Coronavirus-Krisengebiet Wuhan – Interview mit einem Einwohner der Quarantäne-Stadt

Die Welt schaut angesichts des neuen Coronavirus besorgt auf China und besonders auf die Stadt Wuhan. Eine Gruppe deutscher Staatsbürger wurde bereits aus der Millionenstadt zurück in ihre Heimat geflogen. Wuhans Stadtbevölkerung hingegen darf die Region aktuell nicht verlassen, das Alltagsleben ist massiv eingeschränkt. Im Internet kursieren verschiedene Informationen über die Lage in der Stadt, ICC hat im Coronavirus-Krisengebiet Wuhan nachgefragt.

Wie gestaltet sich der Lebensalltag in der Stadt Wuhan, in der das neuartige Coronavirus erstmals festgestellt wurde und sich seither rasant verbreitet hat? Wir haben den gebürtigen Wuhaner Pei Ji zur Lage vor Ort befragen können. Pei Ji hat in Münster Wirtschaft studiert und ist als Unternehmer und Berater regelmäßig zwischen Deutschland und China unterwegs. Er hält sich aktuell bei seinen Eltern in Wuhan aus. Im ICC-Interview berichtet er vom Alltag im Coronavirus-Krisengebiet Wuhan – zwischen Verzweiflung, Dankbarkeit und Hoffnung.

Aktuelles Interview aus dem Coronavirus-Krisengebiet Wuhan

ICC: Wie geht es dir momentan, Pei Ji?

Danke, mir geht es gut, wir sind mit der Familie zuhause, wir haben hier genug zu essen. Nur sollen wir möglichst nicht rausgehen, es sei denn, wir müssen Pakete oder Lebensmittel abholen. Aktuell wollen wir aber auch nicht raus.

Coronavirus-Krisengebiet Wuhan
Raus geht es nur gut eingepackt…

 

ICC: Wie und wo hast du vom Coronavirus-Ausbruch erfahren?

PJ: Wir haben aus den Medien davon erfahren – natürlich auch über WeChat. Dort zum Beispiel schon früh von Ärzten oder Krankenhausmitarbeitern aus dem Bekannten- und Freundeskreis. Mittlerweile gibt es durchgehend Berichte im Fernsehen. Man kann sich auch auf WeChat updaten lassen, wie die Situation aktuell aussieht, wie viele Leute sich infiziert haben usw.

Kommunikation über die Ansteckung und medizinische Lage

ICC: Hast du Informationen darüber, ob Familie oder Freunde von dir erkrankt sind? Wird darüber offen kommuniziert?

PJ: Ich habe keine direkten Verwandten oder Freunde, die krank sind, aber im weiteren Bekanntenkreis habe ich schon davon gehört. Es wird meines Wissens auch offen kommuniziert, einige Leute posten, wenn sie erkrankt sind oder ins Krankenhaus fahren müssen.

ICC: In Deutschland wollen sich einige auf das Coronavirus testen lassen, die gar nicht zur Verdachtsgruppe gehören. Können sich im stark betroffenen Wuhan überhaupt alle testen lassen?

PJ: So weit ich weiß, können sich momentan täglich bis zu 6.000 Menschen testen lassen. Wer kein Fieber hat, soll das aber eigentlich nicht machen. Wer keine Symptome zeigt, soll zuhause bleiben und – wenn er oder sie raus muss – unbedingt eine Atemmaske aufsetzen.

Einschränkungen im Alltag und Unterstützung aus dem restlichen Land

ICC: Wie gestaltet sich zurzeit dein Alltagsleben? Wann ist es erlaubt, die Wohnung zu verlassen? Wie besorgt ihr euch Lebensmittel etc.?

PJ: Wir sind eigentlich die ganze Zeit zuhause, es ähnelt fast einem sehr langen Urlaub. Für mich ist es irgendwie auch schön, endlich mal so viel Zeit mit der Familie zu verbringen. Man darf schon noch rausgehen, sich vor dem Haus bewegen sowieso, auch Autofahren ist noch erlaubt. Aber wir wollen zurzeit sowieso nicht viel draußen unterwegs sein.

