Ein Gastbeitrag des Juristen Dr. Wenbao Qiao (DeBund)
Chinesisches Markenrecht spielt nicht nur für ausländische Unternehmen, die im Reich der Mitte aktiv sind, eine wichtige Rolle. In den letzten Jahren kam es auch immer häufiger zu Rechtskonflikten zwischen chinesischen Firmen und Marken. In diesem Gastbeitrag stellt der Rechtsexperte Dr. Wenbao Qiao von DeBund ein aktuelles Beispiel für Markenverletzung in China vor, das auch die künftige Rechtsprechung beeinflussen dürfte: über Markenverletzung in China – Xiaomi, mutige Richter und eine Schadensersatzklage in Millionenhöhe.
In einem neulich veröffentlichten Gerichtsurteil über Markenverletzung und unlauteren Wettbewerb zwischen der Xiaomi Technologie GmbH (und Xiaomi Kommunikationstechnologie GmbH als weiterer Kläger) und der Zhongshan Benteng Elektrogeräte GmbH und weitere zwei Beklagten[1] hat das Hohe Volksgericht der Provinz Jiangsu das Urteil der ersten Instanz bestätigt. Darin wurden die Zhongshan Benteng Elektrogeräte GmbH und zwei andere Beklagte zur Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von 50 Mio. RMB verurteilt.
Bei diesem Fall handelt es sich um eine besonders hohe Summe des Schadensersatzes, wenn nicht um die höchste, die im China der letzten Jahre festgelegt wurde. Der Fall ist jedoch nicht nur wegen des Umfangs des Schadensersatzes interessant. Einige Punkte der Begründung und Argumentation der beiden Gerichte sind aus meiner Sicht durchaus gewagt. Daher lohnt es sich, den Fall noch etwas tiefer zu analysieren.
Privatperson als Beklagte und die „Dummheit“ des Privatkontos
Zuerst ist unter den Beklagten eine Privatperson, Herr Mai Daliang, als Beklagter Nr. 3 zu finden. Mai war ehemaliger Gesellschafter und gesetzlicher Vertreter des Beklagten Nr. 2, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung („Co., Ltd.“ in chinesischen Recht). Das Gericht der ersten Instanz war der Meinung, dass Mai die Markenverletzungstätigkeiten unterstützt habe und daher als Gesamtschuldner für die Zahlung des Schadensersatzes mitverantwortlich sei. Dies wurde vom Gericht der zweiten Instanz bestätigt.
In der Vergangenheit gab es bereits einige (wenige) Fälle, in denen der gesetzliche Vertreter einer Firma in einem Markenverletzungsverfahren direkt verklagt wurde. Solch eine Klageweise wird selbstverständlich den Druck auf die Beklagtenseite drastisch erhöhen. Jedoch handelt es sich bei den vergangenen Gerichtsverfahren vielmehr um Fälle der wiederholten Markenverletzung. Eine Klage direkt im ersten Verfahren wegen Markenverletzung ist eher selten.
Der besondere Punkt in diesem Fall ist auch, dass Mai sein Privatkonto zum Erhalt des Kaufpreises zur Verfügung gestellt hatte. Aus meiner Sicht hat vor allem dieser Beweis zur Mithaftung geführt. Da eine derartige „Dummheit“ nicht in jedem Fall zu erwarten ist bzw. auch aufgedeckt werden kann, wird eine Wiederholung der Klageweise in anderen Fällen wohl nicht so leicht sein. Aber es steht fest, dass man in Zukunft in anderen Markenverletzungsfällen häufiger in diese Richtung bohren wird.
Anerkennung als „Bekannte Marke“ mit gewagter Argumentation
Die Marke des Klägers, „Xiaomi“ in chinesischen Schriftzeichen (小米), ist am 28. April 2011 in der Klasse 9 registriert worden. Der Beklagte Nr. 1 hatte aber am 23. November 2011 die Anmeldung der Marke „Xiaomi Shenghuo“ („Shenghuo“ bedeutet Leben) in chinesischen Schriftzeichen (小米生活) beantragt. Die Marke Xiaomi Shenghuo wurde später in Klasse 11 registriert und erst im August 2018 von dem „Trademark Review and Adjudication Board“ als nichtig erklärt[2]. Da die beiden Marken in unterschiedlichen Klassen sind, muss die Marke Xiaomi zuerst als „Bekannte Marke“ anerkannt werden, um überhaupt den klassenübergreifenden Schutz erhalten zu können.
