Lebt man als Europäer in China im Luxus? Gibt es im Reich der Mitte die Schinkenstraße von Mallorca und den Bahnhof Zoo von Berlin? Und vielleicht noch wichtiger: Darf man Herrn Strittmatter alles glauben? Ein weiterer Blick ins Reisetagebuch China liefert Antworten.
Suzhou, Südchina: Es gibt hier eine Gruppe von Fachhochschülern einer Wirtschafts-FH aus Süddeutschland. Sie verbringen ein komplettes halbes Jahr in Suzhou und studieren an der Soochow University Wirtschaft. Sie wohnen nicht auf dem Campus, nicht im Wohnheim, sondern zu zweit oder dritt in gemieteten Wohnungen in der Stadt. Ich hatte das Vergnügen, zwei dieser Wohnungen am Wochenende zu besichtigen und es verschlug mir die Sprache. Die Wohnungen sind jeweils über 100 m2 groß. Die Möblierung ist ebenso neu wie die Kücheneinrichtung und die Fußböden sowie die gestrichenen Wände. Sie haben nur Bett und Schreibtisch, aber dafür im Wohnzimmer einen riesigen Fernseher, komplette Couchgarnituren, in jedem Zimmer eine neue Klimaanlage an der Wand, neu verlegtes DSL und neue Matratzen auf den Betten. Alles farblich genau aufeinander abgestimmt, alles neu und von offenbar gutem Material. Wo kommt das her? Sind die Eltern Topmanager? Mitnichten.
Die Wohnungen wurden über die Lehrer der Universität vermittelt, die Möblierung und die Klimaanlagen wurden ohne Auf- und Anschaffungspreis komplett vom Vermieter neu gekauft und eingerichtet und die Miete beträgt für drei Personen umgerechnet etwa 400 Euro. Es ist nicht zu glauben. Ich bin der Meinung, als Europäer lebt man hier im Luxus. Dann aber kommt ein Student aus Leipzig und erzählt, wie es hinter den Kulissen aussieht. Das Wasser in der Dusche laufe nicht richtig ab, das Fenster schließe nicht richtig und sei schief konstruiert. Die Möbel sind möglicherweise billiger Qualität. Wenn die Monteure kommen und den Abfluss kontrollieren wollen, geht das Waschbecken in Scherben. So weit zum Luxus. Trotzdem darf man noch staunen. So wohnt kein mir bekannter Student in Deutschland.
Es gibt eine Straße, die Shi Tian Tie. Tagsüber ist sie eine enge, lange Allee mit kleinen krummen Bäumen. und vielerlei Geschäften und Restaurants, meine mich selten verstehende Masseurin hat auch dort ihre Praxis. Jede existierende DVD kann man dort in Originalversion für 80 Cent kaufen, offenbar auch von Filmen, die noch nicht mal gedreht wurden. Mindestens aber von den neuesten, gerade im Kino angelaufenen Hollywood Filmen. Das ist die Shi Tian Tie.
Abends verwandelt sie sich dann in etwas gänzlich Neues. Man fühlt sich wahlweise wie in der Schinkenstraße auf Mallorca oder vor dem Bahnhof Zoo in Berlin. Jede Menge Clubs und Bars mit den vielversprechenden Namen „Little Pub“ und „Heineken“ (am Tag sieht man diese Schilder gar nicht) zieren die Straße. Man sieht ausschließlich Ausländer, die Studenten der Uni und die Lehrer derselben Studenten, verirrte Touristen und Ausländer, die vermutlich gar nicht wissen, was sie eigentlich in Suzhou machen. Natürlich auch ein paar Chinesen, bettelnde Kinder, Barkeeper, Taxifahrer und Frauen, die Unverständliches wollen, zunächst einen in eine Bar ziehen, dann etwas trinken wollen und anschließend in dieser schwierigen Sprache irgendetwas mit Massage erzählen und auf eine Treppe im Hinterteil der Bar zeigen.
Was sich dort verbirgt, habe ich nicht erfahren. Man kann mit gutem Gewissen sagen: diese Shi Tian Tie braucht niemand. Sie gehört zu Wowereit oder nach El Arenal, aber nicht in die Volksrepublik China mitten in Suzhou. Es ist sicher eine Art importiertes Ausland, deshalb sieht man dort auch nie echte Chinesen. Leider eines der schlechteren Importe. Jedenfalls versicherten mir mehrere alteingesessene Chinesen in Suzhou: vor 2000 gab es diese Art von Straße noch nicht.
Aber ein Rätsel wurde an diesem Abend gelöst. Eine der faszinierendsten Behauptungen von Kai Strittmater in seiner „Gebrauchsanweisung für China“ wurde überprüft. Ab jetzt werde ich nie wieder zweifeln. Denn: der Klomann existiert. Es gibt den Klomann. Er hat zwar kein weißes Hemd an und ruft auch nicht Hallo beim Eintritt in den Waschraum, wie Strittmater behauptet hat. Entweder sagt er etwas Chinesisches oder grinst einfach nur. Aber er steht in der Toilette eines lauten Discopubs, schüttet einem zunächst Seife aus dem Spender in die Hände, dreht dann das Wasser auf und drückt einem anschließend Papiertücher in die Hand. Das alles geht so schnell, dass man gar nicht dazu kommt, es selber zu machen. Das Ergebnis ist dann ein Trinkgeld, das man ihm auf einen Teller legt, ebenfalls alles sehr schnell, denn der nächste Klogast will sich die Hände waschen.
Aber eine Sache stimmt nicht, die Herr Strittmater in seiner „Gebrauchsanweisung für China“ behauptet. Das Schönste, Beste, worauf ich mich am meisten in Erwartung des Klomanns gefreut habe, tritt nicht ein. Der Klomann verpasst einem während der Händeswaschprozedur keine Nacken- und Schultermassage. Definitiv nicht. Es ist nicht passiert. Ich werde dem Herrn Strittmater vielleicht doch nicht mehr alles glauben.
Über den Autor
Gunnar Henrich ist Politikwissenschaftler mit Chinafokus. Am Center for Global Studies der Universität Bonn promoviert er über Methoden und Ziele chinesischer Afrikapolitik am Beispiel Sambia. Exklusiv für das ICC-Portal veröffentlicht Henrich nun Kapitel aus seinen spannenden Reisetagebüchern aus China (2006-2007).
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