einige Museen.
Fazit: Einsatz in China? Unbedingt zu empfehlen!
Dieser Erfahrungsbericht ist keine Verallgemeinerung. Er beschreibt lediglich meine eigenen ersten Erfahrungen in China. Nach meiner positiven Erfahrung kann Ich jedem, der die Tradition, die faszinierende alte Kultur und das sehr interessante Arbeitsleben in China kennenlernen will, empfehlen, nicht zu zögern und es selber zu erleben.
Haben Sie ein Praktikum in China gemacht? Sind Sie momentan und längerfristig dort berufstätig? Dann freuen wir uns sehr über einen Erfahrungsbericht von Ihnen! Einfach den Text an info@china-wiki.de senden – gerne mit ein, zwei Fotos von Ihnen in China.
Weitere Erfahrungsberichte aus China gibt es hier.
Yaos meint
Ich war für je ein Wochenende geschäftlich in Shenyang – mir hat es auch sehr gut gefallen! Sicherheit, finde ich, ist aber heutzutage überall in China kein Problem – zumindest nicht für Ausländer – so lange die sich benehmen 😉
*rocco* meint
ich fahre nächstes jahr nach shenyang, weil da meine schwägerin wohnt! freue mich über mehr tipps dazu…