Der Kläger hatte die Anerkennung als „Bekannte Marke“ verlangt, deren Notwendigkeit von den Gerichten auch bejaht wurde. Das Gericht der ersten Instanz ist der Meinung, dass die Marke Xiaomi zur Zeit der Anmeldung der Marke Xiaomi Shenghuo, nämlich am 23. November 2011, bereits eine „Bekannte Marke“ war. Dies wurde auch vom Gericht der zweiten Instanz bestätigt.
Wie man sehen kann, liegen zwischen dem 28. April 2011 (Registrierungstag der Marke Xiaomi und dem 23. November 2011 (Antragstag der Marke Xiaomi Shenghuo) lediglich sieben Monate. Die Beklagten hatten insbesondere hierzu heftig gestritten und darauf hingewiesen, dass für die Anerkennung der „Bekannten Marke“ nach den „Bestimmungen über Anerkennung und Schutz der Bekannten Marke“ gewisse zeitliche Voraussetzungen (jeweils drei Jahre oder fünf Jahre) erfüllt werden sollten und die Bekanntheitsbeweise des Klägers eher erst nach 23. November 2011 entstanden seien.
Posts und Leserzahlen aus dem Internet als verstärkende Beweise
In der Tat stammen die meisten Beweise des Klägers erst aus der Zeit nach dem 23. November 2011. Diese Schwäche war selbstverständlich auch den Anwälten des Klägers bekannt. Daher hatte der Kläger in der zweiten Instanz neue Beweise wie Posts und Leserzahlen aus Fanforen im Internet (die beweistechnisch nicht sonderlich offiziell sind) eingereicht, die vor dem 23. November 2011 entstanden sind. Diese verstärkenden Beweise haben in der zweiten Instanz offensichtlich sehr geholfen.
Ferner ist die Argumentation der Gerichte der beiden Instanzen sehr mutig und gewagt, was in anderen Markenverletzungsfällen wohl nicht zu erwarten ist: Das Gericht der ersten Instanz ist der Meinung, dass die Art und Weise, die der Kläger an öffentlicher Aufmerksamkeit gewonnen hat, über Besonderheiten verfüge, die anders als andere Marken und Waren sind. Die Bekanntschaft und die Aufmerksamkeit der Marke Xiaomi seien innerhalb von kurzer Zeit nach der Registrierung „relativ hoch“, deren Einfluss auch „relativ groß“. Das Gericht hat aber zu den oben genannten „zeitlichen Voraussetzungen“ wohl absichtlich, keine Stellung genommen, was aus meiner Sicht ein großes Versäumnis darstellt.
Da der Kläger in der zweiten Instanz neue Beweise eingereicht hat, stützte das Gericht der zweiten Instanz seine Argumentation vielmehr auf die neuen Beweise. Ferner hat das Gericht der zweiten Instanz dieses große „Loch“ mit der Begründung gestopft, dass man die Vorschriften über drei bzw. fünf Jahre in den „Bestimmungen über Anerkennung und Schutz der Bekannten Marke“ nicht „technisch“ anwenden solle. Die Beweise nach dem 23. November 2011, die die Bekanntschaft der Marke Xiaomi an diesem Zeitpunkt „verstärkend“ beweisen könnten, sollten „den Umständen entsprechend“ mitberücksichtigt werden.
Schadensersatz mit strafendem Charakter in Höhe von 50 Mio. RMB
Der Kläger hat bei der Klage gemäß Paragraph 63 Absatz 1 des chinesischen Markengesetzes (2013-Fassung)[3] den Schadensersatz mit strafendem Charakter beansprucht. Das Gericht der ersten Instanz hat dies unterstützt, ist vom Zweifachen der Gewinne der Beklagten ausgegangen und daher zur Höhe von 50 Mio. RMB gelangt. Das Gericht der zweiten Instanz ging noch einen Schritt weiter und war der Meinung, dass der Schaden des Klägers das Dreifache der Gewinne der Beklagten sein sollte. Das heißt, Xiaomi hätte mehr als 61 Mio. RMB als Schadensersatz beanspruchen und bekommen können.
