Von ICC-Redakteurin Linda Schwarzl. Als ich meiner chinesischen Freundin erzählte, dass ich ein Baby erwartete, war sie extrem erfreut und sagte, dass wir von nun an alles gemeinsam erleben sollten. Sie wollte nicht mehr von meiner Seite weichen und alle Ausflüge, sogar langweilige Supermarkt-Besorgungen mit mir gemeinsam erledigen. Dann passierte erst einmal nichts. Wir schrieben ab und zu und ich fragte, ob sie bei Wochenendausflügen dabei sein wolle – ihre Antwort war meist, dass sie leider keine Zeit habe. Irgendwann hörte ich auf zu fragen. Funkstille.
Fotokultur China-Deutschland – so unterschiedlich
Wiedergesehen haben wir uns als das Baby zwei Monate alt war. Sie kam kurz vorbei, Geschenke wurden überreicht (rosa Kleidung für die Kleine), sie wurde auf dem Arm gehalten, gekuschelt, Fotos gemacht und diese sofort nach Hause gesendet. Die Familie in China kommentierte sofort, dass es ein ganz, ganz süßes Baby sei und alle freuten sich.
Von unserem Treffen mit der Kleinen war meine Freundin sehr begeistert. Wir gingen noch spazieren, sie schob den Kinderwagen ganz stolz durch die Stadt und passte auf, als ich schnell etwas besorgen ging. Ganz stolz war sie, als eine ältere Frau sie ansprach, um mit ihr über das Baby zu sprechen und sie ein paar Fragen beantworten konnte. Und dann hatten wir wieder eine Weile keinen Kontakt.
Touristisches Highlight in Deutschland: Fotos mit deutschem Baby
Als meine Tochter fünf Monate alt war, kam die Familie meiner Freundin zu Besuch nach Deutschland. Und natürlich musste auch diese das Baby sehen. Also folgte eine sehr spontane Verabredung zum Abendessen. Mein Hinweis, dass die Kleine dann vermutlich schon schläft, wurde ignoriert: meine Freundin und ihr Mann sowie die Schwester und ihr Mann kamen vorbei. Ein Glück: Die Kleine freute sich über den Besuch und wollte gar nicht schlafen, sondern bewundert werden.
Den gesamten Besuch über war sie auf den Armen der chinesischen Gäste, wurde herumgereicht, gestreichelt, es wurden tausende Fotos gemacht und sehr, sehr viel gelacht und sich über das kleine, goldige Wesen gefreut. Auch die Kleine freute sich sehr und lachte zur Freude der Gäste viel. So viel Aufmerksamkeit kommt gut an.
Als es Abendessen gab, wollte die Gäste gar nichts essen: Alle wollten die Kleine auf dem Arm haben. Das Baby war der Star und der Besuch ein riesiger Fan. Für mich war das Ganze etwas bizarr anzusehen, denn meine anderen Freunde waren im Umgang mit dem Baby eher vorsichtig zurückhaltend. In China ist das Verhalten aber nicht ungewöhnlich.
Touristisches Highlight in China: Baby-Foto mit Deutschen
Vor fünf Jahren waren wir mit Austauschstudierenden in Suzhou und besichtigten eine Pagode des Yunyan-Tempels – ein Touristenort nicht nur für ausländische Gäste. In der Pagode stießen wir auf eine einheimische Familie mit Baby. Ehe ich mich versah und ungefragt, hatte ich das Kind auf dem Arm und wurde geknipst, glücklicherweise nicht nur von der Familie selbst – sodass auch ich ein Erinnerungsfoto an dieses Erlebnis habe.
Fotokultur China – Knipsen verbindet
Alle freuten sich, bis auf das Kleine, und nach einem kurzen Fotoshooting unter heller Begeisterung der chinesischen Familie, war die Show beendet. Dass so etwas in Deutschland vorkommt, ist doch eher unwahrscheinlich. Selbst Freunde und Bekannte geben ihre Babys nicht jedem auf den Arm. Wenig Kontakt und dennoch herzliche Freude bei jedem Treffen. Babys interkulturell…
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Silvio$ meint
Ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht. Ein chinesischer Freund kam nach der Geburt mit Geschenken vorbei und hat sich ganz charmant und liebevoll um meine Kleine gekümmert. Das war aber irgendwie auch nur so eine (sehr nette!) Höflichkeitsgeschichte. Als ich in mal beim Wort genommen habe und um Babysitten für 2 Stunden gebeten habe, war die Begeisterung ziemlich reduziert. Es geht da eher so um Familienrituale, glaube ich. Ist ja nichts Schlechts, aber man muss wissen, wie man damit umgeht. Vielleicht vergleichbar mit der amerikanischen Höflichkeit, wo man schnell best buddy ist für einen Abend, aber am nächsten Tag der eigene Name schon vergessen scheint. Hier kann man sich auch über die vermeintliche Oberflächlichkeit ärgern – oder einfach zusammen einen drauf machen und sich freuen, dass man so schnell in Kontakt kommt.