Shanghai zählt zu den Städten Chinas, die für Ausländer recht leicht zu erschließen sind. Dennoch warten beim ersten Besuch einige Herausforderungen und Überraschungen. Gunnar Henrich hat sich dort nicht unterkriegen lassen, wie ein weiterer Blick ins beliebte Reisetagebuch zeigt.
Die unbeschreibliche Entdeckungsreise in die Metropole der Zukunft begann an einem Donnerstag voller Elan mit einem nicht englischkundigen Taxifahrer in Suzhou, der mich zu einem Busbahnhof fuhr. Leider konnte man dort mit meinem einen Tag zuvor gekauften Ticket nichts anfangen. Hilflos wendete ich mich an einen weiteren Taxifahrer, der mir mit ernstem Gesicht viel Wichtiges, aber leider völlig Unverständliches auf Chinesisch erklärte und losfuhr. Und siehe da, es gab einen weiteren Busbahnhof in Suzhou, diesmal der richtige. Für drei Euro fuhr ich mit einem wirklich komfortablen Reisebus, es gab sogar ein TV an Bord und lächerliche Kung Fu Filme wurden gezeigt, anderthalb Stunden nach Shanghai.
Dort angekommen lief es, wie es bei mir in ausländischen, nicht englischsprachigen Städten immer läuft: Ich habe keinen Stadtplan, keine Ahnung, wo ich bin, spreche die Sprache nicht und laufe einfach los. Eine Weile ging das in Shanghai gut, dann wollte ich doch mit Hilfe des Reiseführers eine kleine Orientierung vornehmen. Fragte einen der Chinesen, wo die Haupteinkaufsstraße, die Nanjing Lu, sei. Er deutete mit dem Finger auf die Erde. Verständnislos blickte ich ihm nach, bis mir ein Licht aufging: Sicher, die Metro. Das hätte ich mir ja denken können. Unten sind richtig moderne U-Bahn Wagen, man muss durch eine Drehtür mit dem Ticket, wie z.B. in Paris.
Die Chinesen spielen lustige Spiele. Eines heißt: Wie viele Chinesen passen in einen U-Bahnwagen? Und was passiert, wenn eine große dicke Langnase dazwischensteht? Hier muss ein eventuell vorliegender Irrtum korrigiert werden. Chinesen sind möglicherweise höflich, geduldig und freundlich. Aber sie stehen bei der Einfahrt der U-Bahn niemals in einer Schlange. Sie schieben, drängeln, stoßen und drücken. Als aufgeschlossener, höflicher Ausländer passe ich mich diesen Sitten natürlich an. Es war erstaunlich, wie viel Platz plötzlich um mich herrschte, wenn ich erstmal die Sitten des Gastlandes annehme. Es beschwert sich auch niemand, es wird geradezu erwartet. Irgendwann fand ich dann auch die Nanjing Lu.
Zwei Chinesen sprachen mich an, ein Mann und eine Frau, beide jung. In fließendem Englisch stellten sie sich als Kunststudenten vor, sie wollten wissen, woher ich komme und wie ich Shanghai finde. Wir parlierten fröhlich, und sie erzählten mir von einer selbstinszenierten Kunstausstellung, die in der Nähe stattfinden würde. Ich ließ mich überreden, wir fuhren in den fünften Stock eines naheliegenden Gebäudes und es war wirklich nett. Ein kleiner Raum, selbstgemachte Zeichnungen aller möglichen Motive, ein paar Besucher, mehrere Studenten. Ich sah mir alles an und ließ mir den Sinn der Bilder erklären. Ein paar hätte ich auch kaufen können, sagte man mir, zu einem eher symbolischen Preis. Das wollte ich nicht, meine neuen Freunde verstanden das und zufrieden schieden wir. Wieder auf der Nanjing Lou wurde ich an einer Ecke von einem netten chinesischen Mädchen angehalten. Sie sagte in sehr gutem Englisch, dass sie Kunststudentin sei und in der Nähe wäre eine Ausstellung, ob ich mir die wohl mal ansehen wolle? Dieses Erlebnis hatte ich noch mehrere Male.
Es gab noch mehr nette Menschen, die mich ansprachen. Die meisten waren chinesische Englischstudenten, die mit mir Kaffee trinken wollten, um ihr Englisch zu verbessern. Darunter waren einige hübsche Frauen und auch ein uralter Chinese namens „John“. Einige wollten einfach nur neben mir her laufen und die ganze Zeit irgendetwas auf Englisch reden, und einige ganz, ganz wenige waren endlich ehrliche und anständige Leute, die mir ganz einfach nur gefälschte Rolex, DVDs und Kleider verkaufen wollten. Gott sei Dank, das gab mir den Glauben an die Berechenbarkeit der Menschen wieder.
Die Stadtwanderung führte mich dann noch ins älteste Hotel Shanghais, zu kolonialen Überresten wie der Oberpostdirektion des Deutschen Reiches oder dem Amerikanischen Club sowie in die größte Buchhandlung Shanghais, die mir wegen fast ausschließlich chinesischer Literatur gar nichts nutzte. Der komfortable Reisebus mit den Kung Fu-Filmen fuhr mich zurück nach Suzhou und da kam ich dann nach fast zwölf Stunden wieder an. Ach ja, wie ist Shanghai so? Wolkenkratzer dicht an dicht, doppelstöckige Stadtautobahnen, zwanzig Millionen Menschen – noch Fragen?
Waren Sie schon einmal in Shanghai? Wie hat Ihnen die Stadt gefallen? Was haben Sie erlebt? Wir freuen uns über einen Kommentar von Ihnen!
Über den Autor
Gunnar Henrich ist Politikwissenschaftler mit Chinafokus. Am Center for Global Studies der Universität Bonn promoviert er über Methoden und Ziele chinesischer Afrikapolitik am Beispiel Sambia. Exklusiv für das ICC-Portal veröffentlicht Henrich nun Kapitel seiner spannenden Reisetagebücher aus China (2006-2007).
Interkulturelle Fettnäpfchen: 10 Herausforderungen zwischen den Kulturen
Reisetagebuch China: Über das chinesische Essen
Emma Potlitz meint
Hallo Herr Henrich,
Ich war vor ein paar Jahren ebenfalls in Shanghai und habe vieles genauso gesehen und empfunden wie Sie. Toll beobachtet! Ich freue mich auf weitere Episoden.
Herzlichst, Emma Potlitz