Die Vorgehensweise des Gerichts der zweiten Instanz ist aus meiner Sicht außergewöhnlich: Es hat das Urteil der ersten Instanz als „folgerichtig“ bestätigt, aber dessen Berechnungsweise der Summe des Schadensersatzes von zweifach auf dreifach erhöht. Da die Höhe des Schadensersatzes am Ende bei 50 Mio. RMB unverändert blieb, fragt man sich, ob eine solche Änderung unbedingt notwendig gewesen ist. Vielleicht wollte das Gericht der zweiten Instanz damit ein klares Zeichen setzen, insbesondere vor dem Hintergrund des Handelskonflikts zwischen China und den USA, wobei der Schutz des geistigen Eigentums in China ein zentrales Thema ist.
Zusammenfassung – ein besonderer Fall der Markenverletzung in China
Insgesamt bin ich der Meinung, dass dieser Fall in vieler Hinsicht an die Grenze des gesetzlichen Rahmens gestoßen ist. Wegen der hohen Bekanntschaft der Marke Xiaomi mögen die Argumentationen der Gerichte in diesem Fall einigermaßen überzeugend sein. In einem ähnlichen Fall könnte es solchen Argumentationen aber an Vernünftigkeit mangeln. Es bleibt abzuwarten, ob die Beklagten die Revision vor dem Höchsten Volksgericht anstreben werden.
Über den Autor
Dr. Wenbao Qiao ist Partner der chinesischen Kanzlei DeBund. Seit seiner Promotion an der Universität Göttingen arbeitet Herr Qiao seit Oktober 2004 in Shanghai und vor allem für deutsche Firmen. Im Bereich IP-Schutz sind Herr Qiao und sein Team besonders aktiv. Der chinesische Jurist ist zu erreichen unter: qiaowenbao@debund.com.
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Fußnoten:
[1] Die Fallnummer ist (2019) Su Min Zhong 1316 Hao ((2019)苏民终1316号). Eine Scanfassung des Urteils ist unter https://mp.weixin.qq.com/s/q1VVGyOxpam4dFz5gYS7ug zu finden.
[2] Gegen eine Entscheidung des „Trademark Review and Adjudication Board“ kann man noch das Gerichtsverfahren einleiten, was viele auch machen. Die Beklagten hatten auch solch ein Gerichtsverfahren vor dem Beijing Gericht für Geistiges Eigentum eingeleitet, aber die erste Instanz im September 2019 verloren. Ob die Beklagten in die Berufung gegangen sind, ist unbekannt.
[3] Die deutsche Übersetzung von Paragraph 63 Absatz 1:
„Die Summe des Schadensersatzes für die Verletzung des Alleinnutzungsrechts an einer Marke wird gemäß dem tatsächlich durch die Rechtsverletzung erlittenen Schadens des Rechtsinhabers bestimmt; wenn der tatsächlich erlittene Schaden schwer zu ermitteln ist, wird er durch die vom Rechtsverletzter durch die Rechtsverletzung erzielten Gewinne bestimmt; sind sowohl der tatsächlich erlittene Schaden des Rechtsinhabers als auch die Gewinne des Rechtsverletzers schwer zu ermitteln, soll die Höhe des Schadens anhand einer mehrfachen Lizenzgebühr für die Marke bestimmt werden. Wenn ein Rechtsverletzer böswillig das Alleinnutzungsrecht einer anderen Partei verletzt und die Umstände schwerwiegend sind, kann die Summe des Schadensersatzes nicht weniger als das Einfache, aber nicht mehr als das Dreifache der Summe betragen, die durch die vorangegangenen Methoden ermittelt wurde. Die Summe des Schadensersatzes soll die angemessenen Auslagen, die der Rechtsinhaber im Zuge der Unterbindung der Rechtsverletzung auf sich genommen hat, decken.“
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