Antonie Angerer (27) und Anna-Viktoria Eschbach (26) haben vor wenigen Wochen in Beixingqiao, Peking, ein Ausstellungsprojekt namens „I:projectspace“ ins Leben gerufen. Nina Romming hat sie für das ICC-Portal für ein Interview getroffen.
Antonie Angerer und Anna-Viktoria Eschbach haben beide Kunstgeschichte studiert und daneben bereits als Kuratorinnen gearbeitet. In ihren Ausstellungsräumen mitten in den Hutongs, den kleinen alten Häusergassen der chinesischen Hauptstadt, hat die Journalistin Nina Romming sie gefragt, warum die chinesische Kunstszene ihr Projekt brauchen kann.
ICC: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, dieses Projekt hier in China zu eröffnen, und was wollt ihr damit erreichen?
Eschbach: Wir haben uns im ersten Semester Kunstgeschichte in Tübingen kennengelernt und haben immer wieder Sachen wie Streetart-Projekte zusammen auf die Beine gestellt, Sachen, die uns Spaß gemacht haben. Später haben unsere Ideen immer mehr an Ernsthaftigkeit gewonnen und dann habe ich Antonie vor einem Jahr (überlegt)… Nein, Quatsch.
Angerer: Doch, vor anderthalb Jahren.
Eschbach: Vor anderthalb Jahren habe ich sie besucht, als sie gerade in Peking an der Central Academy of Fine Arts (CAFA) war und wir sind zusammen durch China gereist, haben Künstler, Designer, interessante Leute getroffen, die uns alle erzählt haben, dass das, was China noch fehle, ein nicht-kommerzieller Raum für junge Künstler wäre, damit sie sich ausprobieren können. Das haben wir genauso gesehen: Super Sache. Sollte mal jemand machen! Und irgendwann haben wir bei einer Flasche Wein rumgeflachst: Mensch, wäre es nicht eine Geschichte, wenn wir einfach diesen Kunstraum aufmachen? Circa einen Monat später haben wir beschlossen, dass wir das in die Tat umsetzen.
ICC: Was bedeutet „I:projectspace“?
Die zwei Dreiecke symbolisieren das deutsche „I“ im phonetischen Alphabet. Deshalb wird es so ausgesprochen wie das chinesische 艺 (yi), was Kunst bedeutet. Es steht aber auch für englische Begriffe: International-Projectspace, Independent-Projectspace und eben Kunst-Space. Die zwei Dreiecke (siehe Foto unten) symbolisieren außerdem Austausch und Dialog. Das Viereck ist der Raum, in dem alles stattfindet. Die drei Striche sind unsere drei Säulen: nicht-kommerzieller Ausstellungsraum, Artist-In-Residence-Programm und Plattform für Kunst- und Kulturaustausch. Das Logo erinnert auch an chinesische Zeichen oder Siegelstempel. Eine befreundete Grafik-Designerin hat es uns entworfen, Sonja Zagermann.
ICC: Erklärt bitte eure Definition von einem „nicht-kommerziellen“ Ausstellungsraum und warum ihr glaubt, dass das so wichtig ist, dass ihr ihn kurzerhand selbst in China aufbaut?
Eschbach: Nicht-kommerziell bedeutet für uns, dass wir nicht als Galerie tätig sind, also keine Kunst verkaufen. Das heißt nicht, dass die Künstler, die ihre Werke hier ausstellen, sie nicht auch verkaufen dürfen und wir stellen auch die entsprechenden Kontakte her, aber wir sind nicht an dem Verkaufsprozess beteiligt. Wir nehmen keine Provision.
Angerer: Wir sind auch nicht aktiv daran beteiligt, die Kunst zu bewerben.
Eschbach: Und das ist wichtig, weil hier eigentlich alle Ausstellungen über Galerien stattfinden und Galerien eine ganz andere Motivation haben, sich Künstler auszusuchen. Es geht darum, dass die Galerie sich weiter tragen kann. Das heißt nicht, dass sie nicht auch interessante Künstler zeigen. Sie bauen Künstler aber anders auf, um an ihnen zu verdienen. Das sind dann Solo-Shows, wo ein Künstler möglichst prominent gezeigt werden soll. Wir wollen stattdessen thematische Ausstellungen machen und auch künstlerische Formate wie Video und Performance, die in Galerien kaum gezeigt werden, weil sie sich in China nicht so gut verkaufen, in unsere Ausstellungen integrieren.
