Chinesische Philosophie ist in Deutschland keinesfalls unbekannt. Leider beschränkt sie sich häufig auf verkürzte Darstellungen und Klischees, die manchmal wenig mit den ursprünglichen Denkschulen zu tun haben. Im Folgenden wird die deutsche Wahrnehmung dreier wichtiger Strömungen der altchinesischen Philosophie vorgestellt.*
Konfuzius sagt… Was sagt er denn wirklich? Der Weg ist das Ziel? Gut Ding will Weile haben? Zeit ist Geld? Die meisten Weisheiten, die Konfuzius in den Mund gelegt werden, finden sich gar nicht in den originalen Schriften, die Meister Kong bzw. seinen Schülern und Schülerschülern zugeschrieben werden. Der wohl der bekannteste chinesische Denker außerhalb Chinas wurde in der Öffentlichkeit meist verkürzt dargestellt oder komplett missverstanden.
Rezeption des Konfuzianismus in Deutschland
Der Konfuzianismus hat in Europa und Deutschland seit seinem Bekanntwerden polarisiert, das Urteil deutscher Intellektueller fiel nicht immer gnädig aus. Meister Kong (Kongzi 孔子; 551-479 v.Chr.), der Namensgeber der Denkrichtung, wurde zeitweilig als ein den europäischen Denkern ebenbürtiger Vernunftphilosoph beschrieben.[i] Er musste sich aber auch als „Dorfschulmeister“ und „Volksbetrüger“ herabwürdigen lassen.[ii] Gab es bis zum 19. Jahrhundert immerhin einige Wellen der Begeisterung unter deutschen Gelehrten verschiedener Disziplinen, blieb die Beschäftigung mit dem Konfuzianismus in Deutschland danach vornehmlich auf die hiesige Chinakunde beschränkt.[iii] Anders als der Konfuzianismus begeisterte der Daoismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit über die Grenzen der Chinaforschung hinaus.
Rezeption des Daoismus in Deutschland
In der Übergangszeit vom 19. zum 20. Jahrhundert kam es zu einer daoistischen Strömung unter deutschen Künstlern und Literaten, die angesichts der rasanten Entwicklung von Wissenschaft und Technik bei gleichzeitig wachsenden sozialen Konflikten die eigenen Kultur- und Wertevorstellungen infrage stellten. Einige Intellektuelle richteten sich paradoxerweise auf ihrer Sinnsuche gerade in Richtung des jüngst noch bekriegten und ausgebeuteten Reichs der Mitte.[i] Daoistische Einflüsse zeigen sich beispielsweise in den Werken von Martin Buber (1878-1965), Hermann Hesse (1877-1962) und Alfred Döblin (1878-1957).[ii] Kursierten schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Interpretationen des Daoismus in theosophischen Kreisen, entstanden im 20. Jahrhundert immer wieder Wellen der Dao-Begeisterung in religiös, spirituell oder esoterisch interessierten Zirkeln, die durch die steigende Anzahl an Übersetzungen gefördert wurden.[iii] In den Jahren 1900 bis 1944 befasste sich die Dao-Literatur vor allem mit China allgemein oder chinesischer Religion, lebensberatende Publikationen fehlten noch gänzlich (Grasmück 2002:84-85). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahmen diese Dao-Ratgeber deutlich zu, darunter insbesondere die Kategorien „Lebensweisheit/Kosmologie“, „Gesundheit“, „Sexualität“, „Daoismus [allgemein]“ und „Persönlichkeit/Psychologie“ (ebd.:87-88). Bis heute scheint der Dao-Trend auf den Buchmärkten ungebrochen zu sein, weiterhin werden (angeblich) daoistische Tipps beispielsweise für den richtigen Umgang mit Pferden oder für eine verbesserte Sexualität veröffentlicht.[iv] Der Terminus „Tao“ hat sich durch diesen Verkaufserfolg bereits zu einem Schlüsselbegriff in der Verlegersprache entwickelt; selbst Bücher ohne erkennbaren Daoismus-Bezug beginnen mit „Tao für/in…“ (Grasmück 2002:90).
