Die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 ist in vollem Gange und zeigt einmal mehr, dass es weltweit kulturelle Unterschiede im Umgang mit Sieg und Niederlage, mit Stolz und Frust gibt. Wir wagen einen Blick auf große Emotionen im interkulturellen Ländervergleich. Wie leiden Spanier öffentlich? Was prägt den medialen Umgang mit Misserfolg in England?
Es ist in der Forschung und Praxis umstritten, ob man von einheitlichen Nationalkulturen ausgehen soll oder nicht. Unterscheiden sich die Menschen in einem Land nicht noch einmal stark untereinander? Wohl kaum sind alle Deutschen pünktlich, alle Japaner höflich usw. Dann wiederum finden sich durchaus Gemeinsamkeiten in einem Land, die beispielsweise durch die Landessprache(n), tradierte Erziehungsstile sowie das Schul- und Ausbildungssystem geprägt sind. Die Medien beeinflussen natürlich ebenso die Kultur und Mentalität in einer Gesellschaft. Schaut man sich die medialen Reaktionen auf die WM-Niederlagen in verschiedenen Ländern an, fühlt man sich darin bestätigt, dass zumindest die nationalen Medienkulturen konstante Merkmale aufweisen.
Englands Schmerzbewältigung: Nationalstolz, Drama und Galgenhumor
Engländer sind berühmt für ihre Kunst des Smalltalk, gelten als trinkfest und stolz auf ihr Land – nicht nur wegen der Queen, sondern auch deshalb, weil der Fußball ja aus England kommen soll. Zudem steht das Land für den schwarzen Humor, der selbst vor der Nazi-Zeit keinen Halt macht, wie manch deutscher Besucher kopfschüttelnd feststellen musste. Englands Presse nimmt ebenfalls kein Blatt vor den Mund, The Sun und Co schlagen gerne mal rhetorisch über die Stränge. Gerade wenn es um Fußball geht, wird mitunter heftiges Vokabular verwendet. Beim jüngsten Ausscheiden der englischen Nationalelf ging in England – einmal wieder – die Fußballwelt unter. Da war von einem „hoffnungslosen Fall“, „Englands Elend“ und der „schlechtesten WM aller Zeiten“ die Rede. Doch bewahrten sich die Journalisten und Fußballbegeisterten im Netz ihren Sinn für Galgenhumor: „Wir sind durch!“ hieß es genauso wie: „Endlich einmal so gut wie Spanien!“ Nicht zuletzt kam mit diesem Spruch eine weitere englische Facette hinzu: „Always look on the bright side of life!“
Spaniens Reaktionen auf das Ausscheiden: Stolz, Trotz und Gelassenheit
Schaut man in einen interkulturellen Ratgeber über Spanien, werden die Landsleute als romantisch, leidenschaftlich, aber auch entspannt und umgänglich beschrieben. Nimmt man die Klischees hinzu, die der Matador beim Torero verkörpert, zeichnen sich die Spanier im Wettkampf durch großen Kampfgeist und Stolz aus. Stolz sein können die spanischen Fußballer auf ihre Leistungen bei den letzten Großturnieren. Zur diesjährigen WM in Brasilien reiste die Selección so auch als Weltmeister und großer Favorit an. Nach zwei Spielen aber war Schluss – die spanische Nationalelf schied aufgrund von zwei Niederlagen überraschend und unerwartet schnell aus. Die Reaktionen? Die Torwartlegende Iker Casillas wurde direkt nach dem Spiel interviewt, zeigte sich enttäuscht, aber nicht am Boden zerstört. Genervt reagierte er nur auf die Frage, ob damit eine Ära zu Ende gegangen sei. Dieses Fazit, so Casillas, der an einigen Toren Mitschuld trug, sei überstürzt. Spaniens Medien waren zwar entsetzt über das frühe Ausscheiden, doch fand man sich ebenso – fast stoisch gelassen – mit dem Schicksal ab: „Dieses Ende hat Spanien nicht verdient, aber so ist der verdammte Fußball“. schrieb die spanische Sportzeitung Marca. Diese Reaktionen zeigen, dass trotz der letzten Niederlagen der Stolz auf die vorherigen Leistungen weiterlebt. Das ist nur ein Grund, warum in Zukunft nach wie vor mit den Spaniern auf dem Spielfeld zu rechnen ist.
Deutschland Einstieg ins Turnier: Zurückhaltung, Jubel und Effizienzansprüche
Mit Nationalstolz ist das in Deutschland bekanntlich so eine Sache. Die WM musste erst 2006 in Deutschland stattfinden, damit hierzulande die Fans überall die Flaggen herausholten. Danach wurde es – abgesehen von den großen Fan-Meilen – wieder etwas ruhiger, obwohl Deutschland weiterhin gut bei den Turnieren abschnitt. Auch in diesem Jahr hält sich das Land bisher mit der öffentlichen Begeisterung noch ein wenig zurück, Fähnchen- und Fahnen-Meere sind noch überschaubar. Das könnte damit zusammenhängen, was mit Rückgriff auf Goethes Trauerspiel (!) Egmont folgendermaßen als deutsche Eigenschaft beschrieben wird: „himmelhoch jauchzend [und] zu Tode betrübt“ zu sein. Betrübt schauten viele auf die deutsche WM-Vorbereitung, die gar nicht so schlecht verlief, jubelnd und jauchzend reagierten die deutschen Medien auf den Sieg gegen ein Portugal, das eigentlich erschreckend schlecht gespielt hatte. Nach dem Spiel gegen Ghana kam dann wieder Ernüchterung. Wie es mit der Begeisterung weitergeht, hängt natürlich von den nächsten Ergebnissen ab – Betonung liegt hier auf dem Plural. Es mag eventuell eine Folge des Strebens nach Effizienz sein, für das die Deutschen weltweit respektiert werden – jedenfalls sind die deutschen Erwartungen ans eigene Team sehr hoch: Endlich soll die Nationalelf die Weltmeisterschaft gewinnen! Denn das kann doch nicht so schwer sein, wo die Deutschen zuletzt mehrfach so nah dran waren…
Lesen Sie im nächsten Artikel mehr über die mediale Verarbeitung von Großereignissen im weltweiten Sport. Wie behandeln Chinas Presse und Internet sportliche Erfolge und Misserfolge in internationalen Wettbewerben?
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RemiZ meint
Absolut nervig, dieses Auf und Ab… Vor allem die vermeintlichen Fußball-Experten haben weder Team noch Zuschauern mit der plötzlichen Begeisterung nach dem Auftakt gegen Portugal einen Gefallen getan… Dann wiederum ist Fußball nicht nur Kopfsache, sondern auch Leidenschaft – also nicht immer logisch;)
W_Lothar meint
Lieber ein würdevoller Verlierer als ein überheblicher oder unfairer Sieger!