Chinesen lieben Masken. Nicht unbedingt das maskenhafte Lächeln ist damit gemeint, darüber habe ich an anderer Stelle ja bereits berichtet. Nein, richtig fremde Masken. Jedenfalls war das noch so, als ich da war, Mitte der Nullerjahre. Mit Weihnachten haben sie es besonders. Ich dachte, das hätte abgenommen. Doch was mir so mancher deutsche Expat von seinen Weihnachtserfahrungen in China erzählt, hat sich das nicht verändert, es ist eher schlimmer geworden.
Ich jedenfalls war auch über Weihnachten in China. Und da lernte ich verschiedene nette Gestalten kennen. Zum Beispiel den Shengdan laoren 圣诞老人, einen freundlichen älteren Herrn mit unpraktisch langem Bart, der in den USA seit seiner Erschaffung durch Coca Cola seinen Dienst unter dem Namen Santa Claus tut. Ich selber aber hatte die große Ehre, mit dem doch eigentlich um einiges älteren Wunderknaben verwechselt zu werden. Was war geschehen? Ich unternahm einen Abstecher in ein mit chinesischen Studenten besetztes Klassenzimmer, nach einer internen Weihnachtsfeier für all die fremden Studenten, Amis, Deutsche, Koreaner, alles bunt gemischt.
Dort wurden Geweihe verteilt. Ja, Sie lesen richtig, keine weißen Rauschebärte oder roten Zipfelmützen, es war ein Geweih aus Plastik, angeblich von einem Rentier, das glaube ich aber nicht so ganz. Nun hatte ich wie jeder brave dankbare ausländische Gast mir ein solches Geweih aufsetzen lassen und verursachte unter den offenbar weihnachtsunerfahrenen, sehr jungen chinesischen Studenten einen unterwarteten Ausnahmezustand. Sie umsprangen, umjubelten mich und gaben mir zu verstehen, dass ich der Herr Shengdan laoren persönlich sei, ich konnte mich der Herzlichkeit kaum erwehren. Irgendwann vermochte ich ihnen begreiflich zu machen, dass ich nur ein untergeordneter Charge wäre, eigentlich nur das blöde Lasttier, das den Schlitten zieht. Und siehe, sie hatten es sogar verstanden. Änderte das was? Nö, die Party ging mit unverminderter Lautstärke weiter. Und irgendwann bekam ich sogar eine rote Mütze aufgesetzt, da war ich dann doch eigentlich gemeinte. Nur der Bart, der muss noch wachsen.
Es geht auch andersherum. In dem chinesischen Pendant der Schinkenstraße in Mallorca, einer in Suzhou damals extra für die Ausländer eingerichteten Bar Street mit unzähligen seriösen Kneipen und unseriösen Massagesalons, wo schon mal zwei Deutsche – Englisch aufeinander einredend – sich gegenseitig für Amerikaner mit schlechtem Akzent halten, geriet ich zu einer mittlerweile auch in Deutschland bekannten Tradition, die mir damals noch ziemlich unbekannt war. Halloween. Extra für die Amis gemacht, denn Deutsche sind ja auch nur Amis. Jedenfalls war ich der einzige wirklich völlig unmaskierte Ausländer unter lauter Hexen, Monstern und Märchenfiguren. Nur die Chinesen, die waren auch unmaskiert. Eine Art Reisebus voller Chinesen fuhr vorbei, welche die wenigen maskierten Ausländer begeistert knipsten. Die Musik war laut, das Bier floss in Strömen und ich hatte den Eindruck, ich wäre der einzige, dem die chinesischen Kellner gelegentlich zugrinsten. Vermutlich hatten sie mich als einen der ihren anerkannt – kein merkwürdiger Ami in Hexenkostüm. Preiserleichterungen brachte mir das leider nicht.
Das heißt aber nicht, dass Chinesen nicht auf mich auch ganz reagieren konnten, nämlich dann, als ich wirklich mal geschminkt war. Das war das erste Mal in China, in Dalian, im Norden. Damals bis auf ein paar Russen offenbar noch sehr unerfahren, was Ausländern angeht. Wir, ein Häufchen deutscher Sprachschüler, wurden von der sicherlich nur gutmeinenden Sprachschule im Sinne einer Peking Oper geschminkt. Ich, immerhin 190 groß, wurde zu einem rotgelb-gesichtigen Dämon. Das Bild, das ich abgab, wurde mir später durch einen Flaschenöffner als Geschenk verewigt. Irgendwann war die Schminkstunde vorbei, ich hatte Hunger und mir war langweilig, also ging ich ins Carrefour, das riesige, völlig überdimensionierte Kaufhaus, wo offenbar auch nicht viele Europäer rumliefen. Wohlgemerkt, ich war nicht abgeschminkt. Der Auflauf war beträchtlich, und ich hatte eine, wie ich damals dachte, recht lustige Idee. Ich suchte mir eine mit dem Rücken zu mir stehende Verkäuferin, tippte ihr ganz sachte auf die Schulter und als sie sich umdrehte, sagte ich leise: Buuuuh. Es war, als würde die Frau von einem Katapult nach hinten geschleudert, so groß war der Satz, den sie machte. Hinterher konnte sie darüber lachen, aber wenn ich ehrlich bin, heute tut es mir irgendwie leid. Jedenfalls habe ich dem einen oder anderen gerade älteren Chinesen vermutlich nicht dabei helfen können, die Existenz von Dämonen zu verneinen. Alles im Sinne des kulturellen Austausches.
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Über den Autor
Gunnar Henrich ist Politikwissenschaftler mit Chinafokus. Am Center for Global Studies der Universität Bonn promoviert er über Methoden und Ziele chinesischer Afrikapolitik am Beispiel Sambia. Exklusiv für das ICC-Portal veröffentlicht Henrich nun Kapitel aus seinen spannenden Reisetagebüchern aus China (2006-2007).
Sehr treffender Report, so ist das eben, wenn man Traditionen einer Kultur in eine völlig andere Kultur verpflanzt. Die Beziehungen zu den Wurzeln der Tradition gehen da
Nn völlig verloren!