Sunzi-Rezeption in Deutschland
Die Kriegsstrategien des Sunzi sind im Westen nicht unbekannt, jedoch vornehmlich in bestimmen Nischen rezipiert worden.[i] Entstand die erste Übersetzung in eine westliche Sprache schon im späten 18. Jahrhundert, beschränkte sich die Rezeption der Kriegsstrategien bis weit ins 20. Jahrhundert auf militärische Fragestellungen. Thomas Kempa hat das Phänomen Business Sunzi eingehend untersucht und frühe Erwähnungen von Sunzi in US-Management-Literatur der 1960er- und 1970er-Jahre gefunden (ebd.).[ii] In Deutschland sieht Kempa die erste Nennung im Business-Kontext bei Harro von Senger, der im Westen den chinesischen 36 Strategemen – und damit auch sich selbst – zu einiger Berühmtheit verholfen hat (Kempa 2010:111-112).[iii] Die wirtschaftsbezogene Sunzi-Literatur im englischsprachigen Raum nahm teils mit Einfluss von Auslandschinesen ab den 1990er-Jahren stark zu. Der einzige Ratgeber eines deutschen Autors scheint bis heute das im Folgenden betrachtete Buch zu sein.[iv]
Chinesischer Managementstil nach Zeng Shiqiang: Zwischen Tradition und Verwestlichung
Management mit Konfuzius? Business-Skills aus dem alten China
Wandel deutscher Chinabilder: Annäherung oder Entfremdung? (1/3)
Deutschlands Image in China: „Mein deutscher Chef ist …“
Anmerkungen und Literaturverweise
[i] Bei Sunzi könnte es sich um Sun Wu 孫武 handeln, der im 6. und 5. Jahrhundert v.Chr. als General und Stratege gewirkt haben soll. Im Vergleich mit Konfuzianismus und Daoismus ist von der Kriegsschule im kaiserlichen China staatspolitisch und -philosophisch weniger Einfluss erkennbar. Zu Textgeschichte und Übersetzung siehe Loewe (1993:446-455), und Kempa (2010:24-41).
[ii] Erwähnenswert ist in diesem Kontext auch Ruth Narmanns Dissertation Sunzi Reloaded mit dem aussagekräftigen Untertitel Untersuchung zur Appropriierung fernöstlicher Diskursformationen in der amerikanischen Populärkultur am Beispiel der „Kunst des Krieges“. Narmanns Arbeit, die im Jahr 2013 veröffentlicht wurde, berücksichtigt leider noch nicht Kempas wichtigen Beitrag aus dem Jahr 2010.
[iii] Siehe zu den 36 Strategemen und ihrer Rezeption im Westen Guo (2008). In Deutschland wird lange Zeit vermehrt zu den Strategemen veröffentlicht oder übersetzt. Neben Harro von Sengers zahlreichen Büchern zum Thema erschien schon im Jahr 1991 von Yuan Gao: Lock den Tiger aus den Bergen: 36 Weisheiten aus dem alten China für Manager von heute.
[iv] Übersetzungen fremdsprachiger Business-Sunzi gibt es hingegen weitere, z.B. McCreadie (2010). Die erste Gesamtübersetzung von Sunzi in Deutschland (mit einigen Unstimmigkeiten und Auslassungen) stammt aus dem Jahr 1910 und wurde von Bruno Navarra übernommen. Die erste wissenschaftliche Übersetzung hat der Sinologe Volker Klöpsch 2009 mit dem Titel Sunzi. Die Kunst des Krieges vorlegt. Im Jahr 2011 folgte eine Übersetzung von Harro von Senger, der ebenfalls philologische Sorgfalt zugesprochen wurde.
[i] Siehe überblickshaft Grasmück (2002).
[ii] Bubers Zhuangzi-Auswahl und Richard Wilhelms (1873-1930) Übersetzungen stellten ab 1910 eine wichtige Materialgrundlage für die Daoismus-Rezeption dar; in Döblins Die drei Sprünge des Wang-lun (1916) wird der Daoismus erstmals entmystifiziert und erhält eine dezidiert gesellschaftskritische Relevanz. Siehe hierzu u.a. Yuan Tan (2007:79-147), insb. 108-109). Wichtige Erkenntnisse zur literarischen Daoismus-Rezeption liefern auch Fang (1992:220-251), und überblickshaft Lange (1986); Bubers und andere relevante Texte stehen gesammelt in Hsia (1985).
[iii] Siehe Grasmück (2002:25-30), wo drei Phasen der verstärkten Daoismus-Begeisterung im 20. Jahrhundert erkannt werden.
[iv] Siehe zu Dao und Pferden z.B. Kulms (2013), und zu Dao und Sexualität Schwaiger (2008).
[i] Bewunderung kam vor allem von den deutschen Gelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) und Christian Wolff (1679-1754), siehe hierzu u.a. Lühmann (2003:55-66). Einen Überblick zu Person, Morallehre und Staatsphilosophie des Konfuzius liefern Ess (2003) und Emmerich (1992).
[ii] „Dorfschulmeister“ nannte ihn der Historiker und Philologe August Ludwig Schlözer (1735-1809), siehe ders. (1789:333); ein „Volksbetrüger“, der „nicht den Titel des Philosophen“ verdient habe, wurde er von Christoph Meiners (1747-1810) genannt, der als Historiker die Weltgeschichte nach rassischen Merkmalen einteilte, siehe Meiners Anmerkungen in Amiot (1778:127); vgl. hierzu auch Lee (2003:203-226). Prominente philosophische Kritik kam auch u.a. von Hegel (siehe ebd. 274-333).
[iii] Einen Überblick der Entstehung der deutschsprachigen Sinologie mit umfassenden Literaturverweisen liefert Pigulla (1999:117-145).
*Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem wissenschaftlichen Aufsatz „Konfuzius rät? Deutsche Ratgeberliteratur mit altchinesischen Weisheiten“, in Interculture Journal, Bd. 14, Nr. 25 (2015): Erfahrung Interkulturalität: Literatur – Ausbildung – Forschung, S. 49-74.
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