Es wird so einiges erzählt über ferne Kulturen, Legenden ranken sich auch über Chinesen, obwohl das Reich der Mitte im globalen Dorf längst zur Nachbarschaft gehört. In dieser Reihe durchleuchten wir einige verbreitete Mythen über den ostasiatischen Riesen und seine Bewohner. Wir starten mit dem Bild vom ewig lächelnden Chinesen. Es ist doch so, dass Chinesen ständig und überall lächeln, grinsend oder verschmitzt dreinschauen, oder?
Nein, natürlich nicht. Wenn man genau hinschaut, vorausgesetzt, man schafft es einmal nach China, scheint sogar das Gegenteil der Fall zu sein. Was hat es mit dem chinesischen Lächeln auf sich? Wann und wie lächeln Chinesen wirklich und inwiefern unterscheidet sich ihr Lächeln von der deutschen Gewohnheit? Zuerst fällt auf, dass China mitunter als „Land des Lächelns“ bezeichnet wird. Was hat es damit auf sich?
Das Reich der Mitte als Land des Lächelns
Wer im Internet Buchtitel mit den Stichworten „Land des Lächelns“ sucht, findet eine ganze Reihe von Ländern mit dieser Bezeichnung: Japan, Thailand, Myanmar und andere gelten als Länder des Lächelns. Dass auch insbesondere China so charakterisiert wird, hängt mit einer romantischen Operette vom österreichischen Komponisten Franz Lehár (1870-1948) zusammen: Lehár nannte ein ursprünglich „Die gelbe Jacke“ getauftes Bühnenstück später in „Das Land des Lächelns“ um. Es handelt von einer Grafentochter, die sich in einen chinesischen Prinzen verliebt, und spielt in Wien und Peking des Jahres 1912. Spätestens seit Karl May wissen Leser in Deutschland vom bösartige Lächeln des Chinesen. Der von zig Millionen Deutschen gelesene Autor hielt es für notwendig, in seinen Erzählungen ein hässliches Bild eines bösartigen Chinesen verbreiten zu müssen. Das dümmliche Grinsen des Chinesen kennt man vielleicht aus der Comic-Reihe Lucky Luke, die in Deutschland seit Jahrzehnten gerne durchgeblättert wird.
Lächeln und Höflichkeit im chinesischen Alltag
Wie schon erwähnt, sieht man im chinesischen Alltag das im Westen klischeegewordene Lächeln gar nicht so häufig. Chinesen können in bestimmten Situationen sehr höflich sein, wenn zum Beispiel im offiziellen Rahmen mit einem Vorgesetzten kommuniziert wird. Im vertrauten Kreis verzichten sie hingegen gerne auf überflüssige Höflichkeiten. Unter guten Freunden und in der Familie herrscht teils ein ruppig klingender Ton, der jedoch keinesfalls böse gemeint ist, sondern gegenseitige Nähe verdeutlicht. So wird man auch seltener ein Dankeschön oder Bitteschön unter Freunden und Familienangehörigen hören, als dies etwa in Deutschland der Fall wäre. Gelächelt wird hier ebenso seltener, obwohl alle zufrieden sind und die Stimmung harmonisch ist. Bei chinesischen Verliebten lässt sich übrigens beobachten, dass neben durchaus vorhandenen Begriffen wie Schatzi und Mausi (z.B. baobei 宝贝) gerne vermehrt neckische Kosenamen wie Dummerchen (shagua 傻瓜) u.Ä. verwendet werden, um die eigenen Gefühle auszudrücken.
Lächeln als kommunikativer Rettungsanker
Zwar wird in China als Ausdruck positiver Gefühle gelächelt. Doch in einigen Situationen kommt dem Lächeln eine kommunikative Funktion zu, die Deutschen sehr widersprüchlich vorkommen mag. In China ist es verbreitet, mit einem Lächeln Verlegenheit oder Unsicherheit auszudrücken. Darüber hat sich mancher Deutsche bereits gewundert, wenn nicht sogar aufgeregt. Gerade in Konfliktsituationen kann dieses Lächeln aus deutscher Sicht leicht als Angriff gewertet werden, obwohl es eigentlich entwaffnen will. Auch in Situationen der Trauer lächeln Chinesen, um Mitgefühl oder Hilflosigkeit auszudrücken. Dies hat ebenso für Verwirrung auf deutscher Seite geführt. Hier muss man sich einfach vor Augen führen, dass es unterschiedliche Ausdrucksweisen in Ost und West gibt.
Fazit: Keine ewig lächelnden Chinesen
Es zeigt sich also, dass Chinesen weder Dauerlächler sind noch aus Prinzip irgendetwas Hinterhältiges hinter ihrem Lächeln verbergen. Ganz im Gegenteil drückt das Lächeln sehr direkt die eigenen Gefühle aus, wenngleich es in China zusätzlich zu den in Deutschland bekannten weitere Anlässe gibt, um zu lächeln. Böse gemeint ist im Reich der Mitte ein Lächeln nur in den seltensten Fällen.
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Volker Müller meint
Na ja, manchmal ist an Klischees auch etwas Wahres dran.
Einmal aus chinesischer Sicht gesehen: als ich einmal mit einer chinesischen Freundin in Deutschland war, was einer ihrer ersten Eindrücke: dort lachen die Menschen nie. Und auch wenn ich nach Deutschland fahre, kommen mir die Menschen dort oft sehr muflig und schlecht gelaunt vor….
Wenn ich mich zurückerinnere, in der guten alten Zeit in China, die bei mir in den 80ern bekannt, fiel es mir oft auf, das Menschen ohne besonderen Anlaß auf der Straße oder auch vor dem PC vor sich hinsangen.
Diese unbeschwerte Fröhlichkeit der Chinesen ist weniger geworden. Da hat wohl die Modernisierung in China ihren Preis gefordert. Noch nie ging es den Chinesen so gut, und noch nie haben sie sich so viel beklagt …
Und es gibt starke regionale Unterschiede, Beijinger halten innerhalb Chinas wohl den Rekord an Ruppigkeit und Unfreundlichkeit. Da für die meisten Touristen und Geschäftsreisenden Beijing die erste Station ist, bleibt da oft ein falscher, einseitiger Eindruck. Schade.