Wie sehen Deutsche China? Welches Image hat Deutschland demgegenüber im Reich der Mitte? Der Journalismus beider Länder hat erheblichen Einfluss auf die gegenseitige Wahrnehmung. Die Reihe „Deutsch-chinesische Wahrnehmung: China-Journalismus“ befragt erfahrene China-Journalisten nach ihrer Meinung zur deutsch-chinesischen Berichterstattung.
Im zweiten Teil schildert der Bestseller-Autor und ehemalige Asien-Korrespondent Adrian Geiges seine Eindrücke. Geiges ist Filmemacher und Autor, studiert hat er Publizistik, Geschichte und Politik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Russisch hat er an der Ruhr-Universität Bochum, Chinesisch an der New Asia University in Peking gelernt.
Im Jahr 1997 lebte Adrian Geiges in Hongkong, von wo er über die „Rückübertragung“ der ehemaligen britischen Kronkolonie an China berichtete, er gründete in China die Zeitschriften Parents, Fitness und Inc. Von 2004 bis 2008 war Geiges dann Asien-Korrespondent des Magazins stern in Peking. Seit 2013 arbeitet er als Korrespondent von RTL in Rio de Janeiro.
ICC-Interview mit Buchautor und Chinakenner Adrian Geiges
Wie unterscheiden sich in Ihren Augen die Presselandschaften in China und Deutschland?
Zunächst das Gemeinsame: Beide sind zunehmend kommerziell, die chinesischen Medien vielleicht noch mehr als die deutschen. Beispiel dafür sind die „roten Umschläge“, die chinesische Journalisten bei Pressekonferenzen bekommen, offiziell eine „Fahrtkostenerstattung“, in Wahrheit ein kleines Bestechungsgeld, damit sie möglichst positiv über das jeweilige Unternehmen oder die jeweilige Organisation berichten.
In Deutschland führen die Einsparungen in den Medien dazu, dass weniger Geld für Recherche da ist und häufig Klischees bedient werden, statt diesen etwas entgegenzusetzen. Auch in China streben die Medien hohe Werbeeinnahmen, Auflage und Quote an, wenden sich deshalb zunehmend auch spektakulären Themen zu. Doch aufgrund der staatlichen Kontrolle überwiegt eine Selbstzensur, denn überschreitet man als Journalist bestimmte Grenzen, gefährdet man seine Position und im Extremfall sogar die Existenz der Zeitung oder der Fernsehsendung.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede der journalistischen Arbeit in China und Deutschland?
Während in Deutschland, bei allen Problemen, kritische Berichterstattung und Zugang der Journalisten zu Informationen als ein Grundrecht gesehen wird, wird in China, zumindest de facto, Einmischung des Staates in die Medien akzeptiert. Das sind die Grundtendenzen in beiden Ländern, was nicht ausschließt: Auch in Deutschland werden gelegentlich Rechte von Journalisten verletzt, wenn sie etwa vom Geheimdienst bespitzelt werden. Und auch in China gibt es positive Beispiele von kritischer Berichterstattung.
Wie schätzen Sie die China-Berichterstattung in Deutschland ein?
Die China-Berichterstattung in Deutschland unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der Berichterstattung über die USA, Italien oder andere Länder: In den westlichen Medien finden sich mehr negative Schlagzeilen als positive. Manche Chinesen vermuten hier eine „antichinesische Verschwörung“, weil sie mit der braven Berichterstattung ihrer eigenen Medien (auch über das Ausland) vergleichen, doch um eine bewusst antichinesische Kampagne handelt es sich nicht, die ließe sich bei privaten Verlagen und auf Unabhängigkeit bedachten Journalisten nicht steuern.
Trotzdem verstehe ich das ungute Gefühl von Chinesen, wenn sie die westliche Berichterstattung sehen: Während negative Berichte aus dem eigenen Umfeld, also aus Deutschland oder Europa, eingeordnet werden als nur ein Teil der Wirklichkeit, können sie bei weit entfernten Ländern wie China den Gesamteindruck prägen.
Was wünschen Sie sich für die zukünftige Berichterstattung zwischen Deutschland und China?
In China mehr kritische Reportagen über Deutschland und in Deutschland mehr Reportagen über den Alltag in China, losgelöst von der großen Politik.
Was fällt Ihnen sonst noch zum Thema ein?
Vielleicht noch einmal zum Wandel in den letzten Jahren: Ich führe keine Statistik darüber, aber mir scheint, dass die China-Berichterstattung abgenommen hat. China war „in“ mit Olympia und als der zunehmende Wohlstand in China etwas Neues war, jetzt wird das wohl als bekannt bzw. als „alter Hut“ gesehen.
Die internationalen Berichte in Deutschland und anderen westlichen Ländern konzentrieren sich auf Nahost. Sollte mein Eindruck stimmen, fände ich das sehr bedauerlich. Auch sparen deutsche Medien leider zunehmend den China-Korrespondenten ein, besetzen die Stelle gar nicht mehr oder nur noch mit freien Mitarbeitern.
Vielen Dank für das Interview, Herr Geiges!
Lesen Sie auch:
China-Informationen im Netz: Publikationen über die chinesische Wirtschaft
Diskutieren Sie mit!