Angerer: Und dabei sind gerade junge Künstlern in unserem Fokus. Denn es gibt zwar nicht-kommerzielle Ausstellungsräume in China wie z.B. das UCCA oder teilweise Museen, aber das sind Räume, in denen nur sehr erfolgreiche Künstler ausstellen. Für uns ist es deswegen wichtig, gerade jungen Künstlern eine Möglichkeit zu geben, zu experimentieren und sich finden zu können. Das Problem ist nämlich, dass sie in China eigentlich direkt von der Kunstakademie, frisch in Galerien abgeworben werden und dann schnell verheizt werden.
ICC: Was heißt verheizt?
Eschbach: Wenn die jungen Künstler von der Akademie kommen, sind sie normalerweise noch im Findungsprozess. Sie haben sich noch nicht wirklich entwickelt. Das heißt aber, dass sie sich sehr darauf achten, was um sie herum passiert. Nachdem die meisten Ausstellungen, die in China stattfinden, Verkaufsausstellungen sind, sehen sie eben Sachen, die sich besonders gut verkaufen und orientieren sich daran. Bevor der Künstler auch nur die Möglichkeit hat, ein bisschen zu schauen, ob er auch in eine andere Richtung gehen kann, – muss er nicht, aber die Möglichkeit sollte zumindest gegeben werden,– passt er in dieses Schema und wird für ein paar Jahre, solange er jung ist, verkauft. Nach einer kurzen Zeit ist er dann nicht mehr attraktiv genug, weil er sich selbst nicht aufbauen konnte, nichts Eigenes entwickelt hat und verschwindet im Nirwana.
ICC: Gibt es das in Europa nicht auch?
Angerer: Das findet auch in Europa statt.
Eschbach: Ja, das ist kein chinesisches Phänomen. Dadurch, dass der Kunstmarkt angefangen hat, eine unendlich große Rolle einzunehmen, in den letzten Jahren. Den Kunstmarkt gibt es immer. Der Kunstmarkt ist wichtig. Aber die Rolle von Künstlerförderung so stark in die Hände vom Kunstmarkt zu legen, ist eine gefährliche Entwicklung. Das ist keine spezifisch chinesische Entwicklung, sondern, dass ist eine Sache, die man weltweit beobachten kann. Nur hier gibt es nicht so viele Parallelinstitutionen neben dem Kunstmarkt. In Europa hat sich das einfach ganz anders entwickelt. Dort gibt es sehr viel mehr kleine experimentelle Kunst-Räume.
ICC: Woran liegt es, dass in China diese gewachsenen Strukturen fehlen?
Angerer: Das liegt daran, dass die chinesische Kunstszene sehr jung ist. Die zeitgenössische Kunstszene ist vielleicht 30 Jahre alt. Dass der Künstler nicht beim Staat angestellt ist, selbst für sein Einkommen und für seine Inhalte zuständig ist, das gibt es noch nicht lange. In den neunziger Jahren war experimentelle Kunst schlichtweg verboten und hat außerhalb der Öffentlichkeit stattgefunden. Die Bildungs- oder nicht-kommerziellen Institutionen für Kunst waren lange Zeit nicht etabliert, hatten keinen Raum. Den Raum, in der die experimentelle Kunst existieren konnte, haben sehr schnell der Kunstmarkt und die Galerien eingenommen. In den riesigen Kunstviertel, wie 798, haben Galerien riesige Ausstellungsräume. Galerien haben bei uns eigentlich nicht solche Räume, aber daran sieht man natürlich, welche Rolle sie hier eingenommen haben. Das Verhältnis stimmt nicht. Die anderen Strukturen sind einfach nicht gewachsen. Also es gibt sie schon, aber in ganz anderem Ausmaß als in Europa oder auch Amerika.
ICC: Gibt es also außer euch noch ähnliche Projekte?
Angerer: Wir sind nicht die ersten, die den Gedanken hatten, das non-profit zu machen. Da gab es schon einige Ideen. Das Problem ist da einfach oft, die Frage, wie es finanziert wird. Hier sind Förderungsstrukturen bei weitem nicht so ausgeprägt wie bei uns. Wir haben den Vorteil, dass wir uns als Plattform für Kulturaustausch sehen. Das kann für europäische oder deutsche Stiftungen und Kulturstiftungen interessant sein, weil man hier in einem kleinen aber guten Rahmen, Gespräche oder kleine Konferenzen zu bestimmten Themen organisieren kann. Wir wollen den Dialog zwischen Europa und China fördern, aber auch zwischen der Kunst in unserem Raum und der direkten Umgebung. Deswegen war es uns auch wichtig wieder zurück in die Stadt zu kommen.
