Wie wird in Deutschland über China geschrieben? Welches Bild zeichnet der chinesische Journalismus von Deutschland? Die Reihe “Deutsch-chinesische Wahrnehmung: China-Journalismus” fragt erfahrene China-Journalisten nach ihrer Meinung zur deutsch-chinesischen Berichterstattung. In diesem Teil äußert sich der langjährige Asien-Experte Finn Mayer-Kuckuk zum Thema.
Als Kind wollte Finn Mayer-Kuckuk Raumschiffkapitän werden und fremde Zivilisationen erkunden. Später entschied er sich aber für ein Studium der Japanologie und Sinologie, journalistisch ausgebildet wurde er an der renommierten Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten. Mayer-Kuckuk ist seit 2006 für das Handelsblatt in Fernost. Er berichtete erst aus Japan und wohnt zurzeit im Stadtteil Chaoyang in Peking. Die Umstellung hat er als große Herausforderung empfunden, mittlerweile freut er sich darüber, in China zu leben.
ICC-Interview mit Finn Mayer-Kuckuk
1. Wie unterscheiden sich in Ihren Augen die Presselandschaften in China und Deutschland?
In China ist ein generell anderer Stil der Presse herangewachsen. Das ist ganz selbstverständlich – auch zwischen den Ländern Europas unterscheidet sich die Presselandschaft bekanntlich erheblich. Auch Japan, mein voriges Einsatzgebiet, weist zahlreiche Besonderheiten auf. China wirkt noch einmal völlig anders.
Eine Besonderheit ist in China der Unterschied zwischen den staatlichen Medien und Privatmedien, die parallel existieren. Bei den privaten Medien arbeiten naturgemäß die mutigeren Journalisten, doch auch sie erhalten laufend Anweisungen von den Zensurstellen. Online-Redaktionen stehen etwa über Chat-Fenster laufend in Kontakt mit ihren Zensoren, die ihnen beispielsweise vorgeben, zu bestimmten Themen ausschließlich die Version der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua zu verwenden. Ein deutscher Redakteur würde das als Zumutung empfinden, hier ist es akzeptiert.
Wer in der deutschen Medienwelt aufgewachsen ist, dem fällt es möglicherweise zunächst schwer, die Verhältnisse in China zu verstehen. Ja, es gibt die Zensur. Und doch arbeiten die Redakteure im Alltag oft frei und ungehindert. Ja, es gibt Verhaftungen von Journalisten. Und doch decken die Medien laufend Skandale auf, die auch die Kommunistische Partei betreffen. Hier ist ein Mix aus Freiheit und Gängelei entstanden, den ich für sehr typisch halte für das heutige China.
2. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede der journalistischen Arbeit in China und Deutschland?
Der rechtliche Rahmen. In Deutschland haben wir Auskunftspflicht der Behörden, in China die Pflicht der Medien, dem gesellschaftlichen Wohl (das die KP definiert) zu dienen. In Deutschland ist es zudem deutlich leichter, an Interviewpartner heranzukommen. Viele Chinesen gehen davon aus, sich in schädlicher Weise zu exponieren, wenn sie in der Presse auftauchen. Viele Institutionen haben auch noch nicht verstanden, dass sie in einer Mediengesellschaft leben und Pressearbeit machen müssen.
Ich werde von deutschen Freunden und Bekannten manchmal gefragt, ob ich in China der Zensur unterworfen bin. Natürlich bin ich es nicht. Ich schreibe meine Texte auf Deutsch für eine deutsche Zeitung – darauf hat die chinesische Seite keinen Zugriff.
3. Wie schätzen Sie die China-Berichterstattung in Deutschland ein?
Wir hören oft den Vorwurf, dass wir Korrespondenten nur Negatives aus China berichten. Die Einschätzung ist insofern unzutreffend, als wir von der deutschen Presse so ziemlich über alles mit einem negativen Dreh berichten – auch über die Ereignisse in den USA oder über unsere eigenen Politiker oder sogar zukunftsweisende Projekte wie die Energiewende. Die Kritik hilft letztlich, die Verhältnisse zu verbessern. Doch in China wird diese Haltung als unkonstruktiv missverstanden.
Tatsächlich gibt es beide Phänomene: China kommt zuweilen recht negativ weg, in anderem Kontext erscheint es aber als utopisches Vorbild. Auch das ist normal und war tatsächlich schon vor Jahrhunderten so, als jesuitische Mönche China in ihren Briefen als moralisch überlegen Gesellschaft darstellten – um dem Westen den Spiegel vorzuhalten. Je weiter weg ein Berichtsgebiet, desto gröber fällt die Darstellung aus. Sonst lässt sich auch die Aufmerksamkeit des Lesers nicht wecken.
Ich denke jedoch, gerade in den vergangenen Jahren hat die Themenvielfalt zugenommen, die aus China zu lesen ist. Es finden sich in der deutschen Presse auch viele Text zu China mit originellem Zugang, denen auch die Liebe zum Land anzumerken ist.
Vielen Dank für das Interview, Herr Mayer-Kuckuk!
Lesen Sie auch:
Wandel deutscher Chinabilder im 20. Jahrhundert
China-Journalismus: Wahrnehmung deutscher Medien
China in deutscher Werbung: Rollendes „R“, Bambushütchen und Raubkopien
wenwen meint
in deutschland giebt es aber auch die medien zensur oft!
Katjia** meint
Interessanter Bericht – über das Hinterdenkulissen erfährt man ja sonst nicht sehr viel. (@WenWen: Die Zensur in Deutschland halte ich für relativ gering – wenn schon eher aus Kostengründen vollzogen – nicht aus politischen.)
RonSteller meint
Zensur gibt es überall – nur sind die Strafen nicht immer gleich! Z.B. gesellschaftliche oder staatliche Strafen.
Neru Kaneah meint
Ich finde, dass F. M.-K. die Sache weitgehend treffend und differenziert beschreibt. Ich finde nur, dass man es sich zu einfach macht, wenn man die Auslandsberichterstattung über China mit den USA oder gar der politischen Inlandsberichterstattung vergleicht. Es ist einfach so, dass zugespitzte Darstellungen über Phänomene in den USA oder D ganz anders eingeordnet werden können. Beispiel: Der Spiegel zeigt einen Priester mit der Hand in der Hose auf dem Titel, um die Pädophilie einiger Geistlicher anzuprangern. Der Leser kennt viele Pastoren und Priester und weiß, dass das eine Zuspitzung ist. Solche Dramaturgisierungstechniken werden bei einem Land wie China, von dem die allerwenigsten Deutschen etwas verstehen, meist „wörtlich“ genommen und verallgemeinert. Es ensteht in vielen Teilen dann ein „falsches Bild“. Man sollte etwas behutsamer mit Dramaturgisierungen umgehen. Sachlich volles Rohr, sprachlich interpretative Freiräume zulassen.
Finn Mayer-Kuckuk meint
@Neru Kaneah: Das halte ich für eine exzellente Beobachtung. Die Leser können Zuspitzungen nicht einordnen, wenn sie mit dem Thema nicht vertraut sind. Sie verallgemeinern daher die Chinaberichterstattung, die es ins Blatt/ins Programm schafft – also häufig die krassesten Geschichten. Eine menschliche und notweniger Reaktion, um Informationen zu verarbeiten.
Leider lassen sich die Medien nicht so umprogrammieren, dass sie künftig auf einen Artikel, der das Besondere beschreibt, neun Artikel kommen müssen, die den langweiligen Alltag beschreiben…