Von Imke Kahrmann
Sinichi Suzuki (鈴木鎮 1898-1998) ist der Begründer einer einzigartigen musikalischen Talenterziehung, die als weltweite Bewegung der Musikerziehungsmethode viele begeistert. Ihr großer Erfolg basiert darauf, dass sie sich an den Bedürfnisse des Kindes orientiert. Suzuki ist davon überzeugt, dass jedes Kind erzogen werden kann, da es „nur eine Frage der Erziehungsmethode“ sei.
Die Suzuki-Philosophie
Ein Grundsatz von Suzukis Philosophie ist es, die Fähigkeiten eines Menschen wachsen und sich in Abhängigkeit von der Stimulation durch die Außenwelt entwickeln zu lassen. Die Suzuki-Methode basiert hauptsächlich auf einer Philosophie, die im Sinne einer Lebensschulung Charakter und Tugenden im Menschen durch die Musik heranbilden sollen. Nicht nur die musikalischen, sondern die menschlichen Qualitäten werden mit Hilfe von Musik ausgebildet. In seinem Hauptwerk Erziehung ist Liebe erklärt Sinichi Suzuki, dass die positiven Veranlagungen des Menschen und die Entwicklungsmöglichkeiten bei der musikalischen Erziehung im Vordergrund stehen. Seine Philosophie beruht auf Liebe und Aufgeschlossenheit dem Leben gegenüber, damit Spannungen und Reibungen ausgeschaltet werden und so die entscheidenden Lernprozesse nicht behindern können. Das höchste Anliegen Suzukis in seiner musikvermittelnden Methode ist die Förderung der Selbstachtung, denn „wann immer ein Mensch neue Fähigkeiten entwickelt, vollzieht sich menschliches Wachstum, wird Selbstachtung geschaffen.“
Suzuki vertritt nicht die Ansicht, dass Talent angeboren ist, vielmehr weist er darauf hin, dass „was aus einem Kind wird, lediglich von seiner Erziehung abhängt.“ Sein Anliegen ist es, aus Kindern gute und glückliche Menschen werden zu lassen, Menschen „mit hervorragenden Fähigkeiten.“ Die Bedeutung des menschlichen Lebens besteht laut Suzuki in der Suche nach Liebe, Wahrheit, Tugend und Schönheit, wobei die Musik das Mittel und nicht der Zweck zur Verwirklichung des Lebenssinnes ist und die Ausbildung von Konzertinstrumentalisten nur eine Nebenerscheinung darstellt. In Suzukis Philosophie beinhaltet das Wort Erziehung zwei Bedeutungen, zum einen „unterrichten“, aber auch „aufziehen“ und „bilden“: Mit seiner musikalischen Talenterziehung möchte er die Kinder „formend umgestalten“ und er verfolgt dabei das Ziel, aus ihnen bessere Menschen zu machen, ihr individuelles Potenzial durch Liebe, Aufmerksamkeit und Bildung herauszustellen. Suzukis philosophische Denkweise zieht sich durch seine gesamte musikalische Talenterziehung und seine Methode ist darin verankert.
Die Suzuki-Methode
Suzuki kann als „äußerst planvoller Pädagoge gesehen werden, da er nicht nur sehr systematisch in seiner Talenderziehung vorgeht, sondern auch eine positive, von Liebe und Verständnis getragene Einstellung“ den Kindern entgegenbringt. Das Kind solle in einer harmonischen Umwelt aufwachsen, dann „reifen in ihm erstaunliche Fähigkeiten“ heran, menschlich, aber auch musikalisch. Laut Suzuki wird oft fälschlicherweise angenommen, dass großartige Leistungen ausschließlich durch unermüdliche, harte Arbeit zu erreichen seien. „Die Freude über das Erreichen eines Ziels sollte jedoch nie größer sein als die Freude an der Arbeit daran“, Erfolg und Freude stellen bei Suzuki keinen Gegensatz, sondern eine notwendige Voraussetzung des Gelingens seiner Methode dar. Der Lernprozess wird durch geduldige und freudige Anteilnahme der Eltern unterstützt und begleitet. Ihre Motivation und die Freude des Kindes am Erlernen eines Musikinstrumentes ist demnach „der Schlüssel zum vergnüglichen Erlenen.“ Die Methode sieht wöchentlichen Einzelunterricht (Lehrer, Kind, Elternteil), wöchentlichen Gruppenunterricht und tägliches, von einem Elternteil geleitetes Üben vor. Die Suzuki-Bücher, die die Methode maßgeblich unterstützen, werden als eine wohlabgestufte Reihe von Kompositionen zur Entwicklung der Technik und musikalischen Sensibilisierung der Kinder bezeichnet. Der jeweils wöchentliche Einzelunterricht, der ergänzende Gruppenspielkreis sowie die intensive Einbeziehung eines Elternteils, der das Üben des Kindes zu Hause anleitet, aber auch die systematische Erarbeitung eines von Suzuki entwickelten festen musikalischen Repertoires sollen gleich gewichtet sein. Die Musikerziehung soll „um des Kindes Glückes Willen“ geschehen, sodass die Eltern, der Lehrer und die Kinder an dem Prozess der Musikerziehung Spaß finden. Die zeitintensive Methode geht immer auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder ein. Denn jedes Kind ist nach Suzuki einzigartig und bedarf einer auf ihn abgestimmten Methode. Um die Realisierung der Methode auch beim häuslichen Üben zu garantieren, kommt den Eltern eine große Verantwortung zu.
