Von ICC-Redakteur Malte Steffenhagen
Die überschwänglichen China-Prognosen, die noch vor wenigen Jahren regelmäßig von zweistelligen Wachstumsraten berichteten, gehören inzwischen unbestritten der Vergangenheit an. In diesem Jahr wird sogar das geringste Wirtschaftswachstum seit über einem viertel Jahrhundert erwartet. Dennoch sehen Experten China auf dem richtigen Weg und die chinesische Bevölkerung gehört zu den zufriedensten der Welt. ICC bietet auch für 2017 einen kritischen Ausblick.
In konkreten Zahlen wird für China in 2017 ein Bruttoinlandsprodukt von 6,5 Prozent vorausgesehen. Diese Zahl gab die regierungsnahe Chinesische Akademie der Sozialwissenschaften, kurz CASS (Zhongguo shehui kexueyuan 中国社会科学院) bekannt. Diese Prognose deckt sich ungefähr mit den Berechnungen einer Studie der OECD, die ein Wachstum von 6,4 Prozent vorhersagen. Für den Zeitraum von 2017-21 geht die Organisation nur noch von einem durchschnittlichen Wachstum von 6 Prozent aus im Vergleich zu noch deutlich höheren 8,2 Prozent in den Jahren 2011-13.
Sicherheitsstrategie für 2017: Konzentration auf Binnenmarkt
Die chinesische Regierung nimmt diese Entwicklung in Kauf. Sie will in diesem Jahr weniger auf Exporte bauen und sich mehr auf den Binnenmarkt konzentrieren und den Konsum im eigenen Land fördern. Diese von einigen als „Abschottung“ eingeordnete Strategie hat als Konsequenz ein geringeres Wachstum zur Folge. So könnte der bereits im vergangenen Jahr deutlich im Wert gefallene Renminbi 人民币 auch in diesem Jahr weiterhin fallen. Ist er 2016 im Vergleich zum US-Dollar noch um ganze 7 Prozent gesunken, wird in diesem Jahr wieder ein Verlust von 3 bis 5 Prozent erwartet. Doch die Regierung verlässt sich auf ihren Plan und setzt auf Stabilität statt Reformen, höhere Qualität statt Wachstum. Das englischsprachige Nachrichtenportal der chinesischen Regierung beruft sich ebenfalls auf die Studie der CASS. Diese erwartet für das erste und das zweite Quartal ein Wachstum von 6,5 Prozent und für das dritte und vierte Quartal nur noch 6,4 Prozent. Sie macht der Regierung den Vorschlag, Eigentums- und Erbschaftssteuern einzuführen und somit den Staatshaushalt zu konsolidieren. Außerdem erwartet sie eine Inflation von 2,2 Prozent und eine Steigerung der Herstellerpreise um 1,6 Prozent.
Chinas Immobilienblase sorgt weiterhin für Sorgenfalten
Die Regierung in Peking will mit dieser eher risikoarmen Wirtschaftspolitik der immer größer werdenden und bald außer Kontrolle geratenden Immobilienblase entgegenwirken. Wohnimmobilien sind Ende 2016 um 12,6 Prozent teurer geworden als noch im Vorjahr. Die Staatliche Kommission für Entwicklung und Reform (Guojia fazhan he gaige weiyuanhui 国家发展和改革委员会) hatte bereits Anfang der 2000er Jahre vor einer solchen Entwicklung gewarnt, erklärt die OECD-Studie. Dies betrifft nicht nur den Immobiliensektor, sondern auch den Arbeitsmarkt, auf dem es starke Überkapazitäten gibt, die mögliche Investitionen dämpfen und eine produktive Umverteilung verhindern. Davon sind besonders die sogenannten Third- und Fourth-Tier Städte betroffen.
Unsicherheit durch steigende Staatsschulden – und Trump
Für Unsicherheit sorgt nicht nur der Machtwechsel in Washington. Wie sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und China unter dem neuen Präsidenten Donald Trump entwickeln werden, kann nur spekuliert werden. Denkbar ist, dass Trump sich wichtige Partnerschaften verspielt und dadurch den chinesischen Einfluss vergrößert, vermutlich wird er aber auch in Teilbereichen China zu schwächen versuchen. Das Reich der Mitte ist mehrfach Exportweltmeister geworden, diese Stärke könnte sich unter der Konzentration Trumps auf die eigenen Märkte und seiner „America first“-Devise ändern. Früher stützte die Volksrepublik ihr enormes Wachstum vor allem auf billige Produktion und Export. Jetzt unternimmt das Land eine wirtschaftliche Wende weg vom Billigproduzenten hin zu mehr Innovation und Fortschritt. Die OECD warnt den Verband Südostasiatischer Nationen, kurz ASEAN, er dürfe sich nicht mehr ausschließlich auf das Exportwachstum Chinas der letzten Jahre verlassen. In den vergangenen zehn Jahren sei der Exportanteil Chinas stetig gestiegen, doch jetzt würde er schwächeln, während Exporte anderer Länder – wie z.B. Kambodscha oder Vietnam – vor allem im Bereich Konsumgüter deutlich gestiegen sei. Auch die stetig wachsenden Staatsschulden Chinas wirken sich negativ auf das Wirtschafswachstum aus. Die Schulden sind sowohl in den vergangenen Jahren stetig mehr geworden, und Wirtschaftsexperten erwarten für 2017 eine noch höhere Staatsverschuldung.
China dennoch auf dem richtigen Weg?
Das britische Marktforschungsinstitut Ipsos-Mori hat Ende 2016 über mehrere Monate eine repräsentative Umfrage unter der chinesischen Bevölkerung durchgeführt und ist zu dem Ergebnis gekommen: Chinesen sind ungeachtet der schlechteren wirtschaftlichen Aussichten durchweg optimistisch. Über 90 Prozent der befragten Teilnehmer der Studie gaben an, dass ihrer Meinung nach das Land der Mitte auf dem richtigen Weg sei. Im Vergleich dazu geben in Deutschland nur 30 Prozent der Bevölkerung eine ähnliche Aussage ab und in Frankreich sogar nur 20 Prozent. Eine mögliche Erklärung kann der kontinuierliche Fortschritt und die fortwährende Verbesserung der Situation großer Bevölkerungsteile seit der Reform- und Öffnungspolitik zu Beginn der 1980er Jahre sein, denn seitdem hat es keine gravierenden Krisen mehr gegeben. Ob der Optimismus gerechtfertigt ist, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.
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