Wuhan Einwohner Coronavirus
Der Einkauf macht sich trotzdem nicht von selbst…

 

Quarantäne-Stadt Wuhan
Kleines Festmahl zuhause, Restaurants bleiben geschlossen

 

Am Eingang unseres Wohnblocks gibt es Security, die unsere Körpertemperatur messen und uns grob desinfizieren. Sie fragen auch, wohin wir gehen, wenn wir den Block verlassen wollen. Wenn es nicht notwendig ist, raten sie vielleicht davon ab, Rausgehen ist aber nicht verboten.

ICC: Es wurde darüber berichtet, dass Wuhan vom restlichen Land unterstützt wird, Wuhaner scheinen aber auch ausgegrenzt worden zu sein – wie ist dein Eindruck?

PJ: Wir bekommen schon sehr viel Unterstützung. Tausende Ärzte aus anderen Landesteilen sind angereist, der Aufbau der neuen Krankenhäuser ging auch unglaublich schnell – dank der Hilfe und Unterstützung aus ganz China. Für die Stadt ist die Situation natürlich eine Katastrophe, fürs Land aber auch, da Wuhan sehr zentral liegt, viele wichtige Routen führen durch die Region, vielleicht etwas vergleichbar mit Frankfurt in Deutschland.

Aber ganz ehrlich gesagt, gab es in den sozialen Medien anfangs schon viele üble Kommentare über Wuhan, einige waren offen diskriminierend gegenüber Menschen aus unserer Stadt. Mittlerweile hat sich das jedoch gebessert. Wir kriegen jetzt ziemlich viel Support im Sinne von „Gebt Gas, Wuhan“, „Wuhan, bleib stark“ etc. Dafür sind wir echt dankbar.

ICC: Da jetzt vor allem übers Internet kommuniziert wird: Wie ist die Stimmung der Menschen aus Wuhan in sozialen Medien, Messengern etc.? 

PJ: Zu Beginn war die Stimmung sehr angespannt, viele haben sich verständlicherweise beschwert über die Einschränkungen. Einige User haben auch diskutiert, ob die Behörden schnell genug reagiert haben – das kann keiner genau sagen. Inzwischen haben sich viele mit der Lage abgefunden. Wir sitzen zuhause, aber viele andere kämpfen viel härter draußen, zum Beispiel auf der Baustelle oder im Krankenhaus. Und wir sehen, dass viele helfen, auch aus dem Ausland. Das beruhigt schon und lenkt auch etwas ab.

Coronavirus-Krisengebiet Wuhan
Gesamte Stadt leer gefegt, sonst undenkbar…

 

Berichterstattung im Ausland und Informationen der Stadtregierung

ICC: Du verfolgst über das Internet vielleicht auch etwas die öffentliche Diskussion in Deutschland. Was hälst du von der deutschen Berichterstattung zur Lage in China?

PJ: Ja, ich habe schon gesehen, dass einige Medien im Ausland sehr kritisch berichtet haben. Das kann ich irgendwo verstehen, ein Grund ist sicher die Angst, dass sie selbst, zum Beispiel von Touristen aus China, angesteckt werden. Aber ich finde es unnötig, Panik zu verbreiten. Es ist auch nicht so, dass jemand das Virus absichtlich verbreitet hat. Was hilft es jetzt, wieder über China zu schimpfen? Schlimme Epidemien gibt es auch in anderen Ländern. Leider. Vorhin habe ich übrigens gesehen, dass Schalke und Wolfsburg während der Bundesligaspiele ermutigende Grußbotschaften für Wuhan gezeigt haben. Das war wirklich toll, das hilft mir.

ICC: Hat die Stadtregierung von Wuhan schon bekannt gegeben, wann die Bewohner mit einer Normalisierung der Lage rechnen können?

PJ: Ein genaues Datum haben wir nicht. Ich habe aber über Bekannte auf WeChat erfahren, dass der 20. Februar ein wichtiger Tag sein wird, um die weitere Verbreitung einschätzen zu können. Wir wollen alle schnell wieder in den normalen Alltag zurückkehren. Und natürlich ist der größte Wunsch, dass die Krankheit sich bis dahin nicht noch stärker verbreitet. Nicht in China und nicht im Ausland. Es wäre super, wenn schnell jemand ein Medikament findet, um den Kampf gegen das Virus zu gewinnen.

ICC: Vielen Dank für das Interview, Pei Ji. Bitte bleib gesund! Wir hoffen von Herzen, dass sich die Situation bald verbessert.

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