ICC: Warum „wieder zurück“? Ist die Kunst in Peking momentan nicht in der Stadt?
Eschbach: In Peking finden alle Kunstsachen außerhalb der Stadt in großen Kunstvierteln statt. Das hat bestimmt Vorteile, aber es ist auch relativ weit weg vom alltäglichen Leben und es ist ein ziemlicher Akt dahinzukommen. Hier sind wir näher an den Leuten dran. Allein mit unseren Nachbarn, mit denen wir Tür an Tür leben, findet tagtäglich Kulturaustausch statt. Wir haben ja auch unseren Künstler, der hier arbeitet und für den es bestimmt auch nicht so spannend ist, vor den Toren der Stadt andere Galerien anzuschauen. Es ist doch viel interessanter zu sehen, was hier passiert, was die Leute reden, wo sie sich ihr Essen kaufen. Ganz banale Dinge.
ICC: Was hat es mit dem Artist-In-Residence-Programm auf sich?
Eschbach: Warum wir einen Künstler nach China holen wollen, liegt daran, dass wir davon ausgehen, dass es für ein Künstler sehr wichtig ist, Auslandserfahrung zu sammeln, hier Einblicke in ein anderes Kunstsystem zu bekommen und auch nicht zu kurz hier zubleiben. Viele Residence-Programme sind mit sechs Wochen sehr knapp bemessen, wenn man bedenkt, dass der Künstler in einen komplett anderen Kulturkreis kommt, sich irgendwie zurechtfinden muss und noch eigene Gedanken entwickeln soll. Deshalb sind bei uns für zwei, drei Monate veranschlagt, was auch noch nicht so ewig lange ist, aber auf jeden Fall schon ein bisschen mehr Luft gibt.
Eschbach: Was auch noch eine Sache ist, die hier relativ wenig und in anderen Teilen der Welt stärker stattfindet, sind die Gespräche über Kunst. Also dass man z.B. Artist-Talks hat, wo die Künstler über ihre Arbeiten reden können oder dass man Workshops organisiert. Das gibt es in China, aber vergleichsweise wenig. Wir kriegen immer wieder die Rückmeldung aus der chinesischen Kunstszene, dass die Leute jetzt, vielleicht hier, Ideen, die sie schon lange haben, mal in die Tat umzusetzen können.
Angerer: Wir wollen möglichst viele solcher Veranstaltungen machen. Wir haben eine Reihe von Künstlergesprächen geplant Wir haben einen Vorteil dadurch, dass wir so klein, nicht-kommerziell und jung sind. So können wir das offen und ungezwungen aufbauen. Wir überlegen, dass wir eine Brunch-Artist-Talk Runde machen, wo man herkommt und es etwas offener ist, man in einer lockeren Atmosphäre über Kunst spricht. Ich finde Essen und Kunst passen wunderbar zusammen.
ICC: Und wie finanziert man das hier?
Eschbach: Mit dem Artist-In-Residence-Programm sind wir in Gesprächen mit Schweizer Stiftungen, weil der nächste Künstler, der kommen wird, aus der Schweiz ist.
Angerer: Für Projekte und Ausstellungen, die über uns laufen, schreiben wir Förderanträge bei deutschen und europäischen Förderungen und Stiftungen. Es wird projektbezogen aufgebaut sein. Es wird die Möglichkeit geben, Gesamtförderer oder Förderer bestimmter Projekte zu werden.
Eschbach: Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten Workshops anbieten, zu Kunstgeschichte und anderen Themen, die mit Kulturaustausch zu tun haben, und darüber Gelder eintreiben, bis wir uns komplett über die Projekte tragen können.
ICC: Ein Problem in China kann das Visum sein. Wie habt ihr das geregelt?
Eschbach: Das Visum war tatsächlich ziemlich lange ein Thema für uns.
Angerer: Wir sind irgendwann durch Gespräche darauf gekommen, dass wir ein Unternehmen gründen müssen.
