Text und Bild von ICC-Redakteurin Maike Holzmüller
Im Jahr 2013 eröffnete Volkswagen als erster Autobauer ein Werk im fernen Nordwesten Chinas, im Autonomen Gebiet Xinjiang 新疆. Die im internationalen und wirtschaftlichen Kontext lange vergessene Region rückte in den vergangenen Jahren immer stärker in den Fokus. Grund genug, einen genaueren Blick auf die Hintergründe und Chancen des Standorts Xinjiang zu werfen.
Xinjiang stellt mit seinen 1,6 Millionen Quadratkilometern Fläche ein Sechstel der gesamten Volksrepublik dar. Angrenzend an drei chinesische Provinzen (Gansu, Qinghai, Tibet) und acht Nachbarländer (Indien, Pakistan, Afghanistan, Tadschikistan, Kirgisistan, Kasachstan, Russland, Mongolei) ist die Region ein Schmelztiegel verschiedenster Minderheiten, Kulturen und Religionen, ein Ort der Herausforderung und zugleich größter Potenziale.
Xinjiang als Schmelztiegel und Pulverfass Chinas
Im internationalen Kontext ist die Region Xinjiang bekannt durch ihre Stellung als eine der bedeutendsten Passagen der alten Seidenstraße und durch ihre extremen klimatischen Bedingungen als Schnittstelle zwischen den beiden Wüsten Gobi und Taklamakan. Die berühmten Trauben der idyllischen Stadt Turfan, die wohl bereits Marco Polo länger als erwartet an die Region fesselte, und das interessante Aussehen der im Schmelztiegel der Kulturen verbreiteten blonden Chinesen mit blauen Augen sind für viele Anreiz, diese einzigartige Gegend zu entdecken, in den letzten Jahren häufig auch auf organisierten Radreisen. Im nationalen Kontext genießt Xinjiang einen undankbaren Ruf als Pulverfass Chinas, dessen Wunsch nach Unabhängigkeit in der Vergangenheit und Gegenwart regelmäßig zu gewalttätigen Ausbrüchen in- und außerhalb der Region führte. Terroranschläge wie im südchinesischen Kunming 2014 werden schnell auf Aufständische aus Xinjiang zurückgeführt, meist auf Uiguren, die vor den zugezogenen Han-Chinesen und weiteren Minderheiten wie den ebenfalls turkstämmischen muslimischen Kasachen und Kirgisen an zahlenmäßig erster Stelle in Xinjiang stehen.
In der seit 1950 zu China gehörende Region sind unter anderem die gezielte Ansiedlung von Han-Chinesen, die religiöse und kulturelle Diskriminierung insbesondere der uigurischen Minderheit und der Abbau der Kohle-, Erdöl- und Gasvorkommen durch chinesische Firmen Gründe für eine anhaltende Kette von Konflikten, die bereits viele Menschen in den Tod rissen. Doch trotz seines schlechten Rufs in der Volksrepublik: Trifft man Han-Chinesen, die nach Xinjiang zogen oder dort bereits aufgewachsen sind, wird klar, das sich trotz der Gewalt kaum einer dem Charme und der Einzigartigkeit dieser Region entziehen kann. Eine Region, in der sich der Großteil der Bevölkerung an einer lokalen Zeit, zwei Stunden nach der Peking-Zeit orientiert. Wo westliche Touristen erstmals in China äußerlich nicht aus der Menge hervorstechen. Wo Reisende und China-Experten gleichsam von einer Kultur überrascht werden, die der chinesischen so fern ist wie kaum eine andere im Land. Eine Region, die sich verbal vom Rest Chinas durch dessen Bezeichnung als neidi 内地, die „Innere Region“, abgrenzt. Und der trotz ihres Konfliktpotenzials weiterhin wirtschaftlich große Bedeutung beigemessen wird.
Wirtschaftliche und infrastrukturelle Erschließung Xinjiangs
Bereits seit Beginn der chinesischen „Go West!“-Strategie 2000, die die Stärkung der seit der 1980er Reform- und Öffnungspolitik zunächst vernachlässigten westlichen Regionen zum Ziel hat, rückte der Westen Chinas neu ins Blickfeld. Auch Xinjiang wurde seither wirtschaftlich stärker erschlossen, jedoch auf Wegen, die die Konflikte in der Region weiter nährten. Zugleich begannen bereits 2009 Arbeiten an der im vergangenen Dezember eröffneten High-Speed-Trasse, die nun Urumqi und Lanzhou, die Hauptstädte der westlichen Provinzen Xinjiang und Gansu, verbindet. Eine weitere High-Speed-Trasse zwischen Lanzhou und Peking soll ab 2017 Urumqi von der chinesischen Hauptstadt aus in 15 Stunden erreichbar machen. Dies ist nur ein Beispiel für die Strategie der chinesischen Regierung, die Region durch infrastrukturellen Ausbau und wirtschaftliche Förderung stärker in die Nation einzugliedern. Das 2013 ausgerufene Konzept des „Wirtschaftsgürtels Seidenstraße“ reiht sich in diese Strategie ein und spiegelt den Wunsch der Regierung wider, trotz oder gerade wegen der schwelenden Konflikte Xinjiang durch seine wichtige Stellung an der „modernen Seidenstraße“ wieder eine größere Bedeutung zukommen zu lassen. Die Ansiedlung von Firmen wie Volkswagen vor Ort ist eines der Zeichen, die im Lichte dieses Wunsches betrachtet werden können.
Im nächsten Teil, der hier in Kürze erscheint, erfahren Sie mehr über den Einfluss des Konzepts „Wirtschaftsgürtel Seidenstraße“ in Xinjiang sowie über die Ansiedlungsgründe internationaler Unternehmen vor Ort.
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