„Verlieren Sie nie Ihr Gesicht!“ – Ratgeberbücher mit Bezug auf China blicken auf unterschiedliche literarische Ursprünge zurück, die auch immer als Zeugnis der europäisch-chinesischen Beziehungen dienen können. Die Entstehungsgeschichte der besonderen Ratgeberform wird in diesem Artikel zusammengefasst.
Einen wichtigen Ursprung für Ratgeber über China stellen frühe Reiseberichte von Händlern und Schriftstellern dar, die es, in Person oder in Gedanken, bis in das mongolenbeherrschte Reich der Mitte geschafft hatten. Literarisch mischen sich in diesen Berichten unterhaltende und exotisierende Elemente.
Warnung vor Chinesen im 18. und 19. Jahrhundert
Zugleich werden praktische Einblicke und Warnungen – zum Beispiel Kritik am verschlagenen Charakter der Chinesen – gegeben.[1] Diese verschiedenen Erfahrungsberichte stellten in verkürzter Form eine Materialgrundlage für die im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts aufkommenden Rassentheorien dar, die wiederum die china- und chinesenkritische Belletristik, etwa des frühen Karl May, beeinflussten.[2]
Viele der hiermit genannten literarischen Merkmale der Berichte ab der frühen Neuzeit prägen bis heute Chinabeschreibungen in Deutschland, die noch immer unterhalten, faszinieren, aber ebenso warnen und distanzieren möchten. Die deutschen Reiseführer und Erfahrungsberichte, die ab den 1970er Jahren veröffentlicht wurden, stellen eine nächste Station auf dem Weg zur heutigen Ratgeberliteratur dar.
Praktische Empfehlungen für China ab den 1970ern
Diese frühen Texte fassen sich recht kurz, wenn es um interkulturelle Verhaltensweisen geht. „In China legt man großen Wert auf Pünktlichkeit. […] Auch bei persönlichen Verabredungen wird Pünktlichkeit erwartet“,[3] heißt es in einem Reiseführer aus dem Jahr 1983, und etwas ausführlicher erklärt ein anderer Führer zwei Jahre später:
Verhaltenstipps: Es gibt eigentlich nur eines, was man mitbringen muß, nämlich eine Engels- oder Eselsgeduld. […] Es wäre das Falscheste, hier aufbrausend zu reagieren, sonst verlieren Sie das Gesicht. […] Gegebenenfalls bitten Sie einen Hongkong-Chinesen um Vermittlung.[4]
Auch Auslandstagebücher aus der Zeit, wie das von Erwin Wickert verfasste China von innen gesehen aus dem Jahr 1976, halten sich bei ihrer Beschäftigung mit der chinesischen Sozialkultur zurück. Wickert handelt in seinem Buch die Themen „Humor und Höflichkeit“ auf knapp zwei Seiten ab. Dabei kritisiert er das ungeschickte Verhalten eines deutschen Staatsmannes auf Chinareise.[5] Diesem interkulturellen Verhalten und den dazugehörigen Ratschlägen widmet sich die aktuelle Ratgeberliteratur sehr ausführlich.
Ratgeberliteratur für Geschäfte im China der Öffnungspolitik
Hauptgründe für die wachsende Verbreitung der Gattung China-Knigge waren die politische Öffnung und das wirtschaftliche Wachstum in der Volksrepublik China am Ende der 1970er, die in Deutschland Interesse und Begehrlichkeiten weckten. Ein frühes Handbuch mit Knigge-Elementen stellt das Werk China-Handel von Peter Sichrovsky aus dem Jahr 1979 dar.[1] Es gibt in einem zweieinhalbseitigen Unterkapitel Auskunft über das richtige „Verhalten in China“.[2] Einleitend wird rückblickend auf die Jahre vor dem Verfassen des Handbuchs Folgendes festgestellt:
Mit der Anzahl der Reisenden stieg auch die Anzahl der „Geheimtips“ [,] in welcher Art und Weise man beim chinesischen Geschäftspartner ‚ankommt‘ oder nicht.[3] Den oft widersprüchlichen Empfehlungen solle man nicht folgen, sondern „sich etwas mit der chinesischen Kultur und Mentalität“ auseinandersetzen, wodurch sich einige Verhaltensweisen logisch herleiten ließen.[4] Bezeichnenderweise werden auf den folgenden zwei Seiten dennoch interkulturelle Tipps gegeben.
Die Stichworte „China“ und „Ratgeber“ trägt bereits der erstmals 1983 erschienene Ratgeber für das Auslandsgeschäft. Kontakte in der Volksrepublik China im Titel, der jedoch – mit einer unten erwähnten Ausnahme – keinen interkulturellen Knigge, sondern ein vereinzelt kommentiertes Adressbuch darstellt.[5] Als frühestens Werk mit „China“ und „Knigge“ im Titel wird im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Gerd Helms’ „Knigge“ für den Umgang mit Chinesen. Chinesen in Europa, Europäer in China aus dem Jahr 1986 angeführt.[6] Die darin behandelten Themen wie „Behandlung von Chinesen“, „Gesicht verlieren“, „Trinken“ und „Verhandlungstaktik“ verdeutlichen, dass es sich tatsächlich um einen sehr frühen, wenn nicht den ersten interkulturellen Ratgeber für den Geschäftsaustausch mit Volksrepublik-Chinesen als eigenständiges Buch handelt. Im Vorwort wird die folgende Warnung ausgesprochen:
„Da die Entwicklung in China so rapide voranschreitet, kann es sein, daß manche der aktuellen Hinweise bei Erscheinen oder kurz danach schon überholt sein mögen.“[7]
Mit den beiden angeführten Zitaten von Sichrovsky und Helms werden zwei besondere Aussagen der interkulturellen Ratgeberliteratur angesprochen: der kritische Hinweis auf die unvermeidbare Subjektivität interkultureller Empfehlungen und die Warnung vor der geringen Halbwertszeit interkultureller Vorschläge insbesondere für das sich rasant wandelnde China.
China-Ratgeber – empfehlenswert oder nicht?
Diese Hinweise bleiben auch in den zahlreichen, seit den 1990ern erschienen China-Ratgebern präsent, die ebenso vielfältige Verhaltensge- und vor allem ‑verbote enthalten. Die Qualität dieser Bücher ist gemischt, problematisch bei den meisten, teilweise gattungsbedingt, die kulturellen Pauschalisierungen und die geringe Halbwertszeit. Zum einen können durch Ratgeber leicht Vorurteile gefestigt werden, wenn die Leser die Aussagen nicht selbst nachprüfen (können). Zum anderen wandelt sich die Alltags- und Geschäftskultur – besonders in China – sehr stetig.
Sinnvolle Empfehlung aus dem letzten Jahr haben sich im nächsten vielleicht schon erledigt. Tipps für die eine Region sind in der anderen eventuell weniger hilfreich. Nichtsdestotrotz können Ratgeberbücher bei kritischer Lektüre zur ersten Orientierung und Vorbereitung dienen. Letztendlich gilt es dann, das Vorwissen mit den eigenen Erfahrungen in und mit der Fremde abzugleichen. Und in der Regel kann das Wissen aus Büchern irgendwann mit neuem Wissen aus der eigenen Praxis ersetzt werden.
*Dieser Beitrag stammt leicht angepasst aus: Rüdiger Breuer, Heiner Roetz: Worüber man nicht spricht. Tabus, Schweigen und Redeverbote in China. (Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2018).
Bildquelle: flickr / The National Archives UK / Commons
Literatur
[1] Peter Sichrovsky: China-Handel. Leitfaden für die 80er Jahre (Angewandtes Management 2, Gernsbach: Deutscher Betriebswirte-Verlag, 1979).
[2] Es handelt sich um den Abschnitt 6.5 „Praktische Hinweise“ in Sichrovsky: China-Handel, S. 84–86.
[3] Ebd.: S. 84.
[4] Ebd.: S. 84.
[5] Das Buch wurde erstmals im Jahr 1983 veröffentlicht. Hier wurde die zweite Auflage verwendet, weil die erste nicht verfügbar war: Johannes Schöter: Ratgeber für das Auslandsgeschäft. Kontakte in der Volksrepublik China (Frankfurt a. M.: Deutsche Bank, 21986).
[6] Gerd Helms: „Knigge“ für den Umgang mit Chinesen. Chinesen in Europa, Europäer in China (China – Südostasien aktuell 4, Berlin: Vistas, 1986).
[7] Zuvor verweist Helms auf die zweite Auflage von Eckard Garms (Hrsg.): Wirtschaftspartner China 81/82. Chancen nach der Ernüchterung. Erfahrungen und Fakten, Möglichkeiten und Grenzen, Praxis und Erfolg (Hamburg: Institut für Asienkunde, 1982), dessen Kapitel „Knigge für den Umgang mit Chinesen“ (S. 463–505) von Helms stammt. Dies wiederum sei hervorgegangen aus einem Handbuch namens Chinesen in Europa – Europäer in China, das Helms verfasst habe, um „firmenintern zur Vorbereitung des China-Geschäftes einer Firma in der Bundesrepublik“ zu dienen. Helms erklärt die Neuauflage als Buch dadurch, dass aufgrund des „rapiden“ Wandels in der Volksrepublik China eine komplette Überarbeitung des Kapitels aus dem Jahr 1982 notwendig geworden sei. Siehe Umgang mit Chinesen, S. 5. Das Buch Wirtschaftspartner China 81/82 enthält zudem als kurzes Kapitel „Kontaktanbahnung im China-Geschäft“ von Ingo Greve (S. 397–403). Dessen Abschnitt „Pflege der Beziehungen“ (S. 401–403) liest sich auch wie ein Kurz-Knigge, obwohl zu Beginn erklärt wird: „Ein ‚Kochbuch‘, das Rezepte für alle möglichen Situationen vorsieht, denen sich ein deutscher Unternehmer im China-Geschäft gegenüber sehen könnte, kann nicht geschrieben werden. Zu zahlreich sind die denkbaren Situationen, und zu rasch wechseln sie.‘‘ Ebd., S. 402.
[1] Es findet sich Unterhaltsames und Abgrenzendes, beides zum Beispiel in Marco Polos früher Beschreibung der chinesischen Etikette im Buch Il Milione. Zur Diskussion siehe Hans Ulrich Vogel (2013): Marco Polo Was in China. New Evidence from Currencies, Salts and Revenues (Leiden: Brill, 2013).
[2] Zu Karl Mays vorübergehender Fremdenfeindlichkeit siehe Yuan Tan: Der Chinese in der deutschen Literatur. Unter besonderer Berücksichtigung chinesischer Figuren in den Werken von Schiller, Döblin und Brecht (Göttingen: Cuvillier, 2007), S. 31, mit weiteren Verweisen.
[3] Kuan Yu-Chien, Petra Häring-Kuan: China. Kunst- und Reiseführer mit Landeskunde (Stuttgart: Kohlhammer Kunst- und Reiseführer, 1983), S. 197.
[4] Reiner Bornemann: China für Einzelreisende (Kiel: Conrad Stein, 1985), S. 46.
[5] Erwin Wickert: China von innen gesehen (Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1982), S. 215–217.
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