Eschbach: Wobei für uns das Problem gewesen ist, dass wir uns über Stiftungen finanzieren wollen und die dürfen nur an gemeinnützige Organisation Geld geben. Da es in China so etwas wie einen Verein als Rechtsform nicht gibt, mussten wir parallel dazu in Deutschland einen Freundeskreis gründen.
Angerer: Wir haben also zwei Strukturen, auf denen unsere Projectspace basiert. Einerseits der Freundeskreis e.V. in Deutschland und dann das Unternehmen hier in China, was uns hier die Möglichkeit gibt, zu agieren. Wir haben eine Arbeitsgenehmigung und Arbeitsvisum. Wir dürfen Rechnungen schreiben etc.
ICC: Wie heißt der Freundeskreis?
Eschbach: Freundeskreis I:Projectspace e.V. mit Sitz in Bayern.
Angerer: Wir wollen die deutsche Kunstvereinsstruktur übernehmen. In unserer Satzung steht, dass wir das Geld für die Förderung junger chinesischer Künstler und den Kulturaustausch zwischen China und Europa verwenden dürfen. Wir müssen uns gegenüber unseren Mitgliedern verantworten. Wenn wir unsere Richtung verändern wollen würden, müsste eine Versammlung stattfinden und die Mitglieder dürften dann darüber abstimmen und auch einbringen können. Es geht wirklich um etwas Nicht-kommerzielles und Demokratisches.
Eschbach: Diese Rückkopplung ist auch schön, weil jeder Teil des ganzen werden kann. Diejenigen, die bereits Mitglieder geworden sind, haben auch irgendwie eine Richtung mitgegeben.
ICC: Und das hier habt ihr auf eigene Kosten gemietet?
Angerer: Die erste Ausstellung ist bereits durch den Verein finanziert, aber die Renovierungskosten und die Miete hier sind erst einmal von uns vorfinanziert.
Eschbach: Ein bisschen Risiko muss sein, sonst macht es ja keinen Spaß. (lacht)
Angerer: Wir haben bei den Vorbereitungen gemerkt, dass es wichtig ist, dass wir den Raum erst einmal aufmachen, dann kann man neue Projekte auch wirklich realisieren und besser den Raum bewerben, auch bei Stiftungen usw. Man hat gemerkt, ein realer Raum muss existieren. Bis wir die Eröffnung hatten, war das immer so eine fiktive Idee, die alle immer toll gefunden haben, aber sie haben es, glaube ich, teilweise nicht so ganz geglaubt, dass wir es wirklich machen. Jetzt kann man den Leuten sagen, dass sie gerne vorbeikommen können. Man kann ihnen Fotos schicken. Wir haben eine Ausstellung.
Eschbach: Außer uns gibt es ja noch andere Projekte, die jetzt gerade losgehen in den Hutongs und wir haben so ein bisschen das Gefühl, dass wir zur richtigen Zeit gekommen sind. Auch die stehen durchaus auf riskanten Beinen. Alle Leute, die hier etwas beginnen, investieren erst einmal relativ viel – nicht nur Herzblut, sondern auch eigenes Geld- um dann in Zukunft das auf irgendeine Weise vielleicht auf einer Trägergesellschaft abzuwickeln.
Angerer: Das ist ja bei allen Startups erst einmal so. Obwohl, man muss auch dazu sagen: Unser Risiko hält sich gerade wirklich noch sehr in Grenzen. Wir haben uns mit dem Space jetzt nicht in den Ruin getrieben. Wir sind mit sehr vielen Leuten im Gespräch und es haben sich wirklich tolle Sachen ergeben. Wir sind da, was die Zukunft angeht, sehr positiv gestimmt.
Eschbach: Es geht weiter für uns.
Kontakt: contact@yi-projectspace.org
Adresse: BanQiao Hutong 10 甲,Dongcheng, Beijing 板桥胡同10甲,东城,北京
Telefon: +86 185 136 292 73
Die aktuelle Ausstellung mit Wu Ding und Zhou Zijian zum Thema „Struktur und Restrukturierung“ bleibt noch bis 28.09.2014 geöffnet.
Öffnungszeiten: Donnerstags von 11-17 Uhr oder per Anmeldung.
Dieses Projekt können Sie unterstützen, indem Sie für 50€ oder ermäßigt 30€ im Jahr Mitglied im Freundeskreis werden. Mehr Informationen finden Sie auf der Homepage des Projekts.
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