Eigentlich könnte es für die Stuttgarter kaum besser laufen in China. In der Formel 1 ließ sich kürzlich ein Mercedes-Doppelsieg vor Shanghaier Publikum feiern und die chinesischen Verkaufszahlen waren im ersten Quartal 2019 besser als je zuvor. Dennoch kämpft das Unternehmen aktuell mit einer Kritikwelle in Chinas Internet, die typische Züge der chinesischen Shitstorm-Kultur aufweist. Gerade westliche Unternehmen haben damit häufiger zu tun.
Mercedes-Benz hat in den ersten drei Monaten dieses Jahres im Reich der Mitte 174.343 Einheiten verkauft und damit das beste chinesische Quartal aller Zeiten erlebt. Noch im März gab die Daimler AG bekannt, dass sie zusammen im Joint-Venture mit Zhejiang Geely neue Smart-Elektromodelle in China herstellen lassen will. Dass diese Zusammenarbeit mit China riskant sein kann, deutete sich im letzten Jahr an, als der chinesische Milliardär und Geely-Gründer Li Shufu bei Daimler einstieg. Vertreter aus der deutschen Industrie und Politik zeigten sich skeptisch bis alarmiert ob möglicher Einmischung aus China und Wissensabflüsse an den chinesischen Partner.
Marketing-Fallstricke für ausländische Firmen in China
Wie schwer sich die Öffentlichkeitsarbeit für westliche Erfolgsmarken in China selbst gestaltet, erlebt Mercedes in diesen Tagen zum wiederholten Male. Aktueller Auslöser war der Videoclip einer chinesischen Autokäuferin in Xi’an. Sie beklagte in sozialen Medien, dass ihr gerade erworbener Mercedes CLS 300 einen Ölschaden aufweise und ihr weder Umtausch noch Reklamation zugestanden worden sei. Stattdessen habe man ihr lediglich angeboten, den Motor auszutauschen. Im chinesischen Netz häuften sich anschließend kritische Stimmen, die eine schlechte Behandlung durch – auch speziell ausländische – Großkonzerne wie Daimler kritisierten. Inzwischen sollen sich die beiden Parteien geeinigt haben, doch das Image der Autohersteller aus Stuttgart hat erneut gelitten.
Im Umgang mit dieser Empörung ist Mercedes-Benz nicht gänzlich unerfahren. Anfang 2018 erregten die Deutschen mit einem Dalai Lama-Spruch auf Instagram, der sich eigentlich gar nicht an Konsumenten in China richtete, die Gemüter. Nach einem Aufschrei innerhalb der chinesischen Community entschuldigte sich der Autobauer öffentlich, man habe „die Gefühle des chinesischen Volkes verletzt“. Explizit beleidigend äußerte sich zwei Jahre vorher wohl ein Daimler-Manager bei einer Parkplatz-Streiterei in China. Er soll Chinesen vor Ort übel beschimpft haben, was in der chinesischen Netz-Gemeinschaft für große Entrüstung sorgte. Kurze Zeit später verlor der deutsche Manager seinen Job.
Patriotische Wirkkräfte in der chinesischen Öffentlichkeit
Zahlreiche weitere Beispiele illustrieren, wie ausländische Unternehmen in China – bewusst oder unbewusst – den Zorn chinesischer Verbraucher auf sich ziehen. Auch amerikanische Größen wie Apple und Starbucks standen zeitweilig in der Kritik. Weil sie ihren chinesischen Kunden keinen angemessenen Service angeboten beziehungsweise in China überteuerte Produkte verkauft hätten. Einige Beobachter wundern sich darüber, wie schnell Chinas staatsnahe Medien diese Patzer aufgreifen, um vermeintliche Muster ausländischer Dummheit oder Überheblichkeit auszumachen. Manchen erscheint es so, als ob damit die Dominanz westlicher Marken im Reich der Mitte etwas geschmälert werden soll.
Nachzulesen sind die typischen chinesischen Anschuldigungen beispielsweise in der Tageszeitung Global Times (Huanqiu shibao), die unter der Schirmherrschaft der Parteizeitschrift People’s Daily veröffentlicht wird. Die patriotische Tageszeitung erklärte kurz nach dem jüngsten Ölschaden-Vorfall, dass alle westlichen Firmen in China alarmiert sein sollten. Laut der Zeitung hätten diese Unternehmen „die chinesischen Gesetze und Vorschriften, die chinesische Kultur und die Verbraucher nicht verstanden“. Dies müsse sich ändern, andernfalls würden die Ausländer „vor einer strengeren Kontrolle stehen, nicht nur von den Regulierungsbehörden, sondern vor allem von der chinesischen Öffentlichkeit“. Chinesische Verbraucherverbände haben die Kritik an Firmen aus dem Ausland ebenfalls mehrfach aufgegriffen und weiterverbreitet.
Künftige Herausforderungen für Marketing und PR in China
Westliche Marken, die lange von kulturellen Imagevorteilen in China profitiert haben, werden sich in Zukunft noch intensiver mit dem wachsenden Selbstbewusstsein chinesischer Konsumenten und Behörden auseinandersetzen müssen. Denn neben dem besagten Vorwurf einer westlichen Arroganz wird das Label „Made in China“ mehr und mehr zum Schlachtruf im inländischen Marketing. So feierten zuletzt chinesische Kosmetikmarken Erfolge gegenüber der sonst unbesiegbar erscheinenden Konkurrenz aus dem Ausland, indem sie ihre chinesischen Ursprünge betonten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich dieser Trend auch in anderen Branchen stärker ausbreiten wird.
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