Von ICC-Redakteurin Mateja Mogus
Xu Bing gilt als eine der bekanntesten und herausragendsten Persönlichkeiten der chinesischen Kunst. Sein künstlerisches Schaffen ist seit Jahren nicht nur innerhalb der Landesgrenzen Chinas bekannt, sondern erreichte durch Projekte wie „Art for the people“ internationale Bekanntheit.
Am 10.07.2015 war Xiu Bing zu Gast an der Universität Heidelberg. In seinem Abendvortrag sprach er über seine Philosophie der Kunst und die Bedeutung des Rückgriffs auf die Tradition im Schaffensprozess. Die Rede untergliederte er dabei in vier Abschnitte, die ein Gesamtbild seines kreativen Schaffens und der Ideen dahinter vermitteln sollen.
Chinas kulturelle DNA
Xu Bing macht in der Weitergabe traditioneller chinesischer Werte ein Charakteristikum fest. Anders als zunächst angenommen, werden Werte nicht nur durch Bücher allein vermittelt, sondern vielmehr durch Beobachtungen von Sprache und durch das Verhalten im alltäglichen Leben. Als Beispiel führt er dabei die Gespräche zwischen Konfuzius und seinen Schülern auf. Das Wissen wurde aus Beobachtungen gewonnen und durch Sprache tradiert, ein Prozess der sich über Generationen hinweg fortsetzte und so den traditionellen Kern am Leben erhielt. Um die Bedeutung der Tradition für die Geschichte im Allgemeinen zu verdeutlichen, macht Xu Bing auf die Tradition des „Zitieren aus den Klassikern“ aufmerksam. Insbesondere während der Kulturrevolution bediente sich Mao Zedong vieler Zitate aus den Klassikern, um die Bevölkerung zur Arbeit zu motivieren. Er nutzte die Bedeutung dieser klassischen Werke, um dem Volk zu vermitteln, wie man sich zu verhalten hat. Chinas kulturelle Tradition zieht sich demnach wie ein roter Faden durch die Geschichte und bildet den Keim, aus dem neue Erkenntnisse und Perspektiven entspringen können.
Das kreative Schaffen in der Kunstakademie
Bei der Arbeit in der Kunstakademie ging es hauptsächlich um die Frage, wie man die Realität bzw. Objekte abbilden kann. Xu Bing erweitert diesen Gedanken und erklärt, dass es auch dabei um den Prozess ginge, ein besserer Mensch zu werden. In der Pekinger Kunstakademie, an der Xu Bing selbst lehrte, verbrachten die Studenten die meiste Zeit damit zu lernen, wie man richtig zeichnet bzw. entwirft. Hierzu mussten sie zunächst Objekte beobachten und sich gleichzeitig eine kritische und tiefgreifende Denkweise aneignen. Durch das wiederholte Zeichnen und Üben entwickelten sie Fleiß, fingen an, die Objekte als Grundlage für künstlerisches Schaffen zu verstehen und diese durch bestimmte Methoden und Konzepte zu Papier zu bringen. Xu Bing greift in diesem Kontext auf eine Anekdote seiner Kindheit zurück, um das Ziel dieser Arbeitsweise zu verdeutlichen. Als kleiner Junge musste er auf Geheiß seines Vaters stundenlang Kalligrafie üben. Zu dieser Zeit zeigte er sich davon wenig begeistert. Durch das ständige Wiederholen der einzelnen Elemente lernte er jedoch, die chinesischen Schriftzeichen zu respektieren und sie als Träger einer langen Geschichte zu begreifen. Mit der Zeit wuchs er zu einer Person heran, die sich dem kulturellen Erbe Chinas bewusst war und somit Chinas kulturelle DNA in sich trug. Das wiederholte Zeichnen und Begreifen des Gegenstandes fördert somit nicht nur eine exzellente Zeichentechnik, sondern vermittelt das Verständnis und den Respekt vor der eigenen kulturellen Vergangenheit.
Konzepte und Schemata
Laut Xu Bing bedient sich die chinesische Kunst und das alltägliche Leben bestimmten Mustern und Schemata, welche die grundlegenden chinesischen Werte in sich tragen. So stehen unterschiedliche Punkte und Striche auf Gemälden bzw. Zeichnungen für verschiedene Arten von Pflanzen und Blättern. Diese Symbolik ist ein wesentlicher Bestandteil der chinesischen Kultur und der chinesischen Kunst im Speziellen. Der Gebrauch von Schemata zeigt sich auch in der Sprache am Beispiel der „Four character phrases“, also anhand von Phrasen, die aus vier Schriftzeichen bestehen. Diese Idiome können dabei komplexe Zusammenhänge auf einfache Weise erklären, indem Sie sich auf die Kernaussage einer Sache beschränken. Wie unterschiedlich Schemata beim künstlerischen Schaffensprozess verwendet werden, macht Xu Bing am Beispiel von westlichen und chinesischen Künstlern deutlich. Er erklärt, dass westliche Künstler die Natur so darstellen, wie eine Kamera sie einfangen würde, während chinesische Künstler angehalten sind, die Natur anders wahrzunehmen. Wörtlich heißt es „Wenn ein westlicher Künstler einen Berg darstellt, dann bezieht es sich auf diesen einen Berg, in China repräsentiert die Darstellung eines Berges alle Berge.“ Der künstlerische Ausdrucks unterliegt also einer Auswahl aus Symbolik und Schemata, derer sich die Künstler bedienen können. Die fertigen Werke sind zwar unterschiedlich, doch basieren sie alle auf dem gleichen Konzept.
Schrift und Symbolik
Xu Bings wohl bekannteste Werke, das Tianshu 天書, das Projekt „Art for the people“ und das Dishu 地書 thematisieren Schrift und deren symbolischen Charakter. Sie alle setzen an der Frage an, wie Sprache und Schrift zusammenhängen und welche Rolle Symbolik dabei spielt.
Tianshu 天書
Das Tianshu sieht zwar aus wie ein Buch, jedoch erfüllt es nicht die Funktion eines Buches, da die Schriftzeichen keinerlei Bedeutung haben. Mit diesem Werk übt Xu Bing Kritik an der Kalligrafie und der Tradition, stets das Äußere der Schriftzeichen zu diskutieren, ohne sich Gedanken über deren Inhalt zu machen. Form wird dabei von Bedeutung isoliert und reduziert die chinesische Schrift auf deren ästhetischen Charakter.
„Art for the people“
Ein weiteres Projekt namens „Art for the people“ bedient sich ebenfalls des ästhetischen Aspekts chinesischer Schriftzeichen. In diesem Fall passt die Erscheinung der Schriftzeichen nicht zu deren Bedeutung. Die Phrase „Art for the People“ wurde Wort für Wort als Schriftzeichen dargestellt. Xu Bings Intention war es, seine Kunst für ein breiteres Publikum verständlich zu machen, um diesem gleichzeitig die chinesische Schrift und Tradition ein Stück näher zu bringen.
Dishu 地書
Das Dishu 地書 ist ein Werk Xu Bings, das ausschließlich aus Emoticons besteht. Durch die Reihung verschiedener Emoticons, wird eine Geschichte erzählt, die jeder, unabhängig mit welchen kulturellen Hintergrund, lesen und verstehen kann. Inspiriert wurde Xu Bing dabei durch die Emoticons, die sich auf der Rückseite von Kaugummi-Verpackungen befinden. Mit dem Dishu beschreibt Xu Bing ein neues Zeitalter der piktografischen Sprache. Er sieht in den Emoticons dabei ein charakteristisches Merkmal der chinesischen Tradition. Dabei werden Bilder „gelesen“ um verstanden zu werden. Das naheliegendste Beispiel bildet dabei das Schriftzeichen, sofern man es im weiteren Sinne als Bild verstehen möchte. Aus dieser Tradition leitet sich wiederum der Stellenwert ab, den die Symbolik innerhalb der chinesischen Sprache einnimmt. Diese Eigenschaft nutzt Xu Bing um ein Werk zu schaffen, das traditionelle Gedanken aufgreift, um ein universellen Verständnis von Sprache zu schaffen.
Fazit: Weitergabe der Tradition in der Kunst
Xu Bings Schlusswort bringt das Verhältnis von Tradition und Innovation gekonnt und simpel auf den Punkt. Er beschreibt es durch die Anziehung zweier Magnetfelder, die sich in ihrer Form zwar ändern können, doch stets verbunden bleiben. Wie die Einblicke seiner Arbeit offenbaren, ist Xu Bing ein moderner und innovativer Künstler, der sich stets seiner „traditionellen DNA“ bewusst ist und diese auf zeitgemäße Weise an künftige Generationen weitergibt.
Chinesisch-europäische Kunstszene: Projekt in Peking fördert den Austausch
Bildungspartner Deutschland und China – Empfehlungen für Kooperationen
Diskutieren Sie mit!