Lange Zeit war das deutsche Auto eine Art Heiligtum. Deutsche Erfindung, deutsche Erfolgsgeschichte, deutsche Marktdominanz. Mit diesen Schlagworten erfreuten sich Autobauer aus Deutschland auch in China größter Beliebtheit. Mittlerweile hat sich im Bereich der Elektromobilität das Blatt gewendet. Neben Technikstärken und Preisvorteilen können chinesische Autos sogar mit ihren Marken punkten. Das war bis vor ein paar Jahren noch undenkbar. Chinesische E-Autos in Deutschland – warum Chinas Marken im Vorteil sind.
Bei der diesjährigen Autoshow in Shanghai kamen viele westliche Beobachtende aus dem Staunen nicht mehr heraus. Scheinbar hatten chinesische Hersteller die Covid-Abschottung genutzt, um fantastische E-Autos herzustellen, die mittlerweile in allen Bereichen überzeugen. Wie konnte das über Nacht gelingen? Ganz ehrlich: Gar nicht!
Der Westen verschläft mal wieder Chinas Fortschritt
Chinas Aufstieg zur Elektromacht ist keine Entwicklung der letzten drei, vier Jahre. Schon viel länger wird in China am E-Auto der Zukunft gebastelt. Und wie so oft wurden frühe Entwicklungsstufen im Westen eher belächelt. Dazu gehören sogar die vielen kleinen E-Roller und -Fahrräder, die Chinas Großstädte prägten, als in Europa E-Bikes noch ein Kuriosum waren.
Wer von der Autoshow in Shanghai 2023 überrascht war, hat in den vergangenen Jahren nicht genau hingeschaut, was in China passiert. Die jetzt startende Dominanz chinesischer E-Autos ist das Ergebnis von Chinas großer Lernbereitschaft, unternehmerischer Stärke und staatlicher Strategie – und damit alles andere als Zufall.
Stärken chinesischer E-Autos im Ost-West-Vergleich
Nach Einschätzung vieler westlicher Fachleute sind chinesische E-Autos wenigstens im Vergleich von Preis und Leistung den meisten westlichen Entsprechungen überlegen. Teilweise können chinesische Mittelklassewagen Standards vorweisen, die deutsche Hersteller nur in der Luxusklasse anbieten.
Abgesehen von der Technik sind chinesische Autos extrem stark auf die Anwenderbedürfnisse ausgerichtet. In China ist es üblicher, sehr genau hinzuhören, wenn die potenzielle oder tatsächliche Kundschaft ihre Wünsche äußert. Das ist in Deutschland nicht immer so. Hier werden mitunter sehr beliebte Modelle gestrichen – und die chinesischen Hersteller springen gerne in die Lücke.
Der Punkt Service spielt auch an einer anderen Stelle eine interessante Rolle. Chinesische Konzerne gehen sehr geschickt und charmant vor, wenn sie deutsche Händlerinnen und Händler von ihren Marken überzeugen möchten. Deutsche Marken geben sich angeblich kaum noch solche Mühe.
Chinesische Marken in Deutschland – endlich am Ziel
Aus Markensicht profitieren chinesische Autobauern erstmals von einem Imagevorteil in Deutschland. Bis in die 2010er-Jahre hatten Marken aus China mit einer schwierigen Reputation zu kämpfen. Noch aus den 1990ern stammte der Glaube, chinesische Produkte könnten nur billig sein. Inzwischen hat sich das verändert.
Über Konsumenten-Elektronik das Image aufgebessert
Längst steht China nicht mehr hauptsächlich für Wegwerf- oder Billigprodukte. Gerade bei technischen Geräten wie Laptops und Smartphones werden chinesische Marken mittlerweile geschätzt und von der Fachpresse gelobt.
Teils verwechseln zwar Konsumentinnen und Konsumenten Marken aus China mit solchen aus Südkorea oder Japan verwechselt. Aber das ist auch fast schon eine Stärke, weil diese asiatischen Länder speziell bei zahlreichen jungen Leuten für technischen Fortschritt und coole Digitalisierung stehen.
Dass jetzt E-Autos in Deutschland durchstarten, wird definitiv dadurch begünstigt, dass deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher sich an – als gut wahrgenommene – Elektroqualität aus China gewöhnt haben.
Import als erfolgreiche Marken des wichtigen Heimatlandes
Und nicht nur das. Chinesische E-Autos gelangen nicht als Versuchskaninchen nach Deutschland. Viele Menschen wissen hierzulande, dass im Reich der Mitte die lokalen E-Autos beliebter als ausländische Marken sind.
E-Autos aus China haben sich in der Wahrnehmung vieler schon in einem, nein, im wichtigsten Markt für Elektromobilität bewährt. Auch das dürfte einen großen Einfluss auf künftige Kaufentscheidungen haben – als Slogan verpackt: „Wer jetzt E-Autos aus China kauft, kauft bewährte Qualität aus dem E-Auto-Land schlechthin!“
Mit diesen Vorschusslorbeeren können deutsche Automarken nicht aufwarten. Ganz im Gegenteil kämpfen die meisten deutschen Traditionsmarken mit dem Bruch innerhalb der eigenen Identität. Hier kann die lange Erfolgsgeschichte sogar zur Belastung werden.
Keine Markenkonflikte durch Verbrenner-Vergangenheit
Die meisten Autokäuferinnen und -käufer in Deutschland werden chinesische Autos nur als E-Autos kennenlernen. Chinesische Verbrenner als starke Marken haben es nie in Deutschland geschafft. Genau das könnte jetzt ein großer Vorteil sein.
Deutsche Autobauer müssen in den nächsten 10 bis 15 Jahren wieder und wieder erklären, warum das, was so lange gut war, jetzt nicht mehr gut sein soll. Warum also Verbrenner der Elektromobilität weichen sollen. Nicht sofort, aber doch bald. Und dann so wirklich. Und bitte unbedingt. Das macht auch etwas mit Marken, die idealerweise ihre Versprechen halten sollen.
Chinesische E-Autos haben kaum Altlasten. Ja, ein paar chinesische Autos hatten „Pech“ im Elchtest. Aber das waren ja noch die blöden Verbrenner! Und an die genaue Marke erinnert sich eh keiner mehr. Das neue chinesische Auto ist ein anderes. Es ist das E-Auto schlechthin. Für die Gegenwart. Für die Zukunft. Wieder so Slogans, die vorerst für keine deutsche Marke funktionieren werden.
Chinesische E-Autos – und globale Erfolge durch Chinas Unternehmertum
Jetzt kann man auf Gott, Kanzler und die Welt schimpfen, wieso wir in Deutschland schon wieder eine Innovation verschlafen haben. Obwohl wir doch eigentlich schon ganz früh mit am Start waren. Wir können aber auch einfach aufwachen und vom chinesischen Unternehmertum lernen.
- Chinesische E-Auto-Hersteller haben – auch mithilfe westlichen Wissens – zuerst den heimischen Markt erfolgreich aufgebaut. Das war eigentlich nicht zu übersehen, trotzdem haben es einige im Westen verschlafen, weil sie es sich hier zu gemütlich gemacht hatten. – Wir sollten von Chinas unendlicher Wissbegierde lernen.
- Genauso spannend ist Chinas Umgang mit unterschiedlichen Systemen. Die heutige Erfolgsapp TikTok ist eine chinesische Erfolgsgeschichte, die maßgeblich in den USA entwickelt wurde. Als rein chinesische App aus China hätte es TikTok so nie in den USA geschafft. Sehr clever war und ist es, eine westliche und eine chinesische Version (Douyin) laufen zu lassen. Hätten Google, Facebook und Co. diese Flexibilität gehabt, hätten sie auch in China erfolgreich sein können. – Wir können von Chinas geschickter Anpassungsfähigkeit lernen.
- Schon erwähnt wurde außerdem Chinas Kundenorientierung. Damit hat es das Land längst zum E-Commerce-Weltmeister mitsamt hochprofessionellen Handelsstrukturen und Fulfillment-Dienstleistern geschafft. Während im Westen noch dem loyalen Idealkunden von 1995 nachgetrauert wird, wollen die neuen digitalen in 2023 Entertainment. Und Gamification. Und Schnäääääääpchen! Das passt aber nicht so zur eigenen Marke? Dann gute Nacht. Denn TikTok, Shein, Temu und Co. übernehmen gerne. – Wir müssen von Chinas gnadenloser Kundenorientierung lernen.
Ist der Zug für deutsche Hersteller von E-Autos schon abgefahren? Nicht unbedingt. Wer kann es schaffen, den Anschluss zu halten? Wohl nur diejenigen deutschen Autobauer, die jetzt schnell und kompromisslos von China lernen. Mit passenden Modellen, Preisen und Services. Vermutlich reicht es für deutsche E-Autobauer trotzdem künftig nur für den zweiten Platz in Deutschland. Das wäre bei dieser Nummer eins aber keine Schande.
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