Rolle der Eltern bei Suzuki
Die Eltern leisten wohl den wichtigen Beitrag in der musikalischen Talenterziehung nach Suzuki und tragen die Hauptverantwortung, in dem sie das Kind mit Musik in Kontakt bringen. Denn „[w]enn die Umgebung mit Musik erfüllt ist, so kann bei dem Kind auch erst der Wunsch zum Musizieren entstehen, das Kind reagiert also auf die Stimulation seines Umfeldes.“ Die vermutlich größte Herausforderung liegt jedoch in der Motivation des Kindes. Dabei stellen Lehrer und Eltern sich gleichermaßen der Aufgabe, das Kind zum Lernen und Üben anzuleiten. Die Rolle des Lehrers und der Eltern ist ähnlich, denn ist die kindliche Neugier geweckt, muss sie bewahrt werden, bis der Schüler zum eigenverantwortlichen Lernen kommt. Die positive Atmosphäre beim täglichen Üben und im Unterricht ist ebenfalls sehr wichtig, um eine angenehme Lernumgebung zu schaffen. Die Eltern sollen für die musikalische Stimulation Sorge tragen, eine positive Lernumgebung schaffen und umfassend loben und motivieren. Doch auch den Lehrern der Suzuki-Methode kommt eine wichtige Rolle zu, wie nun näher beleuchtet wird.
Rolle des Lehrers bei Suzuki
Die Rolle des Lehrers besteht zunächst darin, die Eltern in ihre Aufgaben einzuführen und zu erklären, welche Bereicherung Musik im Leben eines Kindes und in der Familie ist. Der Lehrer ist eine wichtige Person der Lernumgebung und Umwelt des Kindes und begegnet ihm liebevoll, ermutigend und bestärkt es wie die Eltern in seinen Bemühungen. Die anspornende Eigenschaft des Lehrers liegt in der Liebe und Achtung, die das Kind verdient. Die Eltern wie auch der Lehrer sollten es sich zur Aufgabe machen, die Kinder zu motivieren, denn „Ermutigung ist der Schlüssel zur menschlichen Vollkommenheit.“ Außerdem soll der Lehrer überzeugt sein, dass jedes Kind in der Lage ist zu lernen. Er vermittelt Spaß am Lernen und erschafft respektvollen und positiven Umgang. Der ihm entgegengebrachte Respekt eröffnet dem Kind die Möglichkeit, sich in Ruhe zu entwickeln und sein Selbstbewusstsein zu stärken. Wöchentliche kleine Hauskonzerte wie auch öffentliche Vorspiele und Konzerte können für Kinder einen Anreiz zur Motivation bieten. Die Konzerte sollen nicht das Konkurrenzverhalten verstärken, als vielmehr eine Möglichkeit darstellen, den eigenen Lernprozess zu dokumentieren und das eigene Fortkommen als Erfolg zu genießen. Eines der höchsten Ziele des Übens ist es, dass das Kind von der elterlichen Hilfe unabhängig wird. Das Kind muss „im Laufe der Zeit in seinen musikalischen Studien unabhängig werden“, da letztendliches Ziel der Erziehung die Unabhängigkeit des Kindes ist. Durch den Lehrer wird die Philosophie mit der Methode an die Eltern und somit an das Kind weitergegeben.
Abschließend lässt sich festhalten, dass der internationale Erfolg der Suzuki-Methode wohl auf der ganzheitlichen und der liebevollen Hingabe von Lehrern, Eltern und Kindern für die Musik beruht. Suzuki genießt weltweit Ansehen, sodass in vielen Ländern nationale Suzuki-Gesellschaften ins Leben gerufen wurden, so zum Beispiel in Deutschland 1983.
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