Ein Kommentar ICC-Redakteur Patrick Müsker
Im Jahr 2011 durfte ich mich das erste Mal freuen, das chinesische Festland zu betreten. Zu jener Zeit begann ich meinen einjährigen Aufenthalt in der wunderschönen und kulturreichen Stadt Nanjing, um an der Nanjing University meine Chinesischkenntnisse nach dem Bachelor-Studium aufzupolieren. Seitdem steht das Land für mich für Veränderungen – das ist mir auch bei meiner diesjährigen Reise wieder sehr bewusst gemacht worden.
Während meiner regelmäßigen Ausflüge durch die Stadt Nanjing in 2011 fiel mir schnell der stete Wandel auf, den China in Folge der wachsenden Wirtschaft vollzog. Alte Häuser wurden abgerissen, neue Wolkenkratzer in Windeseile aufgebaut und mit Luxusläden bestückt. Der Deji Plaza 德基广场 im Stadtzentrum war damals Nanjings Mekkar, um viel Geld für Luxuswaren auszugeben.
Doch nicht nur Anzeichen von wachsendem Wohlstand wurden sichtbar, sondern auch das Bewusstsein gegenüber der Umwelt und sozialem Verhalten wurden gefördert. Im August dieses Jahres reiste ich erneut ins Reich der Mitte und war schlichtweg begeistert von hervorragenden Serviceleistungen und der Möglichkeit, die Straßen ohne Angst um sein Leben zu überqueren.
U-Bahn-Stationen als Paradebeispiel für Sicherheit
Schon damals waren die Sicherheitsbestimmungen in den U-Bahn-Stationen Chinas streng. Dennoch entdeckte man hier und dort zwielichtige Gestalten in den Tunneln und Eingängen bis zum Sicherheitscheck. Hier und da saßen Rentner und Bettler, die Ramsch, Handyhüllen oder Spielzeug für wenig Geld auf Flohmarktdecken verkauften. Und irgendwie haben es Bettler in trauriger und verstümmelter Gestalt immer wieder in die U-Bahnen geschafft, um dort vorzugsweise Ausländern den Spendenbecher minutenlang vor die Nase zu halten. Man sollte auf keinen Fall die Augen vor dem Elend verschließen, den diese Menschen erlitten haben. Doch häufig verdienen nur die Banden im Hintergrund an den Spenden. Und natürlich entsteht dadurch eine bedrückende Atmosphäre und dem Stadtbild tut es einfach nicht gut.
Das alles gehört mittlerweile offenbar der Vergangenheit an. Als ich im brütend heißen Sommer dieses Jahres die U-Bahnen der chinesischen Großstädte betreten habe, wiesen direkt am Eingang Schilder darauf hin, dass Betteln und der Verkauf in der U-Bahn gänzlich verboten sind. Das Ergebnis ist ein durchaus positives Stadtbild. Wenn da nicht die ewig langen Schlangen am Einlass wären. Durch die sehr strengen Sicherheitskontrollen, von denen sich deutsche Flughäfen grundsätzlich eine Scheibe abschneiden können, sammeln sich gerade zur Rush-Hour die Menschenmassen am Eingang.
Autohupen und Zebrastreifen – Chinas Straßenverkehr
Ich erinnere mich noch zu gut, als es auf Chinas Straßen hieß, der Wagen mit der lautesten Hupe gewinnt und ist der König der Straße. Zebrastreifen habe ich als heimtückische Falle identifiziert, um uns Ausländer in den Tod durch Überfahren zu locken, da die markierten Fußgängerübergänge schlichtweg von den Autofahrern missachtet wurden. Aber auch das scheint alles passé zu sein, zumindest in den großen Städten Chinas. In kleineren Ortschaften herrscht immer noch das Prinzip, nach dem der Stärkere gewinnt. Damit war ich schlichtweg positiv überrascht, als die Autos in den Städten Xi’an oder Peking hielten, um uns Fußgänger passieren zu lassen.
Übrigens scheint sich auch die Anzahl der Elektroroller minimiert zu haben, die zuvor in großer Zahl kreuz und quer über die Straßen und Fußgängerwege gebrettert sind. Dafür stehen jetzt an jeder Ecke Fahrräder, die man mit einer App aufschließen und so die Leihgebühr entrichten kann. In Bezug auf ein sauberes Umfeld verdient sich China da definitiv ein paar Pluspunkte dazu. Allerdings werden die Fahrräder in scheinbar unendlichen Massen produziert und versperren die Gehwege, so dass man nicht selten gezwungen ist, auf die Straße auszuweichen.
Serviceparadies China bis zur Schmerzgrenze
Auch die Serviceleistungen haben sich vielerorts verbessert. Bestes Beispiel ist die bekannte Restaurantkette Haidilao 海底捞火锅, die für ihr Feuertopfangebot und die herausragenden Serviceleistungen bekannt geworden sind. Allerdings fühlte ich mich von dem zahlreichen Personal und der schon fast erdrückenden Servicebereitschaft fast erschlagen. Für jeden Gast gab es eine Auswahl kostenloser Getränke, die das Personal immer wieder auffüllte. Bei dem heißen Wetter war dies eine feine Sache, wurde auf Dauer allerdings nervig. Denn jedes Mal wenn man am Glas genippt hat, füllte die Bedienung direkt nach, womit man ständig beim Essen unterbrochen wurde. Ansonsten ist das ein ganz großes Plus. Auf der Toilette wird einem nach dem Händewaschen das Papier gereicht, während am Tisch auf Bestellung ein junger Mann erscheint, der wie ein Cowboy frischen Nudelteig wie ein Lasso schwingt und diesen dann in den heißen Topf gibt.
An anderer Stelle hatte ich mir spontan vor Abreise ein neues Handy bestellt, das laut Lieferservice auch noch rechtzeitig ankommen sollte. Dem war natürlich nicht so und das Paket befand sich am Abend vor Abreise noch auf halber Strecke. Allerdings genügte ein kurzer Anruf, um die Situation zu schildern. Am Ende hatte man sich tatsächlich bemüht, dass Paket doch noch rechtzeitig am Morgen meiner Abreise zuzustellen. Ich war begeistert – in Deutschland wäre das wohl nicht möglich gewesen.
Sozialpunkte für Hilfsbereitschaft in der Gesellschaft
Ich persönlich befürworte diese Entwicklung, die das Leben in China noch lebenswerter macht. Doch wie weit möchte man noch in diese Richtung gehen? Neulich habe ich einen Artikel über eine neues Punktesystem gelesen, das die chinesische Regierung einführen möchte. Mit diesem System werden Menschen nach ihren sozialen Tätigkeiten bewertet und in einem Ranking festgehalten. Damit sollen verschiedene Leistungen wie die Kreditvergabe bei der Bank oder Vorzüge in der Schule leichter oder eben schwerer zugänglich sein. Wer also selten seine Eltern besucht, wird mit einem Abzug auf seinem Sozialpunktekonto bestraft. Folglich kommen Fragen nach einer totalen Kontrolle der Bevölkerung auf, aber das ist eine andere Geschichte.
Bildquelle: flickr / bryan… / Rechte
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Klaus meint
„Wer also selten seine Eltern besucht, wird mit einem Abzug auf seinem Sozialpunktekonto bestraft. Folglich kommen Fragen nach einer totalen Kontrolle der Bevölkerung auf, aber das ist eine andere Geschichte.“
Das ist eine andere Geschichte? Das ist Diktatur hoch 10!