Wie wird in Deutschland über das Reich der Mitte Bericht erstattet? Wie gestaltet sich die Pressearbeit in Ost und West? Die Reihe “Deutsch-chinesische Wahrnehmung: China-Journalismus” befragt erfahrene Journalisten zu Medienbildern in den beiden Ländern. In diesem Teil äußert sich die Focus-Redakteurin Gudrun Dometeit zum Thema.
Gudrun Dometeit ist studierte Politikwissenschaftlerin und Slawistin. Nach einem Volontariat bei der Deutschen Presse-Agentur wurde sie DPA-Korrespondentin in Moskau, (Ost-)Berlin und Hamburg. Seit dem Jahr 1995 arbeitet Dometeit beim Magazin Focus, ist dort mittlerweile stellvertretende Ressortleiterin Politik und verantwortlich für die Asien-Berichterstattung. Im ICC-Interview berichtet sie unter anderem über ihre Rechercheerfahrungen in China.
ICC-Interview mit Gudrun Dometeit
1. Wie unterscheiden sich in Ihren Augen die Presselandschaften in China und Deutschland?
Der größte Unterschied liegt ja auf der Hand: Die chinesischen Medien sind direkt oder indirekt staatlich, in Deutschland sind sie privat oder öffentlich-rechtlich. Daraus folgt auch ein anderes Selbstverständnis. In China sind die Medien Teil der staatlichen Propaganda und berichten im Rahmen des von oben erlaubten, auch wenn es mehr und mehr mutige Journalisten gibt, die auf Missstände hinweisen und dafür dann zur Rechenschaft gezogen werden.
Dazu gehört zum Beispiel das Online-Magazin „Caixin“, das trotz dieser Einschränkungen richtig professionell gemacht ist. In Deutschland verstehen sich die Medien eher als Kontrolleure der Mächtigen. Aber sie müssen auch rentabel sein – und da engen Sparzwänge leider mehr und mehr die Bandbreite der Themen wie auch die Qualität der Berichterstattung ein. In Formen und Stil gleichen sich zumindest die englischsprachigen Medien (Talkshows, Interviews, Gastkommentare u.a.) den westlichen Medien an.
2. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede der journalistischen Arbeit in China und Deutschland?
Ausländischen Journalisten sind Spitzenpolitiker in China fast gar nicht zugänglich, heikle Themen lassen sich, wenn überhaupt, nur mit langem Vorlauf bearbeiten. Oder man muss damit rechnen, daran gewaltsam daran gehindert zu werden. Das ist mir passiert, als ich vor einiger Zeit in einem von der Industrie verseuchten Dorf recherchieren wollte.
Welchem Druck genau chinesische Journalisten ausgesetzt sind, kann ich nicht beurteilen. Auf alle Fälle erfordert die Arbeit in China sicher mehr Mut als in Deutschland. Dort herrscht Presse- und Meinungsfreiheit, die Gefahren sind andere: zu viel Rücksicht auf Anzeigenkunden, immer mehr Einfluss von PR-Agenturen etc.
3. Wie schätzen Sie die China-Berichterstattung in Deutschland ein?
Chinesische Gesprächspartner kritisieren ja gerne, ausländische Medien sähen nur die negativen Seiten Chinas. Aber das wundert mich. Ich finde, die Berichterstattung drückte in den vergangenen Jahren eher Bewunderung gegenüber dem Wahnsinnsboom, der Lernfähigkeit, der alten Kultur etc. aus. Natürlich auch immer vermischt mit alarmistischen Aussagen, dass China uns überrollen könnte, es in bestimmten Regionen zu aggressiv auftritt etc.
Nichtsdestotrotz könnte ich mir eine breitere Berichterstattung vorstellen, die aber voraussetzt, dass man auch die Genehmigungen dafür bekommt. Raumfahrt, Parteihochschule, Privatleben von Politikern – es gibt einfach zu viele Bereiche, die neben den bekannten Themen Tibet oder Tiananmen noch tabu sind.
4. Was wünschen Sie sich für die zukünftige Berichterstattung zwischen Deutschland und China?
Mehr Austausch zwischen den Medien beider Länder, z.B. auch Praktika für nicht mehr ganz so junge Journalisten. Visaerleichterungen für Journalisten. Die Bereitschaft von Korrespondenten und Chefredakteuren auf beiden Seiten, mit offenen Ohren und Augen Veränderungen wahrzunehmen. Erfahrene deutsche Journalisten als Dozenten oder Gastredner an chinesischen Hochschulen, chinesische Studenten an Journalistikschulen einschließlich der damit verbundenen Praktika und Volontariate in deutschen Medien, gemeinsame Medienprojekte – das würde helfen, Denkweisen und Medienstrukturen besser zu verstehen.
Vielen Dank für das Interview, Frau Dometeit!
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Roland Mösl meint
2012 ZDF Dokumentation „Massenmotorisierung in China“
25 Minuten Autos, Fahrräder aber kein einziger der 200 Millionen Elektroroller erwähnt.
Wenn man davon einen Chinesen erzählt ist der schockiert von der deutschen Zensur,
und wie man das Volk uninformiert hällt.
Zaperlottchen meint
Interessanter Hineweis – aber da gibt es sicher noch wichtigere Bereiche, in denen die Deutschen unterinformiert sind… In jedem Fall noch viel zu tun für den Journalismus und die